Georg Thiel: Inhalte sind kein Prüfungsgegenstand – Verehrter Herr Thiel, der Bundeswahlausschuss, dessen Vorsitzender Sie als Bundeswahlleiter sind, ist ja praktisch so etwas wie der Wächterrat im Iran. Ihr Gremium hat gerade in zweitägiger, öffentlicher Sitzung entschieden, welche politischen Vereinigungen zur Bundestagswahl zugelassen werden – und welche nicht. 53 Parteien (inklusive den in Bundestag und Landtagen vertretenen Parteien, die nicht »überprüft« werden) dürfen demnach teilnehmen, 43 Parteien wurde die Zulassung versagt. Wir haben keinen Zweifel daran, dass das Auswahlverfahren korrekt durchgeführt worden ist. Sein Ergebnis allerdings erzeugt einen seltsamen Beigeschmack. Nicht nur die europäische Partei »LIEBE« mit ihren 53 Mitgliedern in Deutschland, die »Gartenpartei«, die »Tierschutz-Allianz«, »Volt Deutschland« oder die HipHop Partei »Die Urbanen« dürfen bei der Bundestagswahl antreten, auch die vom Verfassungsschutz als »rechtsextremistische Kleinpartei« eingestufte Gruppierung »Der III. Weg« darf sich im Herbst um die Wählergunst bewerben. Nicht zugelassen hingegen wurde die Deutsche Kommunistische Partei (DKP), weil sie, so die Begründung, ihre Rechenschaftsberichte verspätet eingereicht habe; na, da waren etwa die gerade genannten zugelassenen Parteien sicher »sattelfester«. Ebenfalls nicht an der Wahl teilnehmen darf die »Anarchistische Pogo Partei Deutschlands« (APPD), weil ihr Antrag nur per Mail und nicht, wie vorgeschrieben, per Post eingereicht worden sei.
Verzeihung, werter Herr Thiel, aber das erweckt den Anschein, als gelte im Wahlausschuss eine eherne Grundregel des Straßenverkehrs: rechts vor links. Eine Regel, die auch von anderen staatlichen »Institutionen« offenbar stets befolgt wird, wie etwa die Einstufung der jungen Welt als »extremistisch« durch den Verfassungsschutz oder die wiederholten und teils vollzogenen Versuche, linksstehenden Organisation wie Attac oder Campact die Gemeinnützigkeit zu entziehen, nahelegen. Sollten solche »Sortierungen« politisch motiviert sein, näherten wir uns tatsächlich iranischen Verhältnissen an. Allein das »Geschmäckle« sollte Sie, als Bundeswahlleiter, alarmieren.