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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Wolf­gang Schäubles Alb­traum – Es ist ver­mut­lich das erste Mal, geehr­ter Herr Bun­des­tags­prä­si­dent, dass Sie in die­ser Zeit­schrift zustim­mend erwähnt wer­den. Aber was Sie in der Heil­bron­ner Stim­me vom 06. Febru­ar geäu­ßert haben, spricht auch uns aus dem Her­zen. Sie ver­mis­sen »den rea­len Kon­takt zu den Men­schen«, ins­be­son­de­re zu ihren Enkel­kin­dern und Freun­den, und beken­nen: »Ich möch­te nicht in einer Welt leben, in der wir uns nur noch digi­tal begeg­nen und aus­tau­schen. Es ist für mich der ulti­ma­ti­ve Alb­traum, mit ande­ren Men­schen nur noch digi­tal kom­mu­ni­zie­ren zu kön­nen.« Da sind wir ganz bei Ihnen, wie man heu­te so sagt, und stel­len über­rascht fest, dass wir tat­säch­lich ein­mal einen gemein­sa­men (Alb-)Traum haben. Um den erträum­ten Schrecken abzu­wen­den, kön­nen Sie auf unse­re Unter­stüt­zung zählen.

Anne­gret Kramp-Kar­ren­bau­er, Mini­ste­rin im Empö­rungs­mo­dus – »Erst Nawal­ny ver­gif­ten und ihn dann ins Gefäng­nis stecken, weil er im Koma lie­gend Bewäh­rungs­auf­la­gen nicht erfüllt? Zynis­mus pur«, kom­men­tier­ten Sie die Ver­ur­tei­lung des »bekann­te­sten rus­si­schen Oppo­si­ti­ons­po­li­ti­kers« in Mos­kau. Nawal­ny war am 22. August in die Cha­ri­té ein­ge­lie­fert und am 23. Sep­tem­ber als geheilt ent­las­sen wor­den. In den drei Mona­ten danach igno­rier­te er die Mah­nun­gen der rus­si­schen Bot­schaft in Ber­lin, sich an sei­ne Bewäh­rungs­auf­la­gen zu hal­ten und sich zwei­mal monat­lich zu mel­den. Statt­des­sen berei­ste er putz­mun­ter unse­re Repu­blik und wirk­te in sei­ner luxu­riö­sen Resi­denz im Schwarz­wald an der Fer­ti­gung des Pro­pa­gan­da­film­chens »Putins Palast« mit. Die­ses Ver­hal­ten war bei sei­nem Ver­fah­ren in Mos­kau und bei der Straf­zu­mes­sung sank­tio­niert wor­den. Das kann man über­zo­gen fin­den, ins­be­son­de­re weil die vor­ma­li­ge Bewäh­rungs­stra­fe vom Euro­päi­schen Gerichts­hof für Men­schen­rech­te als »will­kür­lich« gerügt wur­de. Aber ist die jet­zi­ge Ver­ur­tei­lung Will­kür? Ist sie »purer Zynis­mus«? Wenn hier­zu­lan­de gegen Bewäh­rungs­re­geln ver­sto­ßen wird, dürf­te »recht­mä­ßig« eben­falls eine Inhaf­tie­rung erfol­gen, unab­hän­gig davon, für wie stich­hal­tig das Erst­ur­teil gehal­ten wird. Herr Nawal­ny hat sehr genau gewusst, was pas­sie­ren wür­de. Man mag sei­ne Miss­ach­tung des Geset­zes hero­isch nen­nen, es bleibt aber zunächst ein­mal ein schlich­ter Ver­stoß gegen gel­ten­des Recht. Dass Sie trotz­dem hem­mungs­los drauf­los­gif­ten, offen­bart eine selt­sa­me Unwucht in Ihrem Rechts­staats­ver­ständ­nis. Zwei­er­lei Maß. Da haben Sie ihre Rol­le als »Ver­tei­di­gungs­mi­ni­ste­rin« wohl falsch verstanden.

Wla­di­mir Putin, len­ken­der Demo­krat – Sehr geehr­ter Prä­si­dent der Rus­si­schen Föde­ra­ti­on, wie Sie der obi­gen Ant­wort und auch ande­ren Bei­trä­gen in die­sem Heft ent­neh­men kön­nen, wei­gern wir uns ent­schie­den, in die säbel­ras­seln­de Kal­te-Kriegs-Rhe­to­rik deut­scher, euro­päi­scher und ame­ri­ka­ni­scher Poli­ti­ker ein­zu­stim­men, oder Sie, wie es in nahe­zu allen (west­li­chen) Medi­en geschieht, als bös­ar­ti­gen Tyran­nen dar­zu­stel­len. Wir betei­li­gen uns auch gewiss nicht an irgend­wel­chen Spe­ku­la­tio­nen über den Anschlag auf Herrn Nawal­ny, son­dern for­dern eine auf­ge­klär­te, an fried­li­cher inter­na­tio­na­ler Koope­ra­ti­on ori­en­tier­te Russ­land-Poli­tik. Aber, auch das muss mal gesagt wer­den, wer­ter Herr Prä­si­dent, Sie machen uns unse­re ver­meint­li­che »Inschutz­nah­me« wahr­lich nicht leicht. Wenn wir den USA (etwa im Irak oder wegen der geziel­ten Tötun­gen durch Mord­droh­nen) und zum Teil auch der EU eine völ­ker­rechts­wid­ri­ge Poli­tik vor­wer­fen, kön­nen wir über ver­gleich­ba­re rus­si­sche Akti­vi­tä­ten etwa in der Ost-Ukrai­ne, in Syri­en oder in Berg­ka­ra­bach nicht dau­er­haft schwei­gen. Und wenn Sie auf Ihrer Jah­res­pres­se­kon­fe­renz im Dezem­ber als Indiz für Ihre Nicht­be­tei­li­gung am Anschlag auf Herrn Nawal­ny zynisch äußern: »Wenn man das gewollt hät­te, dann hät­te man es auch zu Ende geführt«, dann ist das eine Vor­la­ge für alle, die Sie zum Popanz machen wol­len. Auch dass ihre Sicher­heits-orga­ne Nawal­ny-Ange­hö­ri­ge und -Mit­ar­bei­ter nach des­sen eige­ner Ver­haf­tung unter dem Vor­satz fest­set­zen, sie wür­den gegen Coro­na-Regeln ver­sto­ßen, ist alles ande­re als eine ver­trau­ens­bil­den­de, dees­ka­lie­ren­de Maß­nah­me. Wir möch­ten des­halb auch Sie, bei allem Respekt, drin­gend zu mehr Augen­maß, zur Mäßi­gung aufrufen.