Fast 40 Jahre lang wurde der Anwalt und Bürgerrechtler, der Publizist und Mitherausgeber dieser Zeitschrift, Rolf Gössner, vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet und als vermeintlicher Staats- und Verfassungsfeind stigmatisiert. Dokumentiert ist dies in einer mehr als 2000 Seiten umfassenden Personalakte, die der Geheimdienst über Gössner angelegt hat und die bis heute zum größten Teil geheim bleibt. Dass diese personal- und kostenintensive Überwachung illegal war, hat das Bundesverwaltungsgericht im Dezember 2020 mit der Zurückweisung einer Revision der beklagten Bundesrepublik gegen ein Berufungsurteil aus NRW abschließend bestätigt. Gössner habe zu keinem Zeitpunkt in seinen Reden und Schriften verfassungsfeindliche Ansichten vertreten, noch solche Ziele verfolgt. Verstöße des Verfassungsschutzes gegen die Grundrechte Gössners auf informationelle Selbstbestimmung, Meinungsfreiheit, Presse- und Berufsfreiheit haben laut Gericht »ein nach wie vor beachtliches, ein Rehabilitationsinteresse des Klägers ohne Weiteres begründendes Gewicht«. Für die Bundesregierung ist dieses Urteil, mit dem ein 15-jähriger Prozessmarathon zu Ende ging und Gössner vollumfänglich rechtlich rehabilitiert wurde, eigentlich eine schallende Ohrfeige.
Der Fall von Rolf Gössner war bezüglich Dauer der Überwachung und Länge des rechtlichen Verfahrens herausragend. Doch ist der Anwalt bei weitem nicht der einzige Bürger, der rechtswidrig vom Verfassungsschutz observiert und diffamiert wird. Schon deswegen sollte die rechtliche Rehabilitierung von Rolf Gössner nicht der alleinige Abschluss dieses Überwachungsfalls sein, der ein Arbeitsleben lang erhebliche Auswirkungen auf die berufliche Tätigkeit des Betroffenen, als Anwalt und Publizist, und damit auf verfassungsrechtlich geschützte Berufsgeheimnisse, auf Mandantenverhältnisse und publizistische Quellen und Informanten hatte. Die Linksfraktion hat daher eine Kleine Anfrage gestellt, um zu erfahren, welche politischen, behördlichen und gesetzgeberischen Schlussfolgerungen die Bundesregierung nun aus dem Urteil bezüglich des Verfassungsschutzes ziehen wird. Doch die Ende Mai eingetroffene Antwort war mehr als ernüchternd.
Die Linksfraktion wollte etwa wissen, ob sich die Bundesregierung des Problems bewusst sei, dass eine jahrzehntelange geheimdienstliche Beobachtung einer rufschädigenden Stigmatisierung gleichkommt und gravierende Nachteile persönlicher, aber auch beruflicher und finanzieller Art nach sich ziehen kann, weil sich Mandanten, Journalisten, Informanten, Verbände etc. von der Kontaktaufnahme, von Mandatserteilungen, Referentenanfragen oder der Weitergabe von Informationen im Rahmen investigativer Recherchen abschrecken lassen. Zur Antwort verweist die Bundesregierung auf eine von ihr immer noch als gültig angesehene Antwort auf eine andere Kleine Anfrage der Linken vor zehn Jahren. Und die lautet: »Die Bundesregierung ist sich der aus der Beobachtung resultierenden Konsequenzen für die Betroffenen bewusst. Sie sind Teil der Rechtmäßigkeitsprüfung und als solche im Rahmen der Feststellung der Verhältnismäßigkeit bei jeder Beobachtungsmaßnahme zu berücksichtigen.« Dass diese Verhältnismäßigkeits- und Rechtmäßigkeitsprüfung im Überwachungsfall Gössner offensichtlich über Jahrzehnte entweder nicht erfolgt ist oder aber nur oberflächlich, einseitig-interessegeleitet und ideologisch motiviert durchgeführt worden ist, ignoriert die Bundesregierung. Hier haben sämtliche Überprüfungs- und Kontrollmechanismen auf allen Ebenen grandios versagt. »In handgreiflicher Weise unangemessen«, wertete das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls diese illegale Beobachtung durch den Verfassungsschutz angesichts ihrer Dauer. »Der Schutz der Berufsgeheimnisträgerinnen und -träger ist aus Sicht der Bundesregierung hinreichend geregelt«, zeigt sich die Regierung überzeugt, obwohl der Fall Gössners, der als Anwalt und Journalist gleich doppelter Berufsgeheimnisträger ist, doch jahrzehntelang gerade das Gegenteil bewiesen hatte.
Weiterhin wollte die Linksfraktion wissen, ob die Bundesregierung eine Entschuldigung von berufener Stelle und ein Angebot zur Wiedergutmachung gegenüber Rolf Gössner wegen des ihm staatlicherseits zugefügten Unrechts für geboten halte. »Aus Sicht der Bundesregierung besteht kein Anlass für Konsequenzen im Sinne der Fragestellung«, lautet hier die Antwort.
Die Antworten der Bundesregierung sind ein Ausdruck von Verantwortungslosigkeit und Arroganz der Macht. Die Bundesregierung ist sich weder einer Schuld bewusst, noch sieht sie die geringste Veranlassung, politische Konsequenzen zu ziehen, um der Spitzeltätigkeit des Geheimdienstes zukünftig zumindest engere Grenzen zu setzen. Damit aber bestätigt die Bundesregierung letztlich die Position der Linksfraktion, wonach der Verfassungsschutz mangels demokratischer Transparenz und Kontrolle als Geheimdienst nicht reformierbar ist und aufgelöst gehört.