Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wurden die Bücher von Anna Seghers verboten. Kurzzeitig war sie sogar von der Gestapo verhaftet worden. Danach gelang ihr mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern die Flucht nach Paris. Dort arbeitete sie in antifaschistischen Exilzeitschriften mit, und es entstanden die Romane »Der Kopflohn« und »Der Weg durch den Februar«. Nach dem Einmarsch deutscher Truppen in die französische Hauptstadt floh sie schließlich nach Marseille in den unbesetzten Teil Frankreichs, wo sie mit der Arbeit an ihrem Roman »Das siebte Kreuz« begann. Doch auch hier war sie nicht lange in Sicherheit.
Im Frühjahr 1941 gelang ihr mit einem der letzten Schiffe, die Marseille verließen, die Überfahrt ins mexikanische Exil. Eigentlich wollte sie mit ihrer Familie nach New York, doch die Einwanderungsbehörde in Ellis Island wies sie ab. Also Mexiko, sechs Jahre blieb sie im lateinamerikanischen Exil, bevor sie 1947 über Schweden und Frankreich nach Deutschland zurückkehrte, das ihr inzwischen fremd geworden war.
In der Neuerscheinung »Brennendes Licht« erzählt der Politikwissenschaftler und Germanist Volker Weidermann von den bewegenden Jahren, die die Schriftstellerin nachhaltig prägten und die die Weichen für ihr späteres Leben und Schaffen stellten. Abgekämpft muss sie zunächst die lebensnotwendigen Alltagsdinge der Familie managen, denn ihr Ehemann ist in dieser Hinsicht mehr als unerfahren. Außerdem muss sie Geld verdienen. Gleichzeitig knüpft sie Kontakte zu anderen Exilschriftstellern, aber auch zu internationalen Künstlern und Intellektuellen wie Pablo Neruda, Frida Kahlo oder Diego Rivera. Sie gründet mit Egon Erwin Kisch den antifaschistischen Heinrich-Heine-Klub als deutsche Literatur- und Kulturvereinigung und wird dessen Präsidentin. Zusammen mit Ludwig Renn organisiert sie die Bewegung »Freies Deutschland« und gibt die gleichnamige Zeitschrift heraus. Im Juni 1943 erleidet sie einen schweren Verkehrsunfall. Es folgt ein langer Krankenhausaufenthalt, doch mithilfe von Ärzten und Freunden kämpft sie sich ins Leben, in ihr Schriftstellerdasein zurück.
Darüber hinaus stürzt sich Seghers in ihre Schreibarbeit. Dafür hat sie sich auf der Dachterrasse ihres Wohnhauses ein »Schreibparadies« eingerichtet: ein Stuhl und ein kleiner Tisch, überspannt mit einem Segeltuch gegen die Sonne, aber mit einem wunderbaren Blick über die Dächer. Neben der Erzählung »Ausflug der toten Mädchen« vollendet sie hier die in Europa bereits begonnenen Romane »Transit« und »Das siebte Kreuz«. Letzteres Buch begründet ihren Weltruhm, es wird 1944 in den USA von Fred Zinnemann verfilmt und macht sie finanziell unabhängig.
Mag die mexikanische Welt auch noch so schillernd sein, das Land bleibt ihr weitgehend fremd. Bis zuletzt spricht sie kein Spanisch. Außerdem bestimmen Verdächtigungen und Ängste den Alltag. War der Autounfall vielleicht ein Attentat? Das FBI ist allgegenwärtig, und Stalins Arm reicht auch ins ferne Exil. (Leo Trotzki wurde in Mexiko-City ermordet.) Und dann ist da noch die Sorge um die Zuhausegebliebenen und ihre Sehnsucht nach Europa. Trotzdem wird sie später die Jahre in Mexiko als »die schönsten meines Lebens« bezeichnen.
Volker Weidermann zeichnet Seghers’ Leben und Arbeiten in Mexiko intensiv und einfühlsam nach; er bringt die menschliche Seite der Schriftstellerin nahe, ihre Rolle als Ehefrau und Mutter. Daneben beleuchtet er die politische Einstellung der überzeugten Kommunistin, die dem ideologischen Korsett ihrer vermeintlichen Gewissheiten kaum entkommen konnte.
Doch zum Ende des Exils ist es einsam um sie geworden. Die beiden Kinder gehen nach Paris, und ihr Mann nimmt die mexikanische Staatsbürgerschaft an und folgt ihr erst 1952 nach Deutschland. Neben dem Aufenthalt von Anna Seghers verfolgt der Autor auch den Alltag deutscher und jüdischer Künstler im lateinamerikanischen Exil in den 1940er Jahren.
Weidermann schlägt mit seiner Biografie immer wieder einen literarischen Ton an, manche Episoden tragen sogar poetische Züge. Mitunter schlüpft er in die Rolle seiner Protagonistin und versucht mit dem Mittel der erlebten Rede ihre Gedanken und Gefühle nachzuempfinden. So ist die Darstellung der Exilgeschichte eine Mischung aus Roman und Sachbuch; dafür fehlt aber leider ein Personenregister. In seinem Nachwort »Blaue Welt« berichtet der Autor von seiner persönlichen Spurensuche, die er Ende 2019 mit seiner ältesten Tochter in Mexiko unternommen hat. Anschließend begab er sich nach Paris, um den 94-jährigen Pierre Radványi, den ältesten Sohn von Anna Seghers, zu treffen.
Das vielschichtige biografische Porträt ist eine willkommene Anregung, die bedeutenden Werke von Anna Seghers wieder einmal in die Hand zu nehmen. Ihr Todestag jährt sich am 1. Juni 2023 zum 40. Mal.
Volker Weidermann: Brennendes Licht – Anna Seghers in Mexiko, Aufbau Verlag, Berlin 2021, 186 S., 18 €.