Olaf Scholz: Der Anpacker – Verehrter Herr Scholz, auf Wahlkampfplakaten inszeniert Sie Ihre Partei als »Rentenretter«. Unter Ihrem Konterfei ist in Großbuchstaben zu lesen: »Jetzt stabile Renten wählen. Scholz packt das an.« Was Sie da wie anpacken werden, bleibt allerdings rätselhaft. Auch die Lektüre Ihres Wahlprogramms verrät im Großen und Ganzen lediglich, dass alles möglichst so bleiben soll, wie es ist. Verzeihen Sie, aber das ist kein guter Vorsatz, denn so, wie es ist, darf es keinesfalls bleiben. Sie wollen das Renteneintrittsalter bei 67 Jahren belassen und das Rentenniveau bei den heute gültigen 48 Prozent »stabilisieren«. Durch die Absenkung des Rentenniveaus von 53 Prozent im Jahr 2000 auf aktuell 48 Prozent hat die Zahl der Menschen, die in der Altersgruppe ab 65 akut armutsgefährdet sind, bereits enorm zugenommen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes beträgt ihr Anteil gegenwärtig schon 18 Prozent, Tendenz steigend. Und die amtliche Statistik, das wissen Sie, werter Herr Scholz, neigt eher zur Weichzeichnerei. Das reale Leben verläuft meist ungleich dramatischer. Erst kürzlich hat die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) anhand realer Zahlen gewarnt, dass allein unter ihren Mitgliedern in Berlin rund 128.000 Vollzeitbeschäftigte selbst nach 45 Arbeitsjahren im Rentenalter von Armut bedroht sind. 13,3 Prozent aller NGG-Beschäftigten, die in Berlin Vollzeit arbeiten, verdienen weniger als 2050 Euro brutto im Monat und müssten rein rechnerisch deutlich länger als 45 Jahre arbeiten, um auf eine Rente oberhalb der Grundsicherungsschwelle von aktuell 835 Euro zu kommen. Das ist die Wirklichkeit, mit der Sie sich – unter anderem – beschäftigen sollten.
Wenn die nächste Regierung, wer immer sie anführt, diese Realität »stabilisiert«, statt sie schleunigst verändernd »anzupacken«, fliegt uns der Laden wohl bald um die Ohren.