Wolfgang Schäubles Albtraum – Es ist vermutlich das erste Mal, geehrter Herr Bundestagspräsident, dass Sie in dieser Zeitschrift zustimmend erwähnt werden. Aber was Sie in der Heilbronner Stimme vom 06. Februar geäußert haben, spricht auch uns aus dem Herzen. Sie vermissen »den realen Kontakt zu den Menschen«, insbesondere zu ihren Enkelkindern und Freunden, und bekennen: »Ich möchte nicht in einer Welt leben, in der wir uns nur noch digital begegnen und austauschen. Es ist für mich der ultimative Albtraum, mit anderen Menschen nur noch digital kommunizieren zu können.« Da sind wir ganz bei Ihnen, wie man heute so sagt, und stellen überrascht fest, dass wir tatsächlich einmal einen gemeinsamen (Alb-)Traum haben. Um den erträumten Schrecken abzuwenden, können Sie auf unsere Unterstützung zählen.
Annegret Kramp-Karrenbauer, Ministerin im Empörungsmodus – »Erst Nawalny vergiften und ihn dann ins Gefängnis stecken, weil er im Koma liegend Bewährungsauflagen nicht erfüllt? Zynismus pur«, kommentierten Sie die Verurteilung des »bekanntesten russischen Oppositionspolitikers« in Moskau. Nawalny war am 22. August in die Charité eingeliefert und am 23. September als geheilt entlassen worden. In den drei Monaten danach ignorierte er die Mahnungen der russischen Botschaft in Berlin, sich an seine Bewährungsauflagen zu halten und sich zweimal monatlich zu melden. Stattdessen bereiste er putzmunter unsere Republik und wirkte in seiner luxuriösen Residenz im Schwarzwald an der Fertigung des Propagandafilmchens »Putins Palast« mit. Dieses Verhalten war bei seinem Verfahren in Moskau und bei der Strafzumessung sanktioniert worden. Das kann man überzogen finden, insbesondere weil die vormalige Bewährungsstrafe vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als »willkürlich« gerügt wurde. Aber ist die jetzige Verurteilung Willkür? Ist sie »purer Zynismus«? Wenn hierzulande gegen Bewährungsregeln verstoßen wird, dürfte »rechtmäßig« ebenfalls eine Inhaftierung erfolgen, unabhängig davon, für wie stichhaltig das Ersturteil gehalten wird. Herr Nawalny hat sehr genau gewusst, was passieren würde. Man mag seine Missachtung des Gesetzes heroisch nennen, es bleibt aber zunächst einmal ein schlichter Verstoß gegen geltendes Recht. Dass Sie trotzdem hemmungslos drauflosgiften, offenbart eine seltsame Unwucht in Ihrem Rechtsstaatsverständnis. Zweierlei Maß. Da haben Sie ihre Rolle als »Verteidigungsministerin« wohl falsch verstanden.
Wladimir Putin, lenkender Demokrat – Sehr geehrter Präsident der Russischen Föderation, wie Sie der obigen Antwort und auch anderen Beiträgen in diesem Heft entnehmen können, weigern wir uns entschieden, in die säbelrasselnde Kalte-Kriegs-Rhetorik deutscher, europäischer und amerikanischer Politiker einzustimmen, oder Sie, wie es in nahezu allen (westlichen) Medien geschieht, als bösartigen Tyrannen darzustellen. Wir beteiligen uns auch gewiss nicht an irgendwelchen Spekulationen über den Anschlag auf Herrn Nawalny, sondern fordern eine aufgeklärte, an friedlicher internationaler Kooperation orientierte Russland-Politik. Aber, auch das muss mal gesagt werden, werter Herr Präsident, Sie machen uns unsere vermeintliche »Inschutznahme« wahrlich nicht leicht. Wenn wir den USA (etwa im Irak oder wegen der gezielten Tötungen durch Morddrohnen) und zum Teil auch der EU eine völkerrechtswidrige Politik vorwerfen, können wir über vergleichbare russische Aktivitäten etwa in der Ost-Ukraine, in Syrien oder in Bergkarabach nicht dauerhaft schweigen. Und wenn Sie auf Ihrer Jahrespressekonferenz im Dezember als Indiz für Ihre Nichtbeteiligung am Anschlag auf Herrn Nawalny zynisch äußern: »Wenn man das gewollt hätte, dann hätte man es auch zu Ende geführt«, dann ist das eine Vorlage für alle, die Sie zum Popanz machen wollen. Auch dass ihre Sicherheits-organe Nawalny-Angehörige und -Mitarbeiter nach dessen eigener Verhaftung unter dem Vorsatz festsetzen, sie würden gegen Corona-Regeln verstoßen, ist alles andere als eine vertrauensbildende, deeskalierende Maßnahme. Wir möchten deshalb auch Sie, bei allem Respekt, dringend zu mehr Augenmaß, zur Mäßigung aufrufen.