»Ach«, der Rezensent empfiehlt, während der Lektüre dieses vermeintlich so unscheinbare Wörtlein, welches dem Roman den Titel gibt, öfter auszurufen, zu sprechen, zu murmeln und so fort. Warum? Einmal, weil wir in unserem Leben sowieso nicht ohne die nuancenreiche Interjektion auskommen, zum anderen, weil dieser Roman das Ach-Sagen erforderlich macht. Denn das Kunstvolle, das man dem Roman attestieren muss, gerät stellenweise zu künstlich und schmeckt dann ein wenig fade. Das hat vielleicht mit dem Plot zu tun, der in Kürze so geht: Die Ehe der Sängerin Nina, tätig im klassischen Fach, und des Schriftstellers Konstantin Wörner scheint, wie so viele Ehen, gut zu funktionieren. Der Klappentext setzt dabei folgende Prämisse: »Sie lieben und brauchen sich, haben den gleichen Humor, können miteinander reden. Ihre sexuellen Bedürfnisse allerdings klammern sie dabei aus und betrügen einander.« Dies geht so vor sich, dass Nina mit ihrem Korrepetitor ins Bett geht und Konstantin mit einer überaus kalten Frau, Ava mit Namen, die aber nur ausgedacht ist. Dass ausgedachte Gestalten sozusagen leibhaftig in eines Schriftstellers Leben treten, das ist keine ganz neue Erfindung. Originell ist, dass Konstantin, Freunde und Nina nennen ihn »Kon«, mit solchen Geschichten, »Trostgeschichten« sollen es sein, den Versuch unternimmt, Nina zurückzugewinnen. Wir wissen, dass in Texten der Weltliteratur um das Leben, gegen die Angst oder gegen die Pest erzählt wird – dass ein Mann mit Geschichten um eine Frau wirbt, das ist eine feine Idee. Und viele der Trostgeschichten sind recht überzeugend, diese Ava meint man zu kennen: »Ich weigere mich entschieden zu akzeptieren, meine Bestimmung in der Welt auf die Zuständigkeit eines Wohlfühlprogramms für andere zu reduzieren.« Das denkt Ava beim Anblick ihres Babys, sie will keine warmen Worte, nur damit sich das kleine Mädchen im Wagen »wohlfühlt in ihren verkackten Windeln«.
Wenig trostreich sind solche Sentenzen. Und so scheitert auch Konstantin mit seinen Rückgewinnungsabsichten und -geschichten. Er flieht in die Bereiche, die man heute gern »Parallelwelten« nennt – ob man das Wort nun mag oder nicht: Nele Heyse schildert sie trefflich, doch anders als in Wörners Geschichten geht es dort auch nicht zu. Es gelingen der Autorin genaue Beschreibungen unseres konfusen Alltags, der Nebensächlichkeiten, mit denen unsere Leben zugeschüttet werden, auch des leeren Geredes, mit dem wir uns gegenseitig abspeisen. Freilich läuft in diesem Buch fast jede Episode auf das Ziel »Beischlaf« (Sex, Koitus und was der Sprachgebrauch dafür noch bereithält, denn zimperlich ist die Autorin nicht) hinaus. Wahrscheinlich entsteht dadurch manchmal der Eindruck von konstruierter Künstlichkeit. Doch es sei noch einmal betont: Diese Künstlichkeit ist auch mit großer Kunstfertigkeit verbunden, denn die »Hauptgeschichte« ist meisterlich mit den »ausgedachten Geschichten« des Schriftstellers Konstantin Wörner verwoben. Dies zu lesen und zu verfolgen, bereitet durchaus ästhetischen Genuss. Weniger angenehm sind die vielen sprachlichen Ungenauigkeiten und Fehler, sind die vielen, vielen »Irgendwie« und »Ziemlich«; manches Bildungszitat wirkt aufgesetzt.
Fast filmreif kommt der Showdown dieses Romans daher, mit manchem »Ach« und oftmals »Arsch«, aber da wirkt der Roman, obwohl es ein Hoffnungsbegräbnis ist, fast authentisch, das »wunderbar sinnliche« Erzählen, noch im Verlagskatalog verheißen, zerschellt an der Wirklichkeit – man gewinnt dort den Eindruck, als träte man plötzlich heraus aus der Literatur. Aber: Zwei Leben können weitergehen, auch wenn darüber ein »Ach« steht. Wie über unser aller Leben.
Nele Heyse: Ach, Roman, Mitteldeutscher Verlag, 352 S., 20 €.