Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Argumentation eines Gewaltfreien vor Gericht

Wenn ihr aber vor Gericht gestellt wer­det, macht euch kei­ne Sor­ge dar­über, wie oder was ihr sagen sollt. (Mat­thä­us 10,19)

Dem­nächst darf ich zum drit­ten Mal vor Gericht argu­men­tie­ren. Was ich sagen will, das geht mir schon lan­ge vor­her durch den Kopf. Die Gedan­ken, die ich spä­ter ein­brin­gen wer­de, kom­men mir wäh­rend ande­rer All­tags­ver­rich­tun­gen, und ich notie­re sie mög­lichst sofort. Ich mache mir eine Glie­de­rung, ich recher­chie­re, ich zitie­re. Und ich will mich beschrän­ken, will nicht län­ger als cir­ca zwan­zig Minu­ten reden, damit der Rich­ter oder die Rich­te­rin nicht unge­dul­dig wird. Ich will genau sein und tref­fend. Kein Wort zu viel, keins zu wenig. Ich wer­de zum Rhetor.

Sol­che Rhe­to­rik scha­det dem Cha­rak­ter, denn sie macht eitel. Manch­mal habe ich den Ver­dacht, dass wir vor Gericht viel zu viel reden. Na ja, unse­re Freun­de in den USA haben ande­re Pro­ble­me: Sie dür­fen zu den Grün­den für ihre Gesetz­über­tre­tung gar nichts sagen. Da ist die Gewalt der Justiz gegen die Gewalt­lo­sig­keit ganz unver­hüllt. Ich fra­ge mich (und will mei­ne US-Freun­de noch fra­gen), wie das in den USA mit Mord und Tot­schlag ist: Darf da auch kein Wort über die Moti­va­ti­on des Ange­klag­ten ver­lo­ren wer­den? Aber egal, hier in Deutsch­land, so ist mein Ver­dacht, ist es nur die Lang­mut der Rich­ter, die uns reden lässt; wahr­schein­lich hät­ten sie eben­so das Recht wie die in den USA, uns abzu­wür­gen (wie das ein Rich­ter in Bonn getan hat, als ich wegen eines Buß­gel­des Beru­fung ein­ge­legt hat­te) und nur die Fra­ge zuzu­las­sen: Hat sie das Grund­stück betre­ten? Hat er den Zaun zer­schnit­ten? Und dann nach dem Buch­sta­ben des Geset­zes zu urteilen.

Neu­lich pas­sier­te etwas Kurio­ses: Einer von uns, der vor Gericht stand, ver­has­pel­te sich und stot­ter­te her­um. Nach­her wur­de er von einer der Besu­che­rin­nen des Pro­zes­ses hef­tig ange­grif­fen: War­um er sich nicht bes­ser vor­be­rei­tet habe, man sei nicht Hun­der­te von Kilo­me­tern gereist, um so ein Desa­ster zu erle­ben …! Der Aus­bruch war mensch­lich ver­ständ­lich, aber beruh­te auf einem Irr­tum. Das, was von dem Akti­vi­sten zu lei­sten gewe­sen war, war bereits vor der Ver­hand­lung gelei­stet wor­den, näm­lich der Akt des zivi­len Unge­hor­sams. Der Besuch einer Gerichts­ver­hand­lung hat nicht den Zweck, einen rhe­to­ri­schen Schlag­ab­tausch zu erle­ben, son­dern ist, abge­se­hen von der Her­stel­lung der Öffent­lich­keit, ein Bekennt­nis zu eben dem Akt des zivi­len Unge­hor­sams, den der oder die Ange­klag­te ver­tritt. Der Akt spricht für sich selbst, was im Gerichts­saal dazu zu sagen wäre, ist ver­gleichs­wei­se unerheblich.

Wir haben selbst­ver­ständ­lich in den Augen der Rich­te­rIn­nen noch ein Pro­blem: Wir neh­men uns oft kei­nen Rechts­an­walt, also muss man uns nicht für voll neh­men. Lass sie reden, den­ken sie sich, es sind Lai­en. Sobald ein Mensch »vom Fach« dazu­kommt, haben sie mehr Respekt. Das bringt mich dazu, mög­lichst nicht juri­stisch argu­men­tie­ren zu wol­len, denn auf die­sem Feld kann ich nur her­um­stüm­pern. Mei­ne Idee dazu ist, dass sie mich, wenn ich ein­fach und ver­ständ­lich rede, in mei­ner Mensch­lich­keit aner­ken­nen müs­sen, die Über­set­zung ins Juri­sti­sche müs­sen sie als Juri­sten selbst lei­sten. Ob sie das auch tun? Oder ob sie eher zu gäh­nen anfan­gen? Nun gut, ich den­ke, bei den bis­he­ri­gen Pro­zes­sen in Gar­de­le­gen haben unse­re geball­ten Argu­men­te schon eini­gen Ein­druck gemacht. Jeden­falls sah sich die Staats­an­wäl­tin gezwun­gen, schließ­lich etwas lau­ter und deut­li­cher zu reden und nicht mehr so zu nuscheln wie am Anfang. Und der Rich­ter, der mich in sei­ner münd­li­chen Urteils­be­grün­dung noch mit weni­gen Wor­ten abge­speist hat­te, wur­de am Ende der Pro­zess­se­rie recht aus­führ­lich, ja per­sön­lich: Er sah sich gezwun­gen zu erklä­ren, dass er jeden­falls nicht mei­ne, dass die Bun­des­wehr Angriffs­krie­ge vor­be­rei­tet und die Ver­fas­sung durch den Bau von Schnög­gers­burg ver­letzt wird. Das war doch schon mal was.

Ich erin­ne­re mich an Berich­te über frü­he­re Jahr­hun­der­te: War es der berühm­te Stör­te­becker oder war es ein ande­rer Ver­bre­cher, der im Wis­sen, dass er sowie­so gefol­tert und getö­tet wer­den wür­de, kein Blatt mehr vor den Mund nahm? Aus­führ­lich klag­te er die Herr­schen­den ihrer Ver­bre­chen an, in einer Wei­se, wie das sonst nie­mand zu tun wag­te. Er hat­te eben nichts mehr zu ver­lie­ren. Ich geste­he, dass ich eben­so wie ein sol­cher Despe­ra­do in der Gefahr bin, es in mei­ner Rhe­to­rik zu über­trei­ben. Einer­seits habe ich die Angst ver­lo­ren, denn ich weiß, die Stra­fe wird weder Fol­ter noch Hin­rich­tung sein. Ande­rer­seits könn­te eine sol­che Rhe­to­rik fana­tisch wir­ken. Eine Zuhö­re­rin bei mei­nem Pro­zess in Cochem hat­te offen­bar die­sen Ein­druck, denn sie schrieb mir nach­her, sie hät­te es nicht gut gefun­den, dass ich den Rich­ter ange­grif­fen und sogar belei­digt hät­te. Dar­auf sah ich in mei­nem geschrie­be­nen Text nach, den ich doch ziem­lich wört­lich vor­ge­tra­gen hat­te: Belei­digt? Wohl eher nicht. Aber ich war selbst­be­wusst auf­ge­tre­ten und war so frech zu sagen, die Mei­nung eines Rich­ters zu unse­ren Taten sei nicht mehr rele­vant, denn wir hät­ten vor ihren Stra­fen kei­ne Angst mehr. Das war ganz klar ein Störtebecker-Effekt.

Klar ist auch: Wer­de ich weni­ger deut­lich, ver­mitt­le ich den Ein­druck, sanft wie ein Lamm zu sein und mir alles gefal­len zu las­sen. Die Situa­ti­on vor Gericht bringt mich in ein Dilem­ma. Ich möch­te aber auch kei­ne »krea­ti­ve Pro­zess­füh­rung« betrei­ben und das Gericht durch ein Her­um­rei­ten auf For­ma­li­en ins Unrecht set­zen. Dadurch wird von den Grün­den für mei­nen Akt des zivi­len Unge­hor­sams nur abgelenkt.

Ein Gedan­ke hat mir beson­ders gefal­len, näm­lich dem Staats­an­walt und Rich­ter zu sagen: Ich bin nicht hier, weil Sie das wol­len, son­dern weil ich das will. Denn mei­ne Tat ist nicht in der Absicht gesche­hen, mir irgend­ei­nen Vor­teil zu ver­schaf­fen oder irgend­je­man­dem zu scha­den, so wie das nor­ma­ler­wei­se bei einem Ver­ge­hen der Fall ist. Sie ist ein Mit­tel, um mei­ne Nicht­über­ein­stim­mung mit der herr­schen­den Mili­tär­po­li­tik aus­zu­drücken und die Öffent­lich­keit auf den Skan­dal des Mili­tärs auf­merk­sam zu machen. Dabei ist es egal, wel­che Art von Ver­ge­hen ich wäh­le, ob ich einen Zaun durch­schnei­de, auf ein Gelän­de gehe, das ver­bo­ten ist … Mei­ne Aus­sa­ge ist die: Solan­ge der Staat auf Mili­tär und Gewalt setzt, wird er mich immer wie­der ein­sper­ren müs­sen, denn ich will kei­ne Ruhe geben.

Es ist klar, dass die Rich­ter das als Will­kür emp­fin­den. Sie kön­nen oder wol­len nicht die Ver­bin­dung zie­hen zwi­schen mei­nem Geset­zes­ver­stoß (zum Bei­spiel dem Akt des Haus­frie­dens­bruchs) und dem, was ich inhalt­lich zu Angriffs­krie­gen oder Atom­rü­stung zu sagen habe. Die Para­gra­phen geben ihnen recht, denn sie ken­nen mei­ne Situa­ti­on über­haupt nicht. Sie han­deln zum Bei­spiel von der Recht­fer­ti­gung einer anson­sten straf­ba­ren Tat und sind in die­ser Hin­sicht für den All­tag ja auch ganz hilf­reich: Not­wehr, Ver­hin­de­rung eines grö­ße­ren Übels oder was alles da noch sein kann, das alles haben sie in Erwä­gung gezogen.

Es besteht aber in Bezug auf gewalt­frei­en Unge­hor­sam eine Geset­zes­lücke, die viel­leicht nie­mals aus­zu­fül­len sein wird, denn das wür­de mög­li­cher­wei­se die Grund­fe­sten des Staa­tes unter­gra­ben. Und hier gehen die Ansich­ten der Gewalt­frei­en aus­ein­an­der. Ist es unser Ziel, durch Appell bis an die höch­sten Instan­zen (Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt, Euro­päi­scher Gerichts­hof) eine Kor­rek­tur oder ein Aus­fül­len der Lücke zu errei­chen, so dass unser Akt des zivi­len Unge­hor­sams als legal aner­kannt wird? Ich sage: Nein! Als Bei­spiel wird immer der Nöti­gungs­pa­ra­graph her­an­ge­zo­gen, der nach lan­gen Kämp­fen vor Gericht bei gewalt­frei­en Blocka­den nicht mehr ange­wen­det wer­den dür­fe. Nun war die Inter­pre­ta­ti­on des Nöti­gungs­pa­ra­gra­phen durch die Justiz von vorn­her­ein eine Aus­wei­tung, die der ursprüng­li­chen Absicht des Geset­zes nicht gerecht wur­de. Trotz­dem erle­ben wir inzwi­schen, dass die Staatsanwält*innen mit sophi­sti­schen Win­kel­zü­gen den Para­gra­phen doch immer wie­der ins Feld füh­ren und sogar vorm Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt dar­in Recht bekom­men haben. Der Grund für unser Zusam­men­sto­ßen mit der Justiz ist aber ein ande­rer. In mei­nen Augen steht die Gewalt­tä­tig­keit des Staa­tes gegen mein Bemü­hen um Gewalt­frei­heit. Die­se bei­den Prin­zi­pi­en sind unver­ein­bar und füh­ren mich not­wen­di­ger­wei­se ins Gefäng­nis. Was wür­de es denn umge­kehrt hel­fen, wenn eine der ober­sten Instan­zen aner­kennt, dass unser »Haus­frie­dens­bruch« gerecht­fer­tigt sei und straf­frei blei­ben müs­se, wenn er somit als blo­ße Pro­test­form lega­li­siert und unschäd­lich gemacht wäre und die gewalt­tä­ti­ge Poli­tik anson­sten wei­ter­gin­ge? Ein schö­ner Schach­zug der Poli­tik und der Justiz wäre das, um unse­rem Wider­stand die Spit­ze zu nehmen!

Damit klärt sich auch die Fra­ge, ob ich ein »Schuld­be­wusst­sein« habe, und ob ich »frei­wil­lig« ins Gefäng­nis gehe. Selbst­ver­ständ­lich bin ich schul­dig im Sin­ne des herr­schen­den Geset­zes. Nicht aber im Sin­ne der Moral, denn ich schä­di­ge nie­man­den. Es bleibt immer eine gewis­se Irri­ta­ti­on, wie­so auch nicht? Wider­spruchs­frei ist nichts im mensch­li­chen Leben, nicht ein­mal die Mathematik.