Vor einiger Zeit präsentierte in Salzburg, dieser Festspielstadt, die selbst die Pleite der Mozartkugelfabrik erträgt, eine von der Politik beauftragte Historikerinnen/Historikerkommission eine ausführliche Untersuchung mit dem Titel »NamengeberInnen von Straßen, Plätzen, Brücken und Stegen in der Landeshauptstadt Salzburg und ihr Verhalten in der NS-Zeit«. Das Ergebnis der mehr als 1000 Seiten starken Untersuchung (https://www.stadt-salzburg.at/ns-projekt/ns-strassennamen/): 201 Namensgeberinnen und Namensgeber haben in der NS-Zeit gelebt (37 davon sind zwischen 13.3.1938 und 8.5.1945 verstorben), 44 waren erwiesenermaßen Mitglieder der NSDAP; bei 36 von ihnen konnten auch Mitgliedsnummer und Beitrittsdatum eruiert werden, 6 weitere Personen waren Parteianwärter, 16 Personen erwiesenermaßen keine Parteimitglieder, jedoch mit unterschiedlich stark ausgeprägten Verstrickungen in das NS System.
Die Kommission stellte fest, bei vielen Genannten bestehe »aufgrund der gravierenden NS-Verstrickung Diskussions- und Handlungsbedarf«. Und es sei »zu klären, ob mit einer Erläuterungstafel, dem ausführlichen Eintrag im digitalen Stadtplan (www.stadt-salzburg.at/strassennamen) und der biografischen Darstellung auf der NS-Homepage (www.stadt-salzburg.at/ns-projekt)« der Aufklärung genüge getan wird – oder »eine Umbenennung in Erwägung gezogen werden soll«. Dass es mehr NS-Straßennamen als Straßen mit Frauennamen in Salzburg gibt, sei nur am Rande erwähnt.
Hier ein Teil der Namensliste: Volkskundler und Obmann des Landestrachtenverbandes Kuno Brandauer, Musikschriftsteller und Mitbegründer der Salzburger Festspiele Heinrich Damisch, Dirigent Herbert von Karajan, Schriftsteller und Maler Erich Landgrebe, Komponist und Dirigent Hans Pfitzner, Konstrukteur Ferdinand Porsche, Volksmusikant und Kulturfunktionär Tobias Reiser, Bildender Künstler Gustav Resatz, Domorganist und Mozarteums-Professor Franz Sauer, Universitätsprofessor der Musikwissenschaft Erich Schenk, Universitätsprofessor der Kunstgeschichte Hans Sedlmayr, Bildender Künstler Josef Thorak und Schriftsteller Karl Heinrich Waggerl.
Ein heiliger Schreck erfasste die, die diese Untersuchung beauftragt hatten. Denn wie soll Salzburg überleben ohne den Karajanplatz beim Festspielhaus und gar den guten Ruf der Familie Porsche. Dazu noch der von Adolf Hitler so geliebte Bildhauer Josef Thorak, weg wäre der Straßenname samt Ehrengrab auf dem St. Peter Friedhof und dazu noch einige Kunstwerke, die den Mirabellgarten verunzieren. Bei den erwähnten Namen hatte sich die hochkarätig besetzte Kommission jedoch deutlich geäußert: Umbenennung!
Mal wieder stand die Festspielstadt, in der die einzige Bücherverbrennung der Ostmark stattfand (auch ihr Organisator konnte nach 1945 weiter Schulpolitik betreiben) vor einer Entscheidung. Also beschloss der Gemeinderat mit Mehrheit: Man werde bei all den belasteten NS-Straßennamen »Taferl« anbringen, auf denen über die NS-Vergangenheit der auf den Straßennamen Verewigten aufgeklärt werden solle. Mit dabei auch die 13 Namen derer, die laut Kommission-Empfehlung als Straßennamen entfernt werden sollten.
Auf meine Anfrage beim Fremdenverkehrsamt der Stadt, ob ich als Fremdenführer eine NS-Straßennamenführung abhalten dürfe, bekam ich keine Antwort. Werden Fremde verkehrt geführt, ist das verbotener Fremdenverkehr!
Schauen wir auf den 1. Weltkrieg in der damals zu Ende gehenden k.u.k.-Monarchie. Da gab es eine »Literarische Gruppe«. Ihr Leiter war der Oberstleutnant Alois Veltzé, Vorstand der Schriftenabteilung im Kriegsarchiv. Für die Propaganda (»Jeder Russ ein Schuss; jeder Franzos ein Stoss«) wurden geschickte Literaten engagiert. Deren Liste ist lang: Franz Theodor Csokor, Albert Ehrenstein, Emil Kläger, Franz Molnar, Robert Musil, Alfred Polgar, Rainer Maria Rilke, Felix Salten, Franz Werfel, Stefan Zweig, Egon Erwin Kisch und andere. Die Dichter arbeiteten fast ausschließlich in der Wiener Stiftskaserne und kamen nicht einmal in die Nähe einer Front. Quellen ihrer literarischen Tätigkeit waren stark gefilterte Depeschen des Armeeoberkommandos.
Von einer Untersuchung, ob diese »das-Blutbad-des-1.-Weltkriegs-Verherrlicher« um vorhandene Straßennamen zu bringen wären oder die betreffenden Straßen ein »Taferl« erhalten sollen, ist nichts bekannt. Hier eine Szene aus den »Letzten Tagen der Menschheit« in der Karl Kraus das Thema festhält:
Hugo v. Hofmannsthal (blickt in eine Zeitung): Ah, ein offener Brief an mich? – Das is lieb vom Bahr, daß er in dieser grauslichen Zeit nicht auf mich vergessen hat! (Er liest vor.) »Gruß an Hofmannsthal. Ich weiß nur, daß Sie in Waffen sind, lieber Hugo, doch niemand kann mir sagen, wo. So will ich Ihnen durch die Zeitung schreiben. Vielleicht weht’s der liebe Wind an Ihr Wachtfeuer und grüßt Sie schön von mir« (Er bricht die Vorlesung ab.)
Ein Zyniker: No – lies nur weiter! Schön schreibt er der Bahr!
Hofmannsthal (zerknüllt die Zeitung): Der Bahr is doch grauslich.
Der Zyniker: Was hast denn? (Nimmt die Zeitung und liest bruchstückweise vor) »Jeder Deutsche, daheim oder im Feld, trägt jetzt die Uniform. Das ist das ungeheure Glück dieses Augenblicks. Mög es uns Gott erhalten! – Es ist der alte Weg, den schon das Nibelungenlied ging, und Minnesang und Meistersang, unsere Mystik und unser deutsches Barock, Klopstock und Herder, Goethe und Schiller, Kant und Fichte, Bach, Beethoven, Wagner. – Glückauf, lieber Leutnant.«
Hofmannsthal: Hör auf!
Der Zyniker (liest): »Ich weiß, Sie sind froh. Sie fühlen das Glück, dabei zu sein. Es gibt kein größeres.«
Hofmannsthal: Du, wenn du jetzt nicht aufhörst –
Der Zyniker (liest): »Und das wollen wir uns jetzt merken für alle Zeit: es gilt, dabei zu sein. Und wollen dafür sorgen, daß wir hinfort immer etwas haben sollen, wobei man sein kann. Dann wären wir am Ziel des deutschen Wegs, und Minnesang und Meistersang, Herr Walther von der Vogelweide und Hans Sachs, Eckhart und Tauler, Mystik und Barock, Klopstock und Herder, Goethe und Schiller, Kant und Fichte, Beethoven und Wagner wären dann erfüllt.«
Wer dann vom Krieg noch nicht genug hat, der lese in der »Fackel« (Nr. 577-582, Seiten 96-98 aus 1922) den Text »Reklamefahrten zur Hölle«.
Und wie sieht das heute, in dem nichtmeinen Deutschland aus, das mit 100 Milliarden Euro jene Institution aufrüstet, die bei Tucholsky »Soldaten sind Mörder« benannt wird. Zurzeit finden in diesem nichtmeinem Land, und nicht nur da, seltsamste Verhaltensweisen statt. Nach dem schon bekannten Motto »Jeder Russ ein Schuss« erlebt man jetzt die üblichen »Kulturaufräumerinnen und Kulturaufräumer«, die sich ansonsten um die Bestsellerkultur bekümmern: Sie Rufen zum Boykott auf, bei dem sich(angebliche?) Linke, Liberale und Konservative einig sind. Putins Krieg ist zu verurteilen. Da fährt die Eisenbahn drüber, und der Dirigent Valery Gergiev, früher vom Münchner Oberbürgermeister hochgelobt, kommt wie die Sopranistin Anna Netrebko, Putinsympathisantin, unter die Räder. Die auch in Salzburg gut besuchte Festspieljodlerin, pro Sitzplatz oft mit mehr als 400 Euro überbezahlt, meint, sie sei ein unpolitischer Mensch. Da warnte schon Rosa Luxemburg: »Unpolitisch sein, heißt politisch sein, ohne es zu merken.«
Russlands Künstlerinnen und Künstler haben mit hohen Strafen zu rechnen, wenn Sie Putins Kriegsverbrechen kritisieren. Wer dies befürwortet, der kriegt die Rote Karte. Pauschalboykott, wie er immer mehr, völlig unkritisch, in den Medien propagiert wird, hat zu unterbleiben, und ich frage mich auch, wieso behinderte Sportlerinnen und Sportler von den Paralympics ausgeschlossen werden. Haben sie Putins Krieg bejubelt?
Die »Jeder Russ ein Schuss-Mentalität« greift um sich. Wann, frage ich mich, werden die Bücher von Alexander Issajewitsch Solschenizyn verbrannt, von denen behauptet wird, dass Putin diese Werke schätzt? Und Dostojewski? Paolo Nori, Professor an der Uni in Mailand, informiert, man habe versucht, ihn zu überzeugen, sein Dostojewski-Seminar abzusagen. Dieser Versuch schlug fehl! Noch?
Der PEN-Präsident Deniz Yüzel meint, allerdings als Privatmeinung: nicht Puschkin, Putin ist das Problem. Dieser Meinung schließe ich mich an! Ganz ohne jene »Pseudotaferllösung«.
Ob Karl Kraus das Problem mit seinen Texten nicht besser bewältigt hat?