Der amerikanische Schriftsteller Jack Kerouac zählte mit Allen Ginsberg und William S. Burroughs zu den führenden Stimmen der Beat-Generation, die in den Fünfzigern des 20. Jahrhunderts eine der prägendsten subkulturellen Bewegungen der USA begründete. Kerouac wurde zum gefeierten Initiator der Gegengesellschaft von New York bis Westeuropa. Mit seinen Romanen drückte er das Lebensgefühl einer ganzen Generation aus. Im Fokus seines Schaffens standen Themen wie existenzielle Entwurzelung, Freiheitsdrang, Lebenshunger und die Suche nach Erleuchtung. Besonders mit seinem längst zum Klassiker avanciertem Roman »On the road« (dt. »Unterwegs«) hatte er einen großen Einfluss auf die amerikanische Jugendkultur.
Zum 100. Geburtstag des ersten Popliteraten der Literaturgeschichte hat der Germanist Nicola Bardola eine erste deutschsprachige Biografie über Jack Kerouac vorgelegt. In sechzehn Kapiteln zeichnet er den Lebensweg des legendären Beatniks nach. Geboren am 12. März 1922 in Lowell, Massachusetts, stammte Kerouac aus einer franko-kanadischen Familie. Die englische Sprache erlernt er erst mit seiner Einschulung. Zunächst besucht er die High School in Lowell, ehe er 1939 an die »Horace Mann Prep School« in New York wechselt. Aufgrund seines Fußballtalentes bekommt er ein Stipendium der Columbia University, wo er Allen Ginsberg und William S. Burroughs kennenlernt. Infolge eines Beinbruchs wechselt er während des Zweiten Weltkriegs zunächst zur Handelsmarine und ab 1943 zur United States Navy, wird aber im Jahr darauf wegen psychischer Probleme entlassen. Wenn er nicht auf See ist, trifft er sich mit seinen Freunden und zieht mit ihnen durch New York.
Es beginnen wilde Jahre mit Drogen, Partys, schnellen Autos, Mädchen und Jazz. Kerouac bereist Mexiko und Europa, arbeitet als Baumwollpflücker, Eisenbahner oder Möbelpacker. Daneben beschäftigt er sich intensiv mit Literatur, vor allem mit Thomas Wolfe. Diese gründliche Auseinandersetzung bildet die Grundlage für sein Erstlingswerk »The Town and the City« (1948). Zwar ist der Roman kein großer Erfolg, dennoch beschließt Kerouac, Schriftsteller zu werden.
Doch dann lernt er den Kleinkriminellen Neal Cassady kennen. Mit dem charismatischen und extrovertierten Freund reist er kreuz und quer durch die USA, immer auf der Suche nach Freiheit und der besten Party. Eigentlich steckt dahinter die verzweifelte Suche der beiden jungen Männer nach einem Lebenssinn. »Nichts hinter mir, alles vor mir, wie das auf der Straße immer ist.« Kerouac will darüber schreiben, sucht aber zunächst noch nach den richtigen Ausdrucks- und Sprachmitteln. Erst mit dem Rhythmus der Bebop-Jazzmusiker findet Kerouac schließlich seinen Stil, indem er die Sprache dem spontanen Leben seiner Protagonisten anpasst. In einer wahren Schreibexplosion entsteht innerhalb von drei Wochen des Jahres 1951 das Manuskript zu »On the road«, das er auf eine zusammengeklebte Schriftrolle aus Butterbrotpapier von 37 Meter Länge tippt. Das ermöglicht ein schnelles Schreibtempo, Tag und Nacht hämmert er im Schreib- und Drogenrausch den Text in die Maschine. Kerouac hofft, den Roman in dieser ungewöhnlichen Form veröffentlichen zu können. Doch es findet sich kein Verleger, und so erscheint »On the road« erst 1957 in Buchform. (Übrigens wurde die markante Schriftrolle 2001 für knapp zweieinhalb Millionen Dollar versteigert.) Das Kultbuch, ein »Lebensratgeber für die Generationen«, ist in viele Sprachen übersetzt worden und hat wohl inzwischen eine Auflagenhöhe von fünf Millionen Exemplaren erreicht. In deutscher Übersetzung erschien der Roman 1959 bei Rowohlt; die DDR-Leser mussten noch bis 1978 warten, ehe er in Reclams Universal-Bibliothek (Band 760) gedruckt wurde.
Ende der 1950er und Anfang der 1960er Jahre entstehen weitere Romane, die ebenfalls einen autobiografischen Hintergrund haben oder vom Zen-Buddhismus beeinflusst sind, darunter »The Subterraneans« (1958, dt. »Bebop, Bars und weißes Pulver«), »The Dharma Bums« (1958, dt. »Gammler, Zen und hohe Berge«), »Maggie Cassidy« (1959) oder »Lonesome Traveller« (1960). Sie erreichen aber nicht mehr die Breitenwirkung seines Hauptwerkes.
Kerouac, der dreimal verheiratet war, weiß jedoch nicht mit seinem zwischenzeitlichen Ruhm umzugehen; er zieht sich immer mehr zurück und verfällt völlig dem Alkohol. Die Rolle des »Propheten of the Beats«, die ihm aufgedrängt wird, stößt ihn ab. Er fühlt sich missverstanden. Sein experimenteller Erzählstil (angeblich ohne Bearbeitungen), den er selbst »spontane Prosa« nennt, wird von der Literaturkritik häufig als »Geschreibsel« abgetan. Die letzten Jahre lebt er bei seiner Mutter, die ihm in dieser Zeit Halt gibt. Am 21. Oktober 1969 stirbt Jack Kerouac, von Alkohol und anderen Drogen zerstört, im Alter von 47 Jahren in Saint Petersburg, Florida. Nach seinem Tod gerät er vorübergehend in Vergessenheit, ehe dann Mitte der 1970er Jahre eine Renaissance einsetzt, als auch seine letzten Werke posthum erscheinen. Heute ist Kerouac, der nie einen Literaturpreis oder eine ähnliche Auszeichnung bekam, einer der wichtigsten und einflussreichsten Autoren des 20. Jahrhunderts, der mit seinem Werk die Türen auch für spätere Jugendbewegungen geöffnet hat, obwohl er sich nie mit der Gegenkulturbewegung der 1960er Jahre identifiziert hat.
Ausführlich zeichnet Bardola die Lebensstationen des legendären Beatniks nach, wobei der Schwerpunkt auf den 1950er Jahren bis hin zu seinem Durchbruch mit »On the road« liegt. Daneben beleuchtet der Autor Kerouacs literarisches Schaffen, seine Suche nach dem eigenen Sound und Stil. Anhand zahlreicher Beispiele werden die stilistischen Veränderungen vom Frühwerk bis zu den posthum veröffentlichten Werken herausgearbeitet. Bardola zeigt auch, dass Kerouacs Image eines Alkohol- und Drogen-Predigers, das ihm angeheftet wurde und zu dem er durch seinen Lebensstil, der im krassen Gegensatz zu den bürgerlichen Vorstellungen stand, selbst beitrug, seinem vielschichtigen Werk nicht gerecht wird. Kerouac hat unzählige Künstler beeinflusst, darunter die Beatles, die Doors oder Bob Dylan, der stets auf seine Geistesverwandtschaft mit dem »Beat-Poeten« hingewiesen hat. Auch deutsche Poeten oder Musiker sahen in seiner Erzählweise ein Vorbild wie Rolf Dieter Brinkmann, Peter Handke, Nicolas Born, Ludwig Fels, Wolf Wondratschek oder die Sportfreunde Stiller und Wolfgang Niedecken. Bardola, der u.a. schon Biografien über John Lennon, Yoko Ono oder Ringo Starr veröffentlichte, vergleicht Jack Kerouac mit John Lennon: Beide waren kreative Köpfe, beide starben jung und hatten zum Zeitpunkt ihres Todes ihren schöpferischen Zenit überschritten. Ergänzt wird die Neuerscheinung durch eine umfangreiche Bibliografie und einen Bildteil mit einigen persönlichen Fotos von Kerouac.
Nicola Bardola: Jack Kerouac – Beatnik – Genie – Rebell – Die Biografie, Wilhelm Goldmann Verlag, München 2022, 368 S., 20 €.