Ohne Kriegserklärung gibt es zwischen Köln und Mönchengladbach eine Gegend, in der die Menschen heimatlos geworden sind. Die Landschaft dort ist tot. Sie bietet ein Bild der Zerstörung, verursacht durch Kapital und Politik. Schaufelradbagger »bewegen« hier bis zu 240 000 Kubikmeter Erde pro Tag – also Landschaft –, damit RWE-Power Geschäfte macht – auf Kosten der Menschen, ihrer Gesundheit und gegen ihre Interessen.
»I bin da Lois’s, und do bin i dahoam« – sendet das dritte Programm des Bayerischen Fernsehens und zeigt bodenständige Menschen in einer idyllischen Landschaft. Der Lug und Trug solcher Fernsehspots muss im Braunkohle-Tagebaugebiet Garzweiler und Hambach wie Hohn wirken. Da ist keine Heimat, da kann man nicht leben! Hier findet Heimatvertreibung statt, und die Täterinnen und Täter bleiben straflos.
Die GRÜNEN, mal wieder auf dem aktuellen Parteitag den »Regierungspolitikerinnen und Regierungspolitikern« ihrer Partei folgend – die Parteitagsstrategie funktioniert –, haben die Ortschaft Lützerath (die Ortschaft wurde 1168 erstmals in einer Urkunde erwähnt) jenem Schicksal überlassen, von dem ein Roman Ingrid Bachérs erzählt.
Es ist erstaunlich, wie vergesslich die GRÜNEN sein können, sie haben schon in einer rot-grünen Koalition in NRW regiert, und bereits da gab es keine Politik der Verhinderung der brutalen Landschafts- und Siedlungszerstörung des RWE-Konzerns.
In einer Vorbemerkung zu ihrem Roman, der viel mehr Beachtung in diesem immer ekelerregend werdenden »Literaturbetrieb« finden müsste, schreibt die Autorin Ingrid Bachér:
»In diesem Roman sind alle Personen, die mit Namen genannt werden, fiktiv. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen können nur rein zufällig sein. Auch den Aschoffschein Hof gab es nicht. Doch die mit ihren wahren Namen genannten Dörfer und ihre Vernichtung, die Grube und ihre unaufhaltsame Ausdehnung, werden geschildert, wie ich es sah und erlebte.
Ich danke allen, die mir Auskunft gaben und die mich anteilnehmen ließen über zwei Jahrzehnte hinweg, in denen ein Dorf nach dem anderen für immer unauffindbar verschwand, und dies mitten in unserem friedlichen Land.«
Sterbende Dörfer, Vertriebene, Heimatvernichtung. Eine junge Frau erzählt in diesem Roman vom Braunkohlenkrieg: »Kein Krieg, keine Besatzung, keine Naturkatastrophe in all den Jahrtausenden hat unser Land so gründlich vernichtet wie diese Braunkohle-Connection. Und ihre Herrschaft breitet sich immer mehr aus. Was für ein schönes Land und was für korrupte Politiker!«
Die Erzählerin verliert ihren Bruder, der die Zerstörung des Hofes, der seit vielen Generationen im Besitz der Familie war, nicht verkraftet. Herzinfarkt. Dieser Text ist zum Teil kaum zu ertragen, weil er in einer Sprache, die real und doch mitfühlend ist, eine Wut entstehen lässt, die tiefe Verzweiflung erzeugt.
Wie anders wirkt da, was der Chef des größten deutschen Energiekonzerns E.on, Johannes Teyssen, in der BILD über steigende Strompreise gnadenlos verkündet: »Die Energiewende darf Strom nicht zum Luxusgut, zum Spaltgraben der Gesellschaft machen. Wird der Energieumbau zu teuer, dann muss das Sozialsystem einspringen und die Mehrbelastung für einkommensschwache Haushalte abfedern.«
Nein, den Menschen wurde nicht geholfen, die den Kahlschlag erlebten, erzeugt durch die RWE-Geschäftspraxis. In der Schule wird bald nicht mehr gelesen werden, aber solange dies noch passiert, wäre dieser Roman eigentlich Pflichtlektüre. In NRW wird Lebensraum vernichtet wie anderswo Regenwälder. Und das »Sozialsystem«, das von denen nicht finanziert wird, die es dann in Anspruch nehmen, wenn das »Ergebnis« nicht mehr stimmt, die Rendite zu niedrig ist, ist längst zerstört.
Wer demnächst in NRW wählen geht, der kann dort eigentlich seine Stimme keiner der Parteien geben, die seit Jahrzehnten Krieg führen und barbarisch die Landschaft zerstören und den Lebensraum von Menschen den Gewinninteressen eines Großkonzerns unterordnen.
Ingrid Bachérs Buch hilft zu verstehen, was mit den Opfern von RWE geschieht, vielleicht hilft es auch, die Ohnmacht zu überwinden, die noch viel zu viele resignierend erklären lässt: »Die da oben machen doch eh, was sie wollen!«
Dieser Roman, mehr als 11 Jahre alt, er sollte Pflicht-Lektüre für jene werden, die noch immer daran glauben, die Welt würde durch Koalitionen und Regierungsbeteiligung verändert werden können, ohne eine andere, den Interessen der Menschen dienenden Gesellschaftsordnung.
Ingrid Bachér: Die Grube, Roman, 173 S.; Verlag: Dittrich, Berlin 2011, 173 S., 12 € – nicht nur antiquarisch erhältlich!