Für einen alten Meckerkopp wie unser-einen gehört es sich, selbst dem traurigen Abgesang des Schaltjahres 2020 und der coronaschwangeren Steißgeburt von 2021 noch etwas Satire nachzuwerfen. Schwer fiel mir das bei der Rückschau auf dieses beschissene 2020 nicht, zumal ich der These »Schlimmer kann›s nicht mehr kommen!« als erfahrener Optimist schon mehrmals erfolgreich ein Kontra entgegensetzen konnte. Mir ist allerdings bewusst, dass ich meine Schlaubergereien nicht bis zum St.-Nimmerleinstag zurückhalten kann, denn ich zähle zur pandemischen Risikogruppe, und wann und wie nachhaltig der rettende Impfstoff meinen über 85-jährigen biblischen Korpus runderneuern wird, hängt von den Resultaten der medizinischen Forschung, dem Gerangel zwischen den Bundesländern und Parteien und den Raffinessen des digitalen Datenklaus ab.
Doch halten wir noch etwas Rückschau auf das verblichene Jahr. Kaum mit Donner und Pulverdampf empfangen und mit den üblichen nutzlosen Gutwünschen für die Verwandtschaft und die Freunde ausgestattet, war 2020 über uns hergefallen wie eine Stichflamme über vertrocknetes Getreide. Und wer gesund blieb, konnte sich freuen, zumal Gesundheit sowieso nichts anderes ist als die Summe nicht eingefangener, überwundener oder vernachlässigter Krankheiten und Symptome.
Manches verlief wie gewohnt, so die weltumspannende Beschwörung von Frieden, Freiheit, Menschenrechten und Demokratie parallel zu regionalen Kriegen und Terrorakten sowie das zeitraubende Palaver aller möglichen Gremien über und um alle nur denkbaren Wichtig- und Nichtigkeiten. Davon hoben sich das britannische Brexit und die darauf ausgerichteten Begründungen von Herrn Johnson als besondere rhetorische Höhepunkte ab.
Was hat sich noch ereignet? Als nach eigenem Zeugnis bisher erfolgreichster USA-Präsident seit Winnetou und Kolumbus lief Donald Trump seinem Vornamensvetter Donald Duck den Rang ab und unterstellte den Demokraten die hinterhältige Fälschung von Wahlresultaten. Trump errichtete eine längere Mauer als weiland Walter Ulbricht, beförderte bewährte internationale Vereinbarungen in den Schredder der Geschichte und initiierte gegenüber den Medien einen forschen Austausch von Aggressivitäten und Fakes. Die Pandemie wurde von ihm zunächst ignoriert, dann China in die Schuhe geschoben und letztlich als eigener Kampfeserfolg glorifiziert. Seine internationalen Aktivitäten führten – um es vorsichtig zu formulieren – häufig zu Unwägbarkeiten und erschwerten der internationalen Politik das Taktieren mit dem America-first-Vorbild. Trumps Nachfolger Joe Biden, der häufig im Senioren-Marathonschritt zum Rednerpult hechtete, ist nicht um das Erbe seines Vorgängers zu beneiden.
Aber bleiben wir noch etwas innerhalb der bundesdeutschen Grenzen: Die hiesigen Parteien tauschen noch immer häufig und mit erstaunlichen Resultaten ihre Spitzenkader aus, der Luftverkehr wurde durch zu früh geschlossene, zu spät eröffnete und zu hochgradig elektrifizierte Flughäfen zum Kollaps disqualifiziert, und als sich dann noch Corona ausbreitete, wurden die Bürger vom frühen Lenz bis zum späten Advent zu vitalen Testkörpern gestylt.
Apropos Advent: Das Wort kommt aus dem Lateinischen, ist abgeleitet vom Verb »advenire« und verheißt – das ist aus dem lange zurückliegenden Latein-Unterricht selbst an mir hängengeblieben –, dass irgendetwas mit Gewissheit auf uns zukommen wird. In der Überlieferung ist es das Christkind, also Jesus, der als gottgesandter Erlöser die Menschheit von ihren Sünden befreien sollte. Utopien gab’s halt schon immer. Wenn man heutzutage in die Tagespresse schaut oder gebannt auf den Bildschirm starrt, weiß man, dass gegenwärtig immer wieder neue schwer reparable Defizite »fröhliche Urständ« feiern. Außerdem sei im Zeitalter statistisch beunruhigender Gewalttätigkeiten gegenüber dem schönen Geschlecht und überbelegter Frauenhäuser die Frage erlaubt, warum ausgerechnet ein »holder Knabe« das Werk vollbringen musste. Wäre es nicht endlich angebracht, bei Krippenspielen ein unschuldiges Mädchen ins duftige Heu zu packen und ihm die Erlösung zu übertragen? Außerdem wird oft verheimlicht, dass Klein-Jesus ein Flüchtlingskind war, dessen Geburtskomplikationen sich daraus ergaben, dass sich seine leiblichen Eltern aufgrund einer behördlich angeordneten Volkszählung an ihren Herkunftsort zu begeben hatten! Und das bei dem damals recht lückenhaft funktionierenden öffentlichen Personen-Nahverkehr und kurz nach dem üblichen Fahrplanwechsel im Dezember! Ein Glück, dass dabei nicht noch ein Ozean per Schlauchboot zu überwinden war! Manches ist eben viel aktueller als man glaubt.
Am Jahresende 2020 war es anstelle des Wartens auf den Heiland und die nächste Trump-Tirade wohl eher das Hoffen auf den Pandemie-Impfstoff, der den Völkern aller Nationen und den Bewohnern der Bundesländer und Landkreise die Angst vor einer Infektion nehmen und die Erlösung bringen sollte.
Und was gab es am Corona-Jahreswechsel für gute Ratschläge? Hört auf die Worte von Frau Merkel, Herrn Spahn, Herrn Müller, Herrn Prof. Drosten und Herrn Lauterbach! Benutzt Desinfektionsmittel anstelle von Parfum, niest im Bedarfsfall in die eigene Armbeuge oder die eigene Kniekehle und verbreitet beim Chorsingen weder Töne noch Aerosole. Haltet anderthalb Meter Entfernung zu den schlummernden Obdachlosen oder dem flottfingrigen Klavierspieler unter der Brücke am S-Bahnhof Frankfurter Allee, zu den quengelnden Enkel- und Urenkelkindern, zu den Nachbarn und zu Euch selber und beweist Eure künstlerischen Fähigkeiten durch die Gestaltung attraktiver und unverwechselbarer Gesichtsmasken. Bleibt zu Hause im bequemen Sessel, mailt oder telefoniert ab und zu mit der Verwandtschaft. Nehmt Euch für die selbstverordnete Quarantäne die Zeit, endlich den Ossietzky-Jahrgang 2020 zu sichten und den einen oder anderen Beitrag nochmals kritisch zu überdenken. Und freut Euch auf das Wahljahr 21 und darauf, dass die neue Bundeskanzlerin wahrscheinlich wieder ein Mann sein wird.
Entschuldigt bitte auch meine ungepflegte Frisur. Die verschärften Lockdown-Maßnahmen haben bewirkt, dass der vorgesehene Festtagsschnitt meiner üppigen Locken bis weit ins neue Jahr hinein lockendown bleiben muss. Wenn ich wieder mehr Durchblick habe, werde ich vielleicht auch in diesem Ossietzky-Jahrgang wieder altklug – und unaufgefordert, denn unsereinen fragt ja keiner – über alles herziehen, was Regierungen und Parteien hätten nachhaltig anders machen müssen.