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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Bilanz des Grauens

Der Jah­res­be­richt von Amne­sty Inter­na­tio­nal zur welt­wei­ten Anwen­dung der Todes­stra­fe für 2021 zeigt eine besorg­nis­er­re­gen­de Zunah­me von Hin­rich­tun­gen und Todes­ur­tei­len. Ins­ge­samt wur­den 579 Men­schen hin­ge­rich­tet – 20 Pro­zent mehr als im Vor­jahr. Eine Bilanz des Grauens.

Erhän­gen, Ent­haup­ten, Gift­in­jek­ti­on oder Erschie­ßen: min­de­stens 579 Men­schen in 18 Län­dern wur­den nach Anga­ben von Amne­sty Inter­na­tio­nal im Jahr 2021 auf die­se Wei­se hin­ge­rich­tet. Knapp ein Vier­tel der 2021 hin­ge­rich­te­ten Per­so­nen waren Frau­en. Nach dem nied­rig­sten Stand von Hin­rich­tun­gen im Coro­na-Jahr 2020 wur­den 2021 wie­der deut­lich mehr Men­schen durch Staa­ten hin­ge­rich­tet. »Ver­ant­wort­lich dafür ist eine klei­ne Grup­pe von Staa­ten, die an die­sen grau­sa­men und unmensch­li­chen Tötun­gen fest­hält, unter ande­rem Iran und Sau­di-Ara­bi­en, die staat­li­che Exe­ku­tio­nen im letz­ten Jahr stark aus­ge­wei­tet haben«, ver­laut­bart Amne­sty Inter­na­tio­nal. Die­ser Trend set­ze sich auch in den ersten Mona­ten des Jah­res 2022 fort.

Die Län­der mit den höch­sten bekannt gewor­de­nen Hin­rich­tungs­zah­len sind wie in den Vor­jah­ren Chi­na, Iran, Ägyp­ten, Sau­di-Ara­bi­en und Syri­en. Aller­dings sind in der Sta­ti­stik zahl­rei­che Todes­ur­tei­le nicht berück­sich­tigt, von denen Amne­sty Inter­na­tio­nal annimmt, dass sie ver­hängt und voll­streckt wur­den. Was die aktu­el­len Zah­len betrifft, ist für den größ­ten Teil des Anstiegs der Iran ver­ant­wort­lich. Dort stieg die Zahl der Hin­rich­tun­gen von min­de­stens 246 im Jahr 2020 auf min­de­stens 314 im Jahr 2021 – ein Anstieg von 28 Prozent.

In Sau­di-Ara­bi­en ver­dop­pel­te sich die Zahl der Hin­rich­tun­gen von 27 im Jahr 2020 auf 65 im Jahr 2021. Die Regie­rung von Moham­med bin Sal­man geht mit aller Här­te gegen poli­ti­sche und reli­giö­se Mei­nungs­äu­ße­run­gen vor, min­de­stens 3.000 poli­tisch Inhaf­tier­te sit­zen der­zeit in Sau­di-Ara­bi­en nach Schät­zun­gen der Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­ti­on in dor­ti­gen Gefäng­nis­sen ein. Todes­ur­tei­le wer­den wei­ter­hin voll­streckt. Allein an einem ein­zi­gen Tag waren im März die­ses Jah­res 81 Men­schen exe­ku­tiert wor­den. Ein bar­ba­ri­scher Rekord.

Neben der stei­gen­den Hin­rich­tungs­zahl in Sau­di-Ara­bi­en wur­den auch in fol­gen­den Staa­ten erheb­lich mehr Exe­ku­tio­nen regi­striert: Soma­lia (von 11 stieg die Zahl auf 21), Süd­su­dan (von 2 auf 9) und Jemen (von 5 auf 14). In Bela­rus (1), Japan (3) und den Ver­ei­nig­ten Ara­bi­schen Emi­ra­ten (1) wur­den nach Hin­rich­tungs­stopps im Vor­jahr erneut Todes­ur­tei­le voll­streckt. Die Zah­len sind bis auf jene aus Japan Min­dest­an­ga­ben, die Dun­kel­zif­fer dürf­te höher liegen.

Und wie in den Jah­ren zuvor, feh­len in die­ser Bilanz des Grau­ens die Anga­ben aus Chi­na, Nord­ko­rea und Viet­nam, wo ver­mut­li­che tau­sen­de Todes­ur­tei­le voll­streckt wur­den. Die Regie­run­gen die­ser drei Staa­ten hal­ten Anga­ben zur Todes­stra­fe unter Ver­schluss und behan­deln sie als Staats­ge­heim­nis. Eine unab­hän­gi­ge und genaue Über­prü­fung ist unmög­lich. Doch Amne­sty Inter­na­tio­nal geht davon aus, dass in Chi­na nach wie vor welt­weit die mei­sten Hin­rich­tun­gen statt­fin­den. Men­schen­rechts-Beob­ach­ter gehen von Tau­sen­den aus.

Stark gestie­gen ist auch die Zahl der aus­ge­spro­che­nen Todes­ur­tei­le. Welt­weit wur­den bei­na­he 40 Pro­zent mehr Todes­ur­tei­le ver­hängt als 2020. In 56 Staa­ten ver­ur­teil­ten Gerich­te min­de­stens 2.052 Men­schen zum Tode. Der Anstieg war beson­ders mar­kant in Ban­gla­desch (von 113 auf 181), Indi­en (von 77 auf 144) und Paki­stan (von 49 auf 129), außer­dem in Ägyp­ten (von 264 auf 356), der Demo­kra­ti­schen Repu­blik Kon­go (von 20 auf 81), dem Irak (von 27 auf 91), Jemen (von 269 auf 298), Myan­mar (von 1 auf 86) und Viet­nam (von 54 auf 119). Dabei han­delt es sich bis auf Indi­en um Mindestzahlen.

Tat­sa­che ist, dass die Todes­stra­fe in zahl­rei­chen Staa­ten als Instru­ment der staat­li­chen Repres­si­on gegen Min­der­hei­ten, Demon­strie­ren­de und Oppo­si­tio­nel­le ein­ge­setzt wur­de. So stell­te etwa die Mili­tär­re­gie­rung in Myan­mar unter dem herr­schen­den Kriegs­recht Zivil­per­so­nen vor Mili­tär­ge­rich­te, wo sie in Eil­ver­fah­ren zum Tode ver­ur­teilt wur­den und kei­ne Rechts­mit­tel ein­le­gen konn­ten. Ägyp­ti­sche Behör­den ver­ur­teil­ten vie­le Men­schen in unfai­ren Gerichts­ver­fah­ren vor Staats­si­cher­heits­ge­rich­ten zum Tode und grif­fen auch auf Fol­ter und Mas­sen­hin­rich­tun­gen zurück. Im Iran – so stellt Amne­sty fest – wur­den über­durch­schnitt­lich vie­le Todes­ur­tei­le gegen Ange­hö­ri­ge eth­ni­scher Min­der­hei­ten aus­ge­spro­chen, u. a. wegen vage for­mu­lier­ter Ankla­ge­punk­te wie »Feind­schaft zu Gott«.

Doch es gibt in die­ser glo­ba­len Schreckens-Bilanz auch posi­ti­ve Anzei­chen. Eini­ge Staa­ten schaff­ten die Todes­stra­fe ab, wie etwa Sier­ra Leo­ne, Kasach­stan und Papua-Neu­gui­nea. Die malay­si­sche Regie­rung kün­dig­te an, im drit­ten Quar­tal 2022 geplan­te Rechts­re­for­men zur Todes­stra­fe zu vor­zu­le­gen. In der Zen­tral­afri­ka­ni­schen Repu­blik und in Gha­na wur­den recht­li­che Pro­zes­se zur Abschaf­fung der Todes­stra­fe eingeleitet.

Auch in den USA, wo wäh­rend der Trump-Jah­re wie­der zahl­rei­che Hin­rich­tun­gen statt­fan­den, gibt es posi­ti­ve Ent­wick­lun­gen. So schaff­te der Bun­des­staat Vir­gi­nia 2021 als 23. Staat (und als erster Süd­staat) die Todes­stra­fe ab. Im Bun­des­staat Ohio wur­den das drit­te Jahr in Fol­ge alle geplan­ten Hin­rich­tun­gen ver­scho­ben oder aus­ge­setzt. Zudem gab die neue US-Regie­rung im Juli bekannt, dass sie alle Hin­rich­tun­gen auf Bun­des­ebe­ne (die unter Trump gera­de in sei­nen letz­ten Amts-Wochen voll­streckt wor­den waren) bis auf wei­te­res aus­set­zen würde.

Amne­sty Inter­na­tio­nal: Todes­stra­fe welt­weit 2021, https://www.amnesty.de/sites/default/files/2022-05/Amnesty-Bericht-Todesstrafe-weltweit-2021-auf-Englisch.pdf.

Buch-Tipp: Hel­mut Ort­ner, OHNE GNADE – Eine Geschich­te der Todes­stra­fe, Nomen Ver­lag 2020, 230 S., 22