Fast jeder von uns reitet irgendein Steckenpferd oder frönt einer Sammelleidenschaft. Briefmarken, Bierdeckel, Sammeltassen, Ansichts- oder Autogrammkarten – die Liste der Sammlerobjekte ließe sich seitenlang fortführen. Doch was sammelt eigentlich ein Büchermensch, ein Verleger? Natürlich Bücher. Nicht so der Leipziger Verleger Mark Lehmstedt. Zumindest nicht allein. Seine heimliche Leidenschaft sind Buchtüten. Buchtüten? Das ist jenes Verpackungs- und Transportmedium, in dem wir Normalleser unsere gerade erstandenen Bücherschätze nach Hause tragen. Zumindest früher. Heute sind sie im Zeitalter der Nachhaltigkeit fast aus der Mode gekommen.
Als Wegwerfprodukt hat die Buchtüte wie andere alltägliche Verbrauchsmaterialien nur eine kurze Lebensdauer: vom Verkaufstresen des Buchhändlers bis zum heimischen Papierkorb. Früher massenweise produziert, sind die meisten Buchtüten durch ihren Abfallcharakter heute Unikate. Dabei dokumentieren sie wie Verlagskataloge, Prospekte oder Plakate anschaulich Buchhandelsgeschichte.
Vor rund zwanzig Jahren fasste Lehmstedt den Entschluss, Buchtüten zu sammeln. Zunächst fiel die Entscheidung nicht schwer, denn die Tüten und Beutel, um die es ging, beanspruchten wenig Platz und stellten auch keine besonderen Anforderungen an die Tragfähigkeit eines Regals. Mitunter wurde er jedoch in Buchhandlungen oder an Messeständen befremdlich angesehen, wenn er fragte: »Haben Sie Tüten?« Einmal Blut geleckt, hat er mit einem Rundschreiben auch etwa 1500 Buchhandlungen und etwa 500 Verlage zur Unterstützung seiner Sammlung gebeten.
Obwohl sich Lehmstedt auf Buchtüten beschränkte, die mit ihren Werbeaufdrucken irgendeinen Bezug zur Welt Gutenbergs hatten, ist in diesen zwanzig Jahren eine stattliche Sammlung von über 3000 Exemplaren entstanden, die in den Bestand des Deutschen Buch- und Schriftmuseums der Deutschen Nationalbibliothek übergegangen ist. In Kooperation mit der Nationalbibliothek hat der Verleger nun eine Publikation herausgebracht, die einen Überblick über die verblüffende Vielfalt der Motive und Gestaltung der Buchtüten gibt. Obwohl mehr als 550 Objekte in der Neuerscheinung abgebildet werden, handelt es sich nur um ein Sechstel seiner umfangreichen Sammlung. Die Abbildungen versuchen auch nicht zu verschleiern, dass es sich um Gebrauchsartikel mit Alterungserscheinungen handelt.
Zum Schluss äußert Lehmstedt natürlich die Bitte an die Leserinnen und Leser: »Sollten Sie Buchtüten haben, also Tüten, Beutel, Tragetaschen, oder wie immer man sie nennen will, neu oder alt, gebraucht oder unbenutzt, die irgendeinen Bezug zur Bücherwelt besitzen und für die Sie keine Verwendung haben«, würde er sich freuen, wenn man sie ihm (und später dem Deutschen Buch- und Schriftmuseum) zur Verfügung stellt.
Mark Lehmstedt: Buchtüten – Werbung für das Buch, Lehmstedt Verlag, Leipzig 2021, 120 S., 20 €.