»Der Jude kann überhaupt in nichts, was das deutsche Leben anbetrifft, weder im Guten noch im Bösen, eine schöpferische Rolle spielen« (Ernst Jünger: »Über Nationalismus und Judenfrage«, Süddeutsche Monatshefte 9/1930). Nach Ableben des knapp »Tausendjährigen Reiches«, spätestens seit 1949, mochte Jünger, ein Meister der humorlosen Selbstinszenierung, natürlich nicht mehr als ein hirnloser, dummschwätziger Antisemit gelten – eine weitverbreitete Haltung im BRD-Wirtschaftswunderland der Täterschweigezeit. Opfer müssen ohnehin stets für sich selbst sprechen, außer es stilisieren sich Täter in einer nachträglichen Denkspirale zu Opfern und tragen fortan Leidensminen. Also: Kein Wort kam mehr aus der Stahlfeder über »Assimilations- und Zivilisationsjuden« und deren »endloses Feuilletongeschwätz« (Originalton Ernst Jünger). Die Juden, die er in den 1930er Jahren noch zu »Ameisen, Bakterien, Keimen« zählte und die ihm »Geschmeiß« waren.
Damit steht der 1895 geborene Jünger nicht allein. Chauvinistische und völkisch-rassistische Ansichten werden im reichsdeutschen Intellektuellenmilieu unüberhörbar formuliert. Etwa vom literarisch antimodernen und 1875 geborenen Dichter Freiherr Börries von Münchhausen, der an den ehemaligen Mitschüler am Goethe-Gymnasium in Hannover, den Juristen und Schriftsteller Sammy Gronemann, noch weit vor 1933 schreibt: »Sie sind Davidsternler, ich bin gewiss kein Hakenkreuzler, aber doch werden Sie begreifen, dass es mir als deutschem Schriftsteller peinlich ist, wenn in der deutschen Literatur Juden eine führende Stellung innehaben, aber das könnte noch angehen. Was für mich schlichthin unerträglich ist, ist, dass sie diese Stellung zu Recht innehaben« (Sammy Gronemann: »Erinnerungen«, Berlin 2002, 2004)
Ein schizophrener Befund des in den Denkmustern des Nationalsozialismus doch früh und tief verstrickten Poeten, und er vollzieht nichts anderes als der zeitweilig in Hannover-Kirchhorst beheimatete Ernst Jünger wenig später in den Süddeutschen Monatsheften. Auch der Balladendichter Münchhausen lässt an seiner Gesinnung keinen Zweifel aufkommen, bilderreich übertrumpft er Jünger noch, der ebenfalls das Goethe-Gymnasium in Hannover besucht hatte. Münchhausen: »Wenn Adel einen Sinn und Wert haben soll, der über die äußerliche Namensverzierung hinausgeht, so kann es nur dies sein: Menschenzüchtung. (…) Eine Kreuzung von Mops und Dackel ergibt immer nur ein Mistvieh und zerstört somit gleichzeitig die Stämme beider reingezüchteter Eltern. Eine Ehe zwischen Ariern und Juden ergibt immer einen Bastard, der den Sprung, den Riss, im Äußeren und Innern, in Sprache und Bewegung, in Geist und Seele, in Sittlichkeit und Denken nie loswird. Der reine jüdische Stamm ist durch die Mischehe ebenso auf Geschlechter hinaus vernichtet, wie der reine blau-blonde Stamm« (Börries von Münchhausen: »Adel und Rasse«, 1924).
Doch der Dichter kann noch kürzer: »Die deutsche Seele stirbt, der Jude ist ihr Mörder«, schreibt er sich in »Vom Sterbebett der deutschen Seele« (1926) von der Seele. Münchhausen erhält 1922 den Schillerpreis, wird im Mai 1933 in die preußische Akademie der Künste berufen, unterschreibt im Oktober 1933 mit 88 weiteren Schriftstellern das Gelöbnis treuester Gefolgschaft für den Führer, schlägt 1936 vor, den Juden die deutschen (Tarn-)Namen wegzunehmen, so wären sie besser zu erkennen, wird 1944 in die Liste der »Gottbegnadeten« Künstler aufgenommen, einer Liste des Reichspropagandaministeriums, und nimmt sich am 16. März 1945, vier Tage vor seinem 71. Geburtstag, beim Herannahen der alliierten Truppen mit einer Überdosis Schlaftabletten das Leben.
1998 stirbt Ernst Jünger eines natürlichen Todes. Zu früh, der Einhundertdreijährige hätte gern über sich geschrieben gelesen, er sei der einzige Schriftsteller, der in drei Jahrhunderten gelebt hat.
Postskriptum
Paul Celan notierte einmal, ohne Ernst Jünger oder Martin Heidegger namentlich zu nennen: »Noch die ›Besten‹ wollen den Juden (der ja nichts anders als eine Gestalt des Menschlichen, aber immerhin eine Gestalt ist) als Person, als Subjekt nicht wahrhaben« Paul Celan: »Mikrolithen« (31).
Jüngst erschien von Oskar Ansull das Buch »Papierstreifen«, Wehrhahn Verlag, Hannover 2020, 240 Seiten, 22 €.