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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Bauernland in rechter Hand?

Die klei­ne Sze­ne, deren Zeu­ge ich am Don­ners­tag, den 28. Janu­ar, auf dem Fuß­gän­ger­über­weg an der Karl-Marx-Allee, direkt gegen­über dem Kino Inter­na­tio­nal in Ber­lin-Mit­te, wur­de, erschien zunächst ganz lustig. Eine Mut­ter und ihre etwa fünf­jäh­ri­ge Toch­ter ste­hen bei Rot an der Ampel und war­ten, wäh­rend drei rie­si­ge Trak­to­ren um sie her­um auf der Allee wen­den, um sich auf der Gegen­spur in eine bereits gebil­de­te Schlan­ge von ande­ren Trak­to­ren ein­zu­rei­hen. »Guck mal, Mama«, ruft die Klei­ne. »Der Trecker hat ’ne Pira­ten­fah­ne vor­ne dran. Sind das etwa Pira­ten?« Ihr Mund bleibt vor Ent­zücken offen. »Nee«, gibt die Mama zur Ant­wort, »Pira­ten auf Treckern. So ein Quatsch!« »Sieht aber hübsch aus«, meint das Töch­ter­chen noch, als es an der Hand ihrer Mut­ter über die zwei­te Hälf­te des Fuß­gän­ger­über­wegs gezo­gen wird.

Als ich zur Fah­ne schaue, trifft mich dann fast der Schlag: Zum ersten Mal sehe ich im Ori­gi­nal die Land­volk-Flag­ge, die auf schwar­zem Grund einen wei­ßen Pflug zeigt, den ein senk­recht kreu­zen­des blut­ro­tes Schwert »ziert«. Vor zehn Jah­ren unge­fähr hat­te ich Hans Fal­la­das Roman »Bau­ern, Bon­zen, Bom­ben« gele­sen, in dem der Kampf der von Pfän­dun­gen und Steu­er­last bedroh­ten Bau­ern in Hin­ter­pom­mern gegen die Wei­ma­rer Land­wirt­schafts­po­li­tik am Ende der 20er Jah­re geschil­dert wird. Neben Dar­stel­lun­gen aus dem Redak­ti­ons­le­ben einer pom­mer­schen Pro­vinz­zei­tung und einem Feme­mord beschreibt Fal­la­da, der selbst in jener Zeit kurz Guts­ver­wal­ter gewe­sen war, in einer sehr anschau­li­chen Sze­ne, wie eben die­se Fah­ne den Bau­ern von säbel­schwin­gen­den Schu­po-Ein­hei­ten wäh­rend einer Demon­stra­ti­on gewalt­sam ent­ris­sen wird. Fal­la­da hat­te sich in sei­nem Roman an Gescheh­nis­sen ori­en­tiert, die sich aller­dings nicht in Pom­mern, son­dern im schles­wig-hol­stei­ni­schen Dith­mar­schen zutru­gen. Die sich hier um zwei Bau­ern­füh­rer scha­ren­den Land­wir­te hat­ten aus einer agrar­po­li­ti­schen Kri­se her­aus ihren berech­tig­ten Pro­test mit zuneh­mend aggres­si­ver Blut-und-Boden-Rhe­to­rik auf­ge­la­den. Die »Land­volk-Bewe­gung« gilt aus Sicht heu­ti­ger Geschichts­for­schung als demo­kra­tie­feind­li­che, anti­se­mi­ti­sche und natio­nal-völ­ki­sche Pro­test­be­we­gung gegen Ende der Wei­ma­rer Repu­blik. So weit, so gut; so weit, so schlecht. War­um aber, so fra­ge ich mich am näch­sten Tag, Frei­tag, als ich in der Leip­zi­ger Stra­ße aber­mals mit die­ser Fah­ne auf noch viel mehr Trak­to­ren kon­fron­tiert wer­de, füh­len sich offen­sicht­lich nicht weni­ge der oft noch jün­ge­ren Land­wir­te auf ihren Fendt-, Claas-, McCor­mick- oder Deutz-Maschi­nen bemü­ßigt, in ihren Pro­te­sten gegen ver­schärf­te Dün­ge­mit­tel­ver­ord­nun­gen, Pesti­zid­mes­sun­gen oder Tier­hal­tungs-Auf­la­gen die­se zwei­fel­haf­te Fah­ne zu zei­gen? Wie auch die Reich­kriegs­flag­ge des Deut­schen Kai­ser­rei­ches, ist die Flag­ge der Land­volk­be­we­gung nicht expli­zit ver­bo­ten. Nur fällt eben auf, dass die hier und heu­te pro­te­stie­ren­den Bestel­ler des sprich­wört­li­chen Nähr­bo­dens unse­rer Repu­blik mit ihrer rechts­la­sti­gen Flag­ge den demo­kra­ti­schen Boden unse­res poli­ti­schen Gemein­we­sens in offen­sicht­lich histo­risch gewoll­ter Umdeu­tung ihre Acker­flä­chen zu natio­na­len Schol­len zu ver­un­rei­ni­gen suchen. »Fair Trade für die deut­sche Land­wirt­schaft«, so heißt es hier. Und, sin­ni­ger­wei­se, in abge­wan­del­ter Form eines weit­hin bekann­ten Aus­spru­ches eines Cree-Häupt­lings: »Erst wenn der letz­te Bau­er, der letz­te Hand­wer­ker zugrun­de gerich­tet ist, wer­det ihr erken­nen, dass You­tuber, Influen­cer und Kli­ma­schüt­zer nichts produzieren.«

So fügen sich eini­ge Losun­gen an den Gerä­te­auf­hän­gun­gen der Trecker ten­den­zi­ell ein in den natio­na­li­sti­schen Rei­gen einer oft gera­de länd­lich gepräg­ten Kapi­ta­lis­mus­kri­tik, die sich wie­der ein­mal gegen »Die da oben«, »Die in Brüs­sel«, die vom »Deep-Sta­te«, die Kli­maspin­ner oder wen auch immer rich­tet. »Wer Bau­ern quält, wird abge­wählt«. »Fri­days for Future ist No-Future«. Und so wei­ter und so fort. Woge­gen jedoch rich­tet sich der Zorn der pro­te­stie­ren­den Land­wir­te, deren Groß­teil, trotz ver­ein­zel­ter Teil­nah­me von Süd­deut­schen oder Hes­sen, aus Nie­der­sach­sen und Schles­wig-Hol­stein zu stam­men scheint?

Tat­säch­lich fürch­ten vie­le Bau­ern­hö­fe von Dith­mar­schen bis hin­un­ter ins All­gäu die sie exi­sten­zi­ell bedro­hen­den Gewinn­ein­bu­ßen durch Abnah­me­preis­dum­ping von Super­markt­ket­ten und die kurz­fri­stig nicht umsetz­ba­ren Stan­dards für bio­lo­gisch kon­trol­lier­ten Anbau. »Lebens­mit­tel sind kei­ne Ramsch-Ware« – die­ses Pla­kat ist völ­lig zutref­fend, kommt aber im Kon­text finanz­markt­ge­bun­de­ner Spe­ku­la­tio­nen mit Getrei­de oder Saat­gut als eher mora­lin­saures State­ment daher. Wer ist der Adres­sat? Die durch die aktu­el­le Coro­na-Kri­se sich ver­schär­fen­de Spal­tung unse­rer Gesell­schaft in jene, die sich aus­schließ­lich von teu­ren, weil zer­ti­fi­zier­ten Bio-Lebens­mit­teln ernäh­ren kön­nen, und jene, die auf die immer gna­den­lo­ser ange­bo­te­nen Tiefpreis-»Schnäppchen« der Dis­coun­ter ange­wie­sen sind, lässt die Fort­exi­stenz fami­li­är geführ­ter Bau­ern­hö­fe immer gefähr­de­ter erschei­nen. Wenn die Nitrat­wer­te des Grund­was­sers in land­wirt­schaft­li­chen Nutz­flä­chen zu hohe Wer­te auf­wei­sen und des­halb die Bun­des­re­gie­rung, allen vor­an Julia Klöck­ner als Bun­des­land­wirt­schafts­mi­ni­ste­rin und Sven­ja Schul­ze als Bun­des­um­welt­mi­ni­ste­rin, die Ein­hal­tung der EU-Richt­li­ni­en zur Sub­ven­ti­ons­för­de­rung gefähr­det sehen, hat das direk­te Aus­wir­kung auf die Land­wir­te, die gegen­wär­tig beson­ders in der Schwei­ne- und Rin­der­hal­tung mas­si­ve kri­sen- und krank­heits­be­ding­te Ver­dienst­aus­fäl­le hin­zu­neh­men haben. Die­se Ent­wick­lun­gen pola­ri­sie­ren die Bau­ern. Eini­ge Land­wir­te sehen eine Agrar­kri­se rie­si­gen Aus­ma­ßes auf die Bun­des­re­pu­blik zukom­men. Inter­na­tio­na­le Abneh­mer­ver­ein­ba­run­gen ste­hen eben­so auf dem Spiel wie der Dia­log der Land­wir­te mit den Poli­ti­kern. »Lie­be Regie­rung, ich habe fer­tig mit dir.« Der Spruch auf dem John-Dee­re-Trak­tor mit Ost­hol­stei­ner Kenn­zei­chen zeugt von einem mas­si­ven Ver­trau­ens­ver­lust in die bun­des­deut­sche Agrarpolitik.

Ande­re Land­wir­te, die auf den Pro­test­ver­an­stal­tun­gen hier in Ber­lin wohl weni­ger ver­tre­ten sind, sehen in der Nähe des größ­ten agrar­wirt­schaft­li­chen Lob­by­ver­eins, des Deut­schen Bau­ern­ver­ban­des, zum CDU-geführ­ten Agrar­mi­ni­ste­ri­um das eigent­li­che Pro­blem. Solan­ge die EU-Agrar­sub­ven­tio­nen zugun­sten inten­si­vier­ter Pflan­zen­pro­duk­ti­on und Tier­hal­tung auf immer grö­ße­ren, teil­wei­se auch spe­ku­la­tiv erwor­be­nen Nutz­flä­chen von Agrar­un­ter­neh­men flie­ßen, haben Fami­li­en­be­trie­be über­haupt kei­ne Chan­ce, ihre Höfe wirt­schaft­lich trag­fä­hig umzu­ge­stal­ten, weil die hier­für von Klöck­ners Mini­ste­ri­um bereit­ge­stell­ten Sub­ven­tio­nen nicht aus­rei­chen. Die »Landvolk«-Protestierenden sehen zwar zu Recht ihre direk­ten Fein­de in den sie letzt­lich bezah­len­den Groß­han­dels­ket­ten. Doch ihre For­de­rung an die Agrar­po­li­ti­ker nach mehr Geld und danach, etwas »zu machen«, scheint eher ein­falls- und kraft­los, auch wenn hier und da im Bun­des­ge­biet die Trak­to­ren die Zulie­fer­ein­fahr­ten von Dis­coun­tern blockie­ren. Denn statt auf eine staat­lich gelenk­te Ver­brau­cher­preis­po­li­tik im Bereich der Lebens­mit­tel zu drin­gen, statt ein kla­res State­ment des Bau­ern­ver­ban­des zum Kli­ma­schutz zu for­dern und die­ses mit dem Ruf nach poli­ti­schem Druck auf die Preis­ge­stal­tung der Super­markt­ket­ten zu ver­bin­den, tap­pen die Land­wir­te der Land­volk-Beflag­gung ein­mal wie­der in die unsäg­li­che Fal­le eines reak­tio­nä­ren, natio­na­li­sti­schen und letz­ten Endes anti­de­mo­kra­ti­schen Selbst­ver­ständ­nis­ses. Und schä­di­gen das Anse­hen ihres Berufs­stan­des, der sich tra­di­tio­nell eigent­lich einer sehr hohen Ach­tung in der Bevöl­ke­rung erfreut.