Jurij Andruchowytsch, ukrainischer Schriftsteller: Im Krieg – Lieber Jurij, seit vielen Jahren kenne und schätze ich dich als Autor wunderbarer Bücher und – mehr noch – als eine Art Multitalent. Als du 2006 den »Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung« erhieltst, hatte ich die Freude (und Ehre), anlässlich der Verleihung ein Laudatio-ähnliches Gespräch mit dir auf offener Bühne zu führen. Wir haben dich gefeiert. Und das war gut und richtig so.
Nun bist du im Krieg und befindest dich sozusagen im Kampfmodus gegen den russischen Aggressor. Das mag richtig sein, erzwungen und unvermeidlich, aber gut ist es nicht. Dass du gegenüber Russland schon immer eine durchaus ablehnende Haltung gezeigt hast – du hadertest schon früh mit deinem Vornamen, den dir deine Eltern, so erzählst du es selbst, wegen des berühmten Kosmonauten Gagarin gegeben hatten, der im Jahr deiner Geburt (1960) gerade auf seinen ersten Raumflug vorbereitet wurde –, konnte ich aus historischen wie aus biografischen Gründen nachvollziehen. Das russische Dominanzstreben hat dich schon immer empört: Du wurdest in den 1980er Jahren zu einem zweijährigen Militärdienst in der ruhmreichen Sowjetarmee gezwungen, an dein Studium am Moskauer Maxim-Gorki-Institut erinnerst du dich ungern, und die russische Haltung gegenüber den Emanzipationsbestrebungen »abtrünniger« Sowjetrepubliken hast du schon früh – und zu Recht – »Kulturchauvinismus« genannt.
Heute aber muss ich dir, in Abwandlung eines berühmten Sponti-Spruches, zurufen: Die größten Kritiker der Elche werden plötzlich selber welche. Es möchte ja sein, dass dir in diesen Zeiten nicht der Sinn nach russischer Kultur und Literatur steht. Volles Verständnis. Aber wenn du nun (z. B. in der polnischen Zeitung Gazeta Wyborcza vom 16. April) die Lektüre russischer Schriftsteller (Tschechow, Bulgakow und »vor allem« Dostojewski) praktisch zum »Verrat« an der Ukraine erklärst, kann ich dir nicht mehr folgen.
»Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen«, wusste Heinrich Heine schon lange vor der Bücherverbrennung der Nazis; er bezog sich dabei auf die Verbrennung islamischer Schriften im katholischen Spanien um das Jahr 1500. »Das war ein Vorspiel nur« – und wenn wir uns aus ja durchaus nachvollziehbarer Wut an so einer Barbarei beteiligen, hat Putin schon gewonnen, wir unterwerfen uns seiner »kulturchauvinistischen« Logik.
(Nebenbei bemerkt: Derselbe Heine müsste heute in solcher Logik eigentlich auch verboten sein, ebenso wie Lessing oder Schiller, Kafka oder Bruno Schulz, der im ukrainischen Lemberg, dem heutigen Lwiw, gelebt hat und dort von einem SS-Mann getötet wurde.)
Lieber Jurij, ich kann nicht verhindern, dass du im übertragenen Sinne oder tatsächlich gegen Russland in den Krieg ziehst. Ich kann dich nur inständig bitten, nicht zum »Elch« zu werden. Jeder Krieg kennt nur Verlierer, egal, wer am Ende die Schlachten »gewinnt«.
Rüdiger Dammann