Irgendwelche Visionäre verbreiteten die Idee eines »Mitteldeutschen Blütendreiecks« im Jahre 2022. (Abgesehen davon, dass ich unverändert meine Probleme mit der geografischen Benennung habe: Wenn der Osten Deutschlands nicht im Osten, sondern in der Mitte liegt: Wo ist dann der Osten? In Pommern, Schlesien, in West- und in Ostpreußen? Die sind nach meiner Kenntnis seit 1945 aber polnisch und russisch und keineswegs mehr deutsch.)
Dieses »mitteldeutsche Blütendreieck« sollte von drei Landesgartenschauen gebildet werden: Beelitz in Brandenburg, Torgau in Sachsen und Bad Dürrenberg in Sachsen-Anhalt, jeweils keine hundert Kilometer voneinander entfernt. Die sachsen-anhaltische LAGA wurde zu Beginn dieses Jahres auf 2023 verschoben, und im Mai hieß es, dass sie jetzt doch erst 2024 stattfinden werde. Der Landtag in Magdeburg habe zwar nun zusätzliche fünf Millionen beschlossen, aber die Zeit reiche nicht, um sie in der Erde des dortigen Kurparks (der Ort ist seit 1935 Kurbad) zu versenken. Herzstück der Gartenschau wird das 2019 abgerissene und nunmehr neu errichtete Gradierwerk sein. Auf 636 Metern Länge rieselt Sole über gewaltig in die Höhe ragende Reisigwände und setzt sich dort als Salz ab und heilsame Aerosole zur Freiluftinhalation frei. Die Rekonstruktion des historischen Bauwerks ist nicht ganz billig und sorgt dafür, dass Bad Dürrenberg mit 30 Millionen schon mal das Wettrennen bei den Investitionen gewonnen hat. Torgau kam auf 25 Millionen und Beelitz auf 22 Millionen Euro. So ist denn heuer der optische Vergleich lediglich zwischen Beelitz (s. Ossietzky 12/2022) und Torgau möglich.
Vielleicht lag es daran, dass mein Besuch zur falschen Zeit erfolgte – die Bäume blühten nicht mehr und die Frühlingsblumen waren dahin und noch nicht durch Sommerblumen ersetzt. So wirkte denn alles ein wenig farblos. Doch das war es wohl nicht allein, warum ich mit einiger Enttäuschung meinen Rundgang beendete. Dabei hatte der mit einer freundlichen jungen Russin aus Krasnojarsk an der Kasse begonnen. Sie lebe aber schon lange in Torgau, beeilte sie sich lebhaft zu versichern, als müsse sie sich für ihre Herkunft aus Sibirien entschuldigen.
Die Landesgartenschau nutzt den bestehenden Stadtpark, der Glacis heißt, denn Napoleons Truppen waren einst hier. Bis zu 26.000 französische Soldaten sollen am Ort bis 1813 stationiert gewesen sein und auch Bäume gepflanzt haben, die inzwischen uralt sind und weite Schatten werfen. Diese beachtliche Grünanlage, mehrere Dutzend Hektar groß, zieht sich von der Elbe rings um die Altstadt bis zum Hafen hin und wird seither von den Anwohnern – deren Zahl seit 1990 stetig schrumpft und deren Durchschnittsalter kontinuierlich wächst – gern besucht, was zu einem gewissen Unverständnis führte, dass sie für ihren gewohnten Spaziergang nunmehr 18 Euro am Tag oder 79 Euro für die Dauer der Landesgartenschau zahlen sollen.
Das Glacis queren einige Pisten. Ihre »Integration« sorgte bereits vor Eröffnung der Landesgartenschau für bundesweites Gespött. Schildau, das um die Ecke liegt, ließ grüßen. Man sperrte eine Straße für den Autoverkehr und überspannte sie mit einer aus Metallstangen und Lochblechstreifen gefertigten Brücke. Rollstuhlfahrer und Rollatorführer kamen dort nicht drüber, Rentner und Gehbehinderte nicht hinauf, Radfahrer und Kinderwagenschieber beiderlei Geschlechts sowie Diverse hatten ebenfalls ihre Mühe. Die fürsorgliche Begründung, dass mit diesem temporären Bauwerk den Fußgängern (oder wie es neudeutsch heißt: den zu Fuß Gehenden) weite Umwege erspart würden, wirkte in den Ohren vieler wie Hohn; für einen Verärgerten im Internet war gar die »Kotzgrenze überschritten«. Wenn man denn mit der Überquerung verhindern wollte, dass es zwei Schlupflöcher in der Absperrung gab, hätte man auch mal eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufmachen können. Vielleicht wären zwei Kontrollposten rechts und links des Weges billiger gekommen als ein solch verstörendes und Unmut erzeugendes Monstrum. Gut, dann hätte man sich eine andere Werbefläche für die Gastauftritte von DJ Ötzi, Angelika Milster und die Münchner Freiheit suchen müssen. Aber das hätte man gewiss verkraften können.
Zwischen und unter den mitunter bereits von der Miniermotte heimgesuchten Bäumen passiert sonst nicht allzu viel. Kinder können an grünen Trommeln drehen, um die hier beheimatete Vögel zu hören, am Ufer der gefluteten Eisbahnwiese stehen ein XXXL-Stuhl fürs Familien-Foto und am Wegesrand Blütenbilder von Angela Straßberger. An einer Wegekreuzung finden sich Installationen lokaler Unternehmen, die zumindest ein wenig origineller sind als die zwei Dutzend Paar Gummistiefel, welche unter einem zu großen Teilen vertrockneten Nadelbaum warten und deren tieferer Sinn sich mir nicht erschloss. Dann gab es noch die üblichen Bereiche, die sich in jeder Landesgartenschau finden: Mustergärten, Klassenzimmer und Kirche im Grünen, Blumenhalle, Streichelzoo, Verkaufsstände, kleine Auftrittsorte und eine große Bühne mit vielen Stuhlreihen davor. Und reichlich Beton. Das Bauunternehmen Ezel hat, wie deren Geschäftsführer der Lokalpresse stolz mitteilte, seit dem Start im September 2020 »um die 15 Millionen verbaut – der bis dato größte Auftrag in der Firmengeschichte«. Besonders stolz sei er auf den Sport- und Spielepark. Nun, als ich den weitläufigen »Skatepark« in der Eichwiese besuchte, war weit und breit kein junger Mensch zu sehen, der sich auf seinem Board in die Tiefe stürzte. Die Sonne schien, und es war Wochenende. Na schön, vielleicht wird das alles anders, wenn man gratis hierher darf. »Ich sage allen Nörglern zum Trotz – die Landesgartenschau ist ein Erfolg für Torgau.« Für sein Unternehmen trifft das gewiss zu.
Natürlich gibt es auch ein »Highlight«. In der entlegensten Ecke hat man einen Aussichtsturm gepflanzt, »Deichgucker« geheißen, weil er hinterm Elbdamm steht. Von dort hat man einen Blick auf die Eisenbahnbrücke mit beschmierten Pfeilern sowie einen auf ein Feld von Solarzellen, auf Strommaste und auf das Glaswerk, das einst der größte Arbeitgeber der Region war. Ab und an rollt ein Regionalzug über die Elbbrücke und dreht ein Bussard seine Runden über den Elbwiesen. Fantastisch, irre, toll, ein echter Höhepunkt. Der Weg nach unten durch eine Rutsche aus Edelstahl, um wenigstens die Kinder für den Aufstieg und den langweiligen Ausblick zu entschädigen, ist mit einer verschlossenen Edelstahl-Tür versperrt.
Ja, es gibt auch interessante Hinweise auf Tafeln (»Leben im Totholz«), Erklärungen zu den vorhandenen historischen Steinen und zu den Spendern neu gepflanzter Bäume. Aber das alles will sich nicht zu einem harmonischen Ganzen fügen, es wirkt wie eine eklektische Mischung aus Routine, Langeweile, fehlender Inspiration, Konservatismus und Provinzialität. Irgendwie erklärt sich das, wenn man das Interview mit dem Geschäftsführer der Landesgartenschau liest, das er vier Wochen nach der Eröffnung der Torgauer Zeitung gab. Die Auskünfte bewegen sich zwischen beleidigter Leberwurst und Arroganz, Kritik perlt an ihm ab. »Ich war bei allen neun Gartenschauen beteiligt«, sagt er und unterstreicht seine Kompetenz als »Mister Landesgartenschau«, und wenn die 400.000 erwarteten Besucher nicht kommen, liegt es daran, dass die Stadt »verkehrstechnisch nicht so gut angebunden ist«. Beschwerden, »dass zum Beispiel der Eintritt oder die Gastronomiepreise zu teuer sind«, dass ein Hundeverbot bestehe und nicht ausreichend Hinweisschilder in und vor der Stadt zu sehen seien, begegnet er souverän mit dem Stehsatz: »Man kann es nie allen recht machen.« Die 200 Schilder müssten reichen. »Die allermeisten Menschen haben doch kein Problem, die Eingänge zu finden.«
Es geht ja nicht nur um die Ein- und Zugänge, sondern darum, dass man die Landesgartenschau überhaupt findet. Es gibt kein Wegeleitsystem, wie man es beispielsweise in Beelitz und auch anderenorts findet, wo Publikum bundesweit gelockt und geleitet werden soll. Nein, so richtig professionell ist das alles nicht, kein Kuss, mit dem ein Dornröschen aus dem Schlaf geweckt wird, Zuneigung sieht anders aus. Und sollte das Ziel, also die 400.000 Besucher, nicht erreicht werden, haften andere Mitspieler: »Immer vorausgesetzt, dass das Wetter mitspielt.« Vielleicht wird die 10. Landesgartenschau in Sachsen ja viel besser. Diese hier soll nach Selbstauskunft des gebürtigen Schwaben jedenfalls seine letzte gewesen sein.