Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Anmerkungen zum 1. März

Der 1. März eines jeden Jah­res galt in der Deut­schen Demo­kra­ti­schen Repu­blik bis 1990 als »Tag der Natio­na­len Volks­ar­mee«. Die­ses Datum, aus der Vor- und Ent­ste­hungs­hi­sto­rie bei­der deut­scher Staa­ten betrach­tet, bringt öffent­lich Ver­dräng­tes in der Bon­ner und Ber­li­ner Poli­tik zum Vorschein.

Der Weg zum föde­ra­len deut­schen Bun­des­staat im Westen wur­de ohne die UdSSR bereits 1947 per Beschluss der West­al­li­ier­ten bestimmt. Erst nach deren Ein­ver­ständ­nis trat das Grund­ge­setz in Kraft. Im Text von 1949 stand nichts über Wie­der­be­waff­nung, Mili­tär oder Auf­rü­stung. Erst mit der Grün­dung der Bun­des­wehr wur­de 1955 der Arti­kel 12a hinzugefügt.

Die USA, Groß­bri­tan­ni­en und Frank­reich behiel­ten sich als Besat­zungs­mäch­te in Bezug auf Deutsch­land als Gan­zes und Ber­lin Son­der­rech­te vor. Die UdSSR hin­ge­gen beton­te 1954 in ihrer Erklä­rung über die Sou­ve­rä­ni­tät der DDR »die Funk­tio­nen, die (…) sich aus den Ver­pflich­tun­gen erge­ben, die aus den Vier-mäch­te­ab­kom­men erwach­sen«. Ihre vol­le Sou­ve­rä­ni­tät erhiel­ten bei­de deut­sche Staa­ten jedoch erst 1990 nach Abschluss des 2-plus-4-Vertrages.

Die Bun­des­re­pu­blik unter und nach Ade­nau­er sah sich über Jahr­zehn­te als pri­vi­le­giert an, allein für Deutsch­land als Gan­zes zu spre­chen. Der DDR wur­de jede demo­kra­ti­sche Legi­ti­mi­tät abge­spro­chen und deren west­li­che Staats­gren­ze als »inner­deut­sche Gren­ze« instru­men­ta­li­siert. Dass es sich um eine höchst bri­san­te Trenn­li­nie zwi­schen zwei kon­trä­ren poli­ti­schen und mili­tä­ri­schen Bünd­nis­sen han­del­te, wur­de – den Zweck hei­li­gend – negiert. Alle Gesprächs- und Ver­hand­lungs­vor­schlä­ge des Ostens, hier beson­ders die Sta­lin-Note von 1952, wur­den abge­lehnt. Selbst nach dem Grund­la­gen­ver­trag zwi­schen bei­den Staa­ten 1972 und bei­der UNO-Mit­glied­schaft sowie auch nach der Kon­fe­renz von Hel­sin­ki 1975 und dem Besuch Hon­eckers in Bonn blieb es bei der Fik­ti­on »inner­deutsch«.

Listen­reich wie eif­rig offe­rier­te Ade­nau­er den West­al­li­ier­ten die Wie­der­be­waff­nung: gebüh­rend anti­so­wje­tisch ver­ne­belt, eine ver­tief­te Spal­tung Nach­kriegs­deutsch­lands bil­li­gend in Kauf neh­mend. Noch 1949 hat­te er nach der Grün­dung der NATO wört­lich gesagt: »Die Bun­des­re­gie­rung erklärt ihre feste Ent­schlos­sen­heit, die Ent­mi­li­ta­ri­sie­rung des Bun­des­ge­bie­tes auf­recht­zu­er­hal­ten und mit allen ihr zur Ver­fü­gung ste­hen­den Mit­teln die Neu­bil­dung eige­ner Mili­tär­streit­kräf­te zu verhindern.«

Sei­nem Leit­spruch »Was inter­es­siert mich mein Geschwätz von gestern?« treu blei­bend, betrieb er am Kabi­nett vor­bei längst die Remi­li­ta­ri­sie­rung. Wil­li­ge und geschätz­te Hel­fer waren hoch­ran­gi­ge Gene­ra­le Hit­lers wie Franz Hal­der, Rein­hard Geh­len, Adolf Heu­sin­ger, Hans Spei­del, Heinz Trett­ner und zig ande­re. Offi­zi­ell gilt seit­her der 12. Novem­ber 1955 als Grün­dungs­tag der Bundeswehr.

Erstes Todes­op­fer der Remi­li­ta­ri­sie­rung war der 21jährige Stu­dent und Kom­mu­nist Phil­ipp Mül­ler. Er starb am 11. Mai 1954 in Essen, als die Poli­zei auf eine Demon­stra­ti­on gegen die Wie­der­be­waff­nung schoss. Es war das erste Mal in der Geschich­te der Bun­des­re­pu­blik, dass ein Demon­strant durch die Poli­zei getö­tet wurde.

Im Janu­ar 1956 folg­te logi­scher­wei­se auch in der DDR die offi­zi­el­le Grün­dung regu­lä­rer Streit­kräf­te. Ein am Rhein pro­vo­kant kal­ku­lier­ter Kol­la­te­ral­scha­den mit Lang­zeit­wir­kung. Somit dürf­te die Natio­na­le Volks­ar­mee (NVA) aus­ge­rech­net Ade­nau­er zu ihren Geburts­hel­fern rechnen.

2019 erschien bei Rowohlt der erhel­len­de Titel »Repu­blik der Angst – eine ande­re Geschich­te der Bun­des­re­pu­blik« aus der Feder von Frank Riess. Hier ist zu lesen: »Der Anti­kom­mu­nis­mus war tief in der katho­li­schen Welt­an­schau­ung von Bun­des­kanz­ler Kon­rad Ade­nau­er ver­an­kert.« Sein Cre­do: Deutsch­land und Euro­pa blei­ben christ­lich oder wer­den kom­mu­ni­stisch wer­den. Für ihn war ein neu­tra­les Deutsch­land zwi­schen Ost und West der poli­ti­sche Alb­traum schlecht­hin. Staats­prä­gen­der Anti­kom­mu­nis­mus und Anti­bol­sche­wis­mus stell­ten die Wei­chen – in Ver­gan­gen­heit wie Gegenwart.

Seit 1990 sonnt sich die Bun­des­re­pu­blik mit dem »Bei­tritt« des unge­lieb­ten ande­ren deut­schen Staa­tes im Glanz eines Sie­gers. Unwahr­hei­ten, histo­ri­sche Ver­dre­hun­gen und hämi­sche, abschät­zi­ge Wort­wahl set­zen bis in die Gegen­wart den vor­ma­li­gen Kal­ten Krieg in Poli­tik, Medi­en und Geschichts­schrei­bung mit ande­ren Mit­teln fort. Bun­des­prä­si­dent Köh­ler prä­sen­tier­te Leip­zi­ger Gerüch­te über NVA-Pan­zer und Lei­chen­säcke als Wahr­heit. Der ehe­ma­li­ge Pastor Gauck ver­ord­ne­te »unse­rer glück­süch­ti­gen Gesell­schaft« beim Antritts­be­such als Bun­des­prä­si­dent an der Füh­rungs­aka­de­mie der Bun­des­wehr in Ham­burg gar wie­der, Gefal­le­ne zu ertra­gen und Krieg als Mit­tel der deut­schen Poli­tik zu akzeptieren.

Bei Mat­thä­us 26, 52 heißt es zwar: »Da sprach Jesus zu ihm; Stecke dein Schwert an sei­nen Ort! Denn wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkom­men.« Die Bibel legt der »Anti­kom­mu­nist von Got­tes Gna­den« (so Der Tages­spie­gel am 7. Juni 2010 zu Gauck) nach sei­nem Rat­schluss aus. Wes Brot ich ess, des Lied ich sing. Im Kon­text durf­te des­halb die Bemer­kung nicht feh­len, dass die NVA »die ›Volks­ar­mee‹ hieß, und es nicht war«.

Bevor sich die Ein­heits­ju­bel­or­gi­en zum ersten Male jähr­ten, gab Justiz­mi­ni­ster Klaus Kin­kel, zum FDP-Libe­ra­len mutier­ter Ex-Geheim­dienst­chef des BND, auf dem 15. Deut­schen Rich­ter­tag am 23. Sep­tem­ber 1991 die Rich­tung vor: »Sie, mei­ne Damen und Her­ren, haben als Rich­ter und Staats­an­wäl­te bei dem, was noch auf uns zukommt, eine ganz beson­de­re Auf­ga­be (…): Es muss gelin­gen, das SED-System zu dele­gi­ti­mie­ren, das bis zum bit­te­ren Ende sei­ne Recht­fer­ti­gung aus anti­fa­schi­sti­scher Gesin­nung, angeb­lich höhe­ren Wer­ten und behaup­te­ter abso­lu­ter Huma­ni­tät her­ge­lei­tet hat, wäh­rend es (…) einen Staat auf­bau­te, der in wei­ten Berei­chen genau­so unmensch­lich und schreck­lich war wie das faschi­sti­sche Deutsch­land. (…) Poli­ti­sche Straf­ta­ten in der frü­he­ren DDR dür­fen nicht ver­jäh­ren. Die Ent­schei­dung dar­über liegt allein bei den Gerich­ten (…). Der Gesetz­ge­ber kann aus rechts­staat­li­chen Grün­den wegen des Pro­blems der Rück­wir­kung nicht tätig werden.«

Wel­cher Staats­an­walt oder Rich­ter hät­te es bei Stra­fe eines Kar­rie­re­knicks gewagt, die Lex Kin­kel nicht zu befol­gen? Rechts­staat nach Guts­her­ren­art. Die Urtei­le der Schau­pro­zes­se offen­ba­ren schlich­te Unkennt­nis des DDR-Rechts sowie kon­stru­ier­te Inter­pre­ta­tio­nen mit reich­li­chen falls, hät­te und könn­te. Der nahe­zu glei­che Text zum Waf­fen­ein­satz in den »Schieß­be­feh­len« bei­der Staa­ten wur­de ent­spre­chend umin­ter­pre­tiert (vgl. Erich Buch­holz: »Der drit­te Akt der Total­li­qui­die­rung – Rechts­brü­che und Unrechts­ur­tei­le am lau­fen­den Band«, GNN-Ver­lag Schkeu­ditz, 2012).

Die Betei­li­gung des Hit­ler-Gene­ral­stäb­lers Heu­sin­ger an den Blitz­kriegs­pla­nun­gen und deren Umset­zung gegen Polen, Nor­we­gen, Däne­mark und die UdSSR blieb juri­stisch unge­sühnt. Ein UdSSR-Aus­lie­fe­rungs­an­trag an die USA wur­de abge­lehnt. Er avan­cier­te gar zum ersten Gene­ral­inspek­teur der Bun­des­wehr sowie von 1961 bis 1964 zum Vor­sit­zen­den des Mili­tär­aus­schus­ses der NATO in Washing­ton D.C. und war Mit­in­itia­tor der ab 1967 ange­wand­ten NATO-Atom­stra­te­gie. Sie wird als Vor­wärts­stra­te­gie nach wie vor mit der mili­tä­ri­schen Ein­krei­sung der Rus­si­schen Föde­ra­ti­on umge­setzt. Seit 4. August 1967 erhält jähr­lich ein Teil­neh­mer des Gene­ral­stabs­lehr­gangs an der Füh­rungs­aka­de­mie der Bun­des­wehr für her­vor­ra­gen­de Lei­stun­gen den Gene­ral-Heu­sin­ger-Preis. Also steht, ent­ge­gen anders­lau­ten­der Behaup­tun­gen, die Bun­des­wehr wei­ter­hin in der Tra­di­ti­on der in Kriegs­ver­bre­chen invol­vier­ten Wehrmacht.

Bei der Natio­na­len Volks­ar­mee konn­te bei Licht betrach­tet unter sol­chem Aspekt nie­mals Mil­de wal­ten. Allein das Spit­zen­per­so­nal, die Ver­tei­di­gungs­mi­ni­ster, war nie eben­bür­tig: Wil­li Stoph, Mau­rer und Unter­of­fi­zier; Heinz Hoff­mann, Spa­ni­en­kämp­fer und Sowjet­freund; Heinz Keß­ler, gar Deser­teur; Theo­dor Hoff­mann, Sohn eines Pfer­de­knechts und Matro­se der »Zonen«-Seepolizei.

Euro­pa durf­te sich bis zur Mit­ter­nacht des 2. Okto­ber 1990 sei­ner läng­sten Frie­dens­pe­ri­ode erfreu­en, zu der die Deut­sche Demo­kra­ti­sche Repu­blik ihren Teil bei­trug. Seit­her »befrie­de­te« die Neu-Bun­des­re­pu­blik Ex-Jugo­sla­wi­en und »ver­tei­digt« sich nicht nur am Hindukusch.

Fest­zu­hal­ten bleibt: Als erste und ein­zi­ge deut­sche Armee war die Natio­na­le Volks­ar­mee an kei­nem Krieg betei­ligt. Das war, ist und bleibt ihr histo­ri­sches Ver­dienst und das ihrer Soldaten.