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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Blütenträume

Irgend­wel­che Visio­nä­re ver­brei­te­ten die Idee eines »Mit­tel­deut­schen Blü­ten­drei­ecks« im Jah­re 2022. (Abge­se­hen davon, dass ich unver­än­dert mei­ne Pro­ble­me mit der geo­gra­fi­schen Benen­nung habe: Wenn der Osten Deutsch­lands nicht im Osten, son­dern in der Mit­te liegt: Wo ist dann der Osten? In Pom­mern, Schle­si­en, in West- und in Ost­preu­ßen? Die sind nach mei­ner Kennt­nis seit 1945 aber pol­nisch und rus­sisch und kei­nes­wegs mehr deutsch.)

Die­ses »mit­tel­deut­sche Blü­ten­drei­eck« soll­te von drei Lan­des­gar­ten­schau­en gebil­det wer­den: Beelitz in Bran­den­burg, Tor­gau in Sach­sen und Bad Dür­ren­berg in Sach­sen-Anhalt, jeweils kei­ne hun­dert Kilo­me­ter von­ein­an­der ent­fernt. Die sach­sen-anhal­ti­sche LAGA wur­de zu Beginn die­ses Jah­res auf 2023 ver­scho­ben, und im Mai hieß es, dass sie jetzt doch erst 2024 statt­fin­den wer­de. Der Land­tag in Mag­de­burg habe zwar nun zusätz­li­che fünf Mil­lio­nen beschlos­sen, aber die Zeit rei­che nicht, um sie in der Erde des dor­ti­gen Kur­parks (der Ort ist seit 1935 Kur­bad) zu ver­sen­ken. Herz­stück der Gar­ten­schau wird das 2019 abge­ris­se­ne und nun­mehr neu errich­te­te Gra­dier­werk sein. Auf 636 Metern Län­ge rie­selt Sole über gewal­tig in die Höhe ragen­de Rei­sig­wän­de und setzt sich dort als Salz ab und heil­sa­me Aero­so­le zur Frei­luft­in­ha­la­ti­on frei. Die Rekon­struk­ti­on des histo­ri­schen Bau­werks ist nicht ganz bil­lig und sorgt dafür, dass Bad Dür­ren­berg mit 30 Mil­lio­nen schon mal das Wett­ren­nen bei den Inve­sti­tio­nen gewon­nen hat. Tor­gau kam auf 25 Mil­lio­nen und Beelitz auf 22 Mil­lio­nen Euro. So ist denn heu­er der opti­sche Ver­gleich ledig­lich zwi­schen Beelitz (s. Ossietzky 12/​2022) und Tor­gau möglich.

Viel­leicht lag es dar­an, dass mein Besuch zur fal­schen Zeit erfolg­te – die Bäu­me blüh­ten nicht mehr und die Früh­lings­blu­men waren dahin und noch nicht durch Som­mer­blu­men ersetzt. So wirk­te denn alles ein wenig farb­los. Doch das war es wohl nicht allein, war­um ich mit eini­ger Ent­täu­schung mei­nen Rund­gang been­de­te. Dabei hat­te der mit einer freund­li­chen jun­gen Rus­sin aus Kras­no­jarsk an der Kas­se begon­nen. Sie lebe aber schon lan­ge in Tor­gau, beeil­te sie sich leb­haft zu ver­si­chern, als müs­se sie sich für ihre Her­kunft aus Sibi­ri­en entschuldigen.

Die Lan­des­gar­ten­schau nutzt den bestehen­den Stadt­park, der Gla­cis heißt, denn Napo­le­ons Trup­pen waren einst hier. Bis zu 26.000 fran­zö­si­sche Sol­da­ten sol­len am Ort bis 1813 sta­tio­niert gewe­sen sein und auch Bäu­me gepflanzt haben, die inzwi­schen uralt sind und wei­te Schat­ten wer­fen. Die­se beacht­li­che Grün­an­la­ge, meh­re­re Dut­zend Hekt­ar groß, zieht sich von der Elbe rings um die Alt­stadt bis zum Hafen hin und wird seit­her von den Anwoh­nern – deren Zahl seit 1990 ste­tig schrumpft und deren Durch­schnitts­al­ter kon­ti­nu­ier­lich wächst – gern besucht, was zu einem gewis­sen Unver­ständ­nis führ­te, dass sie für ihren gewohn­ten Spa­zier­gang nun­mehr 18 Euro am Tag oder 79 Euro für die Dau­er der Lan­des­gar­ten­schau zah­len sollen.

Das Gla­cis que­ren eini­ge Pisten. Ihre »Inte­gra­ti­on« sorg­te bereits vor Eröff­nung der Lan­des­gar­ten­schau für bun­des­wei­tes Gespött. Schil­dau, das um die Ecke liegt, ließ grü­ßen. Man sperr­te eine Stra­ße für den Auto­ver­kehr und über­spann­te sie mit einer aus Metall­stan­gen und Loch­blech­strei­fen gefer­tig­ten Brücke. Roll­stuhl­fah­rer und Rol­la­tor­füh­rer kamen dort nicht drü­ber, Rent­ner und Geh­be­hin­der­te nicht hin­auf, Rad­fah­rer und Kin­der­wa­gen­schie­ber bei­der­lei Geschlechts sowie Diver­se hat­ten eben­falls ihre Mühe. Die für­sorg­li­che Begrün­dung, dass mit die­sem tem­po­rä­ren Bau­werk den Fuß­gän­gern (oder wie es neu­deutsch heißt: den zu Fuß Gehen­den) wei­te Umwe­ge erspart wür­den, wirk­te in den Ohren vie­ler wie Hohn; für einen Ver­är­ger­ten im Inter­net war gar die »Kotz­gren­ze über­schrit­ten«. Wenn man denn mit der Über­que­rung ver­hin­dern woll­te, dass es zwei Schlupf­lö­cher in der Absper­rung gab, hät­te man auch mal eine Kosten-Nut­zen-Rech­nung auf­ma­chen kön­nen. Viel­leicht wären zwei Kon­troll­po­sten rechts und links des Weges bil­li­ger gekom­men als ein solch ver­stö­ren­des und Unmut erzeu­gen­des Mon­strum. Gut, dann hät­te man sich eine ande­re Wer­be­flä­che für die Gast­auf­trit­te von DJ Ötzi, Ange­li­ka Mil­ster und die Münch­ner Frei­heit suchen müs­sen. Aber das hät­te man gewiss ver­kraf­ten können.

Zwi­schen und unter den mit­un­ter bereits von der Minier­mot­te heim­ge­such­ten Bäu­men pas­siert sonst nicht all­zu viel. Kin­der kön­nen an grü­nen Trom­meln dre­hen, um die hier behei­ma­te­te Vögel zu hören, am Ufer der geflu­te­ten Eis­bahn­wie­se ste­hen ein XXXL-Stuhl fürs Fami­li­en-Foto und am Weges­rand Blü­ten­bil­der von Ange­la Straß­ber­ger. An einer Wege­kreu­zung fin­den sich Instal­la­tio­nen loka­ler Unter­neh­men, die zumin­dest ein wenig ori­gi­nel­ler sind als die zwei Dut­zend Paar Gum­mi­stie­fel, wel­che unter einem zu gro­ßen Tei­len ver­trock­ne­ten Nadel­baum war­ten und deren tie­fe­rer Sinn sich mir nicht erschloss. Dann gab es noch die übli­chen Berei­che, die sich in jeder Lan­des­gar­ten­schau fin­den: Muster­gär­ten, Klas­sen­zim­mer und Kir­che im Grü­nen, Blu­men­hal­le, Strei­chel­zoo, Ver­kaufs­stän­de, klei­ne Auf­tritts­or­te und eine gro­ße Büh­ne mit vie­len Stuhl­rei­hen davor. Und reich­lich Beton. Das Bau­un­ter­neh­men Ezel hat, wie deren Geschäfts­füh­rer der Lokal­pres­se stolz mit­teil­te, seit dem Start im Sep­tem­ber 2020 »um die 15 Mil­lio­nen ver­baut – der bis dato größ­te Auf­trag in der Fir­men­ge­schich­te«. Beson­ders stolz sei er auf den Sport- und Spie­le­park. Nun, als ich den weit­läu­fi­gen »Skate­park« in der Eich­wie­se besuch­te, war weit und breit kein jun­ger Mensch zu sehen, der sich auf sei­nem Board in die Tie­fe stürz­te. Die Son­ne schien, und es war Wochen­en­de. Na schön, viel­leicht wird das alles anders, wenn man gra­tis hier­her darf. »Ich sage allen Nörg­lern zum Trotz – die Lan­des­gar­ten­schau ist ein Erfolg für Tor­gau.« Für sein Unter­neh­men trifft das gewiss zu.

Natür­lich gibt es auch ein »High­light«. In der ent­le­gen­sten Ecke hat man einen Aus­sichts­turm gepflanzt, »Deich­gucker« gehei­ßen, weil er hin­term Elb­damm steht. Von dort hat man einen Blick auf die Eisen­bahn­brücke mit beschmier­ten Pfei­lern sowie einen auf ein Feld von Solar­zel­len, auf Strom­ma­ste und auf das Glas­werk, das einst der größ­te Arbeit­ge­ber der Regi­on war. Ab und an rollt ein Regio­nal­zug über die Elb­brücke und dreht ein Bus­sard sei­ne Run­den über den Elb­wie­sen. Fan­ta­stisch, irre, toll, ein ech­ter Höhe­punkt. Der Weg nach unten durch eine Rut­sche aus Edel­stahl, um wenig­stens die Kin­der für den Auf­stieg und den lang­wei­li­gen Aus­blick zu ent­schä­di­gen, ist mit einer ver­schlos­se­nen Edel­stahl-Tür versperrt.

Ja, es gibt auch inter­es­san­te Hin­wei­se auf Tafeln (»Leben im Tot­holz«), Erklä­run­gen zu den vor­han­de­nen histo­ri­schen Stei­nen und zu den Spen­dern neu gepflanz­ter Bäu­me. Aber das alles will sich nicht zu einem har­mo­ni­schen Gan­zen fügen, es wirkt wie eine eklek­ti­sche Mischung aus Rou­ti­ne, Lan­ge­wei­le, feh­len­der Inspi­ra­ti­on, Kon­ser­va­tis­mus und Pro­vin­zia­li­tät. Irgend­wie erklärt sich das, wenn man das Inter­view mit dem Geschäfts­füh­rer der Lan­des­gar­ten­schau liest, das er vier Wochen nach der Eröff­nung der Tor­gau­er Zei­tung gab. Die Aus­künf­te bewe­gen sich zwi­schen belei­dig­ter Leber­wurst und Arro­ganz, Kri­tik perlt an ihm ab. »Ich war bei allen neun Gar­ten­schau­en betei­ligt«, sagt er und unter­streicht sei­ne Kom­pe­tenz als »Mister Lan­des­gar­ten­schau«, und wenn die 400.000 erwar­te­ten Besu­cher nicht kom­men, liegt es dar­an, dass die Stadt »ver­kehrs­tech­nisch nicht so gut ange­bun­den ist«. Beschwer­den, »dass zum Bei­spiel der Ein­tritt oder die Gastro­no­mie­prei­se zu teu­er sind«, dass ein Hun­de­ver­bot bestehe und nicht aus­rei­chend Hin­weis­schil­der in und vor der Stadt zu sehen sei­en, begeg­net er sou­ve­rän mit dem Steh­satz: »Man kann es nie allen recht machen.« Die 200 Schil­der müss­ten rei­chen. »Die aller­mei­sten Men­schen haben doch kein Pro­blem, die Ein­gän­ge zu finden.«

Es geht ja nicht nur um die Ein- und Zugän­ge, son­dern dar­um, dass man die Lan­des­gar­ten­schau über­haupt fin­det. Es gibt kein Wege­leit­sy­stem, wie man es bei­spiels­wei­se in Beelitz und auch ande­ren­orts fin­det, wo Publi­kum bun­des­weit gelockt und gelei­tet wer­den soll. Nein, so rich­tig pro­fes­sio­nell ist das alles nicht, kein Kuss, mit dem ein Dorn­rös­chen aus dem Schlaf geweckt wird, Zunei­gung sieht anders aus. Und soll­te das Ziel, also die 400.000 Besu­cher, nicht erreicht wer­den, haf­ten ande­re Mit­spie­ler: »Immer vor­aus­ge­setzt, dass das Wet­ter mit­spielt.« Viel­leicht wird die 10. Lan­des­gar­ten­schau in Sach­sen ja viel bes­ser. Die­se hier soll nach Selbst­aus­kunft des gebür­ti­gen Schwa­ben jeden­falls sei­ne letz­te gewe­sen sein.