Eine Gigafactory nach US-amerikanischem Muster, in US-amerikanischen Dimensionen und in US-amerikanischem Tempo errichtet am Rande einer kleinen, beschaulichen und grünen Gemeinde beschäftigt nicht nur die Gemüter der Anwohner. Erwartungen werden ebenso geweckt wie Befürchtungen. Arbeitsplätze entstehen, auf die in ganz Europa und vor allem vor Ort, im Landkreis, in Deutschland und Polen spekuliert wird. Die Zuliefererindustrie verspricht sich neuen Schwung, während die anderen großen Autobauer zittern. Und Grünheide? Ist Grünheide noch grün, wenn die volle Produktion läuft?
Die Berichterstattung darüber ist üppig. Aber ist sie auch tiefgründig und wahr? Die vielen hundert Seiten von Tesla selbst, die regelmäßig, wenn wieder eine Nachbesserung erfolgt ist, der Öffentlichkeit einsichtig sind, um ihr die Möglichkeit für Einwendungen zu bieten, kann kaum einer bewältigen, der nicht Fachmann auf den verschiedensten Gebieten ist, angefangen vom Bauwesen über Chemie bis zur Wasserwirtschaft und Verkehrslogistik. Man ist als Bürger auf Presse, Rundfunk und Fernsehen angewiesen und hofft, in jedem neuen Bericht auch etwas Neues zu finden, das hilft, die politischen, ökonomischen, ökologischen und soziologischen Vorgänge rund um den Bau dieses Autowerkes zu verstehen.
Der studierte Theaterwissenschaftler und Philosoph Wolfgang Bauernfeind, der auch journalistisch tätig ist, hat nun im Mitteldeutschen Verlag ein Buch vorgelegt unter dem Titel »Teslas Gigafactory. Fluch oder Segen?«. Das Fragezeichen bedeutet, dass Antworten gesucht werden. Es sind genau die Fragen, die von den Kritikern immer wieder gestellt werden: Sind Klimaschutz, Wohlstand und Schaffung von Arbeitsplätzen vereinbar? Sind Elektroautos überhaupt ein Weg, die Umwelt zu retten? Die Antworten sucht Bauernfeind auf sauberem journalistischem Weg, indem er sich vor Ort begibt und vom Studenten bis zum Minister, vom Fachmann bis zum einfachen Bürger mit Namensnennung, vom heißen Befürworter bis zum hartnäckigen Kritiker die Leute dazu interviewt. Nur an die Hauptfigur, an Musk, ist er ebenso wenig rangekommen wie an das »Schweigekartell der Eingeweihten«. Alle anderen haben ihm Meinungen mitgeteilt, Meinung reiht sich an Meinung, interessant, jedoch eben nur Meinung, keine Beweisführung. Entstanden ist – auch mit Hilfe der öffentlichen und sozialen Medien – eine schon fast spannende Reportage aus der Ich-Perspektive, eine kurzweilig, leicht verständlich erzählte Chronik, die jeder seriösen Regionalzeitung alle Ehre machen würde. Er, der Journalist, ist dabei nur der Beobachter am Rande, der anschaulich, zuweilen auch ironisch, Stimmungen schildert, Personencharakteristiken liefert und seine eigenen Gedanken und Wertungen dabei tunlichst ausklammert: Chronik der Baugeschichte mit all ihren Widrigkeiten von außen, nicht vom Insider oder gar Experten. Nur selten äußert sich versteckte Kritik, etwa wenn er seine »Akteneinsicht im Rathaus von Grünheide« mit der Feststellung kommentiert, dass Zusicherungen, Maßnahmen zu Verminderung oder Ausgleich von Beeinträchtigungen »auf den Leser wie eine unverbindliche Absichtserklärung, die der Antragsteller sich abgerungen hat«, wirken. Auch manche Doppelzüngigkeiten von Politikern werden entlarvt, zum Beispiel beim Tesla-Befürworter Axel Vogel, Brandenburgs Landwirtschaftsminister der Grünen: »Böden sind zusammen mit Wasser und Luft unsere wichtigsten Lebensgrundlagen. Sie sind ein begrenztes und nicht vermehrbares Gemeinschaftsgut mit lebenswichtigen Funktionen für uns Menschen und die Ökosysteme«, hat er anlässlich des Weltbodentages gesagt. »Gilt das nicht auch für Grünheide?«, fragt sich und uns der Buchautor. Wertvoll sind – als »High Noon im Speckgürtel« – die Wort- und Situationsprotokolle der öffentlichen Erörterung in der Stadthalle von Erkner am 23. September 2020 als achtzehntes von 55 Kapiteln. In dieser Weise sind sie wohl noch nicht allgemein zugänglich veröffentlicht worden. Die Protokolle lassen den Leser vermuten – und das ist vom Autor sicher beabsichtigt –, dass bewusst Taktiken der Verzögerung und der Erschwernis der Zugänglichkeit angewandt wurden, um einer sachlichen Auseinandersetzung ausweichen zu können.
Wirklich Neues bietet das Buch nicht. Auch keine Antworten auf die vorangestellten Fragen. Im Gegenteil. Das Problem des Ausspielens von globalem Klimaschutz gegen lokalen Umweltschutz scheint er gar nicht zu erkennen, und wieso es funktionieren kann, dass ein Bauen ohne Genehmigungen möglich ist, während jeder kleine Häuslebauer massive Probleme bekommt, wenn sein Schuppen nur etwas größer gerät als geplant, wird nicht angesprochen. Aber das Buch liefert beiden Seiten genügend Argumente, um munter mitreden zu können im Meinungsstreit über Fakten, die dem Bürger von oben vorgesetzt werden.
Wolfgang Bauernfeind, Teslas Gigafactory. Fluch oder Segen? Mit Fotografien von Albrecht Köhler, Mitteldeutscher Verlag 2022, 264 S., 20 €.