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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Braunkohlekrieg

Ohne Kriegs­er­klä­rung gibt es zwi­schen Köln und Mön­chen­glad­bach eine Gegend, in der die Men­schen hei­mat­los gewor­den sind. Die Land­schaft dort ist tot. Sie bie­tet ein Bild der Zer­stö­rung, ver­ur­sacht durch Kapi­tal und Poli­tik. Schau­fel­rad­bag­ger »bewe­gen« hier bis zu 240 000 Kubik­me­ter Erde pro Tag – also Land­schaft –, damit RWE-Power Geschäf­te macht – auf Kosten der Men­schen, ihrer Gesund­heit und gegen ihre Interessen.

»I bin da Lois’s, und do bin i dahoam« – sen­det das drit­te Pro­gramm des Baye­ri­schen Fern­se­hens und zeigt boden­stän­di­ge Men­schen in einer idyl­li­schen Land­schaft. Der Lug und Trug sol­cher Fern­seh­spots muss im Braun­koh­le-Tage­bau­ge­biet Garz­wei­ler und Ham­bach wie Hohn wir­ken. Da ist kei­ne Hei­mat, da kann man nicht leben! Hier fin­det Hei­mat­ver­trei­bung statt, und die Täte­rin­nen und Täter blei­ben straflos.

Die GRÜNEN, mal wie­der auf dem aktu­el­len Par­tei­tag den »Regie­rungs­po­li­ti­ke­rin­nen und Regie­rungs­po­li­ti­kern« ihrer Par­tei fol­gend – die Par­tei­tags­stra­te­gie funk­tio­niert –, haben die Ort­schaft Lüt­zer­ath (die Ort­schaft wur­de 1168 erst­mals in einer Urkun­de erwähnt) jenem Schick­sal über­las­sen, von dem ein Roman Ingrid Bachérs erzählt.

Es ist erstaun­lich, wie ver­gess­lich die GRÜNEN sein kön­nen, sie haben schon in einer rot-grü­nen Koali­ti­on in NRW regiert, und bereits da gab es kei­ne Poli­tik der Ver­hin­de­rung der bru­ta­len Land­schafts- und Sied­lungs­zer­stö­rung des RWE-Konzerns.

In einer Vor­be­mer­kung zu ihrem Roman, der viel mehr Beach­tung in die­sem immer ekel­er­re­gend wer­den­den »Lite­ra­tur­be­trieb« fin­den müss­te, schreibt die Autorin Ingrid Bachér:

»In die­sem Roman sind alle Per­so­nen, die mit Namen genannt wer­den, fik­tiv. Ähn­lich­kei­ten mit leben­den Per­so­nen kön­nen nur rein zufäl­lig sein. Auch den Asch­off­schein Hof gab es nicht. Doch die mit ihren wah­ren Namen genann­ten Dör­fer und ihre Ver­nich­tung, die Gru­be und ihre unauf­halt­sa­me Aus­deh­nung, wer­den geschil­dert, wie ich es sah und erlebte.

Ich dan­ke allen, die mir Aus­kunft gaben und die mich anteil­neh­men lie­ßen über zwei Jahr­zehn­te hin­weg, in denen ein Dorf nach dem ande­ren für immer unauf­find­bar ver­schwand, und dies mit­ten in unse­rem fried­li­chen Land.«

Ster­ben­de Dör­fer, Ver­trie­be­ne, Hei­mat­ver­nich­tung. Eine jun­ge Frau erzählt in die­sem Roman vom Braun­koh­len­krieg: »Kein Krieg, kei­ne Besat­zung, kei­ne Natur­ka­ta­stro­phe in all den Jahr­tau­sen­den hat unser Land so gründ­lich ver­nich­tet wie die­se Braun­koh­le-Con­nec­tion. Und ihre Herr­schaft brei­tet sich immer mehr aus. Was für ein schö­nes Land und was für kor­rup­te Politiker!«

Die Erzäh­le­rin ver­liert ihren Bru­der, der die Zer­stö­rung des Hofes, der seit vie­len Gene­ra­tio­nen im Besitz der Fami­lie war, nicht ver­kraf­tet. Herz­in­farkt. Die­ser Text ist zum Teil kaum zu ertra­gen, weil er in einer Spra­che, die real und doch mit­füh­lend ist, eine Wut ent­ste­hen lässt, die tie­fe Ver­zweif­lung erzeugt.

Wie anders wirkt da, was der Chef des größ­ten deut­schen Ener­gie­kon­zerns E.on, Johan­nes Teyssen, in der BILD über stei­gen­de Strom­prei­se gna­den­los ver­kün­det: »Die Ener­gie­wen­de darf Strom nicht zum Luxus­gut, zum Spalt­gra­ben der Gesell­schaft machen. Wird der Ener­gie­um­bau zu teu­er, dann muss das Sozi­al­sy­stem ein­sprin­gen und die Mehr­be­la­stung für ein­kom­mens­schwa­che Haus­hal­te abfedern.«

Nein, den Men­schen wur­de nicht gehol­fen, die den Kahl­schlag erleb­ten, erzeugt durch die RWE-Geschäfts­pra­xis. In der Schu­le wird bald nicht mehr gele­sen wer­den, aber solan­ge dies noch pas­siert, wäre die­ser Roman eigent­lich Pflicht­lek­tü­re. In NRW wird Lebens­raum ver­nich­tet wie anders­wo Regen­wäl­der. Und das »Sozi­al­sy­stem«, das von denen nicht finan­ziert wird, die es dann in Anspruch neh­men, wenn das »Ergeb­nis« nicht mehr stimmt, die Ren­di­te zu nied­rig ist, ist längst zerstört.

Wer dem­nächst in NRW wäh­len geht, der kann dort eigent­lich sei­ne Stim­me kei­ner der Par­tei­en geben, die seit Jahr­zehn­ten Krieg füh­ren und bar­ba­risch die Land­schaft zer­stö­ren und den Lebens­raum von Men­schen den Gewinn­in­ter­es­sen eines Groß­kon­zerns unterordnen.

Ingrid Bachérs Buch hilft zu ver­ste­hen, was mit den Opfern von RWE geschieht, viel­leicht hilft es auch, die Ohn­macht zu über­win­den, die noch viel zu vie­le resi­gnie­rend erklä­ren lässt: »Die da oben machen doch eh, was sie wollen!«

Die­ser Roman, mehr als 11 Jah­re alt, er soll­te Pflicht-Lek­tü­re für jene wer­den, die noch immer dar­an glau­ben, die Welt wür­de durch Koali­tio­nen und Regie­rungs­be­tei­li­gung ver­än­dert wer­den kön­nen, ohne eine ande­re, den Inter­es­sen der Men­schen die­nen­den Gesellschaftsordnung.

Ingrid Bachér: Die Gru­be, Roman, 173 S.; Ver­lag: Dittrich, Ber­lin 2011, 173 S., 12 € – nicht nur anti­qua­risch erhältlich!