Wer den deutschen Hochadel einmal persönlich kennenlernen möchte, muss dafür nicht bis zu den nächsten Bayreuther Festspielen warten. Ganzjährige Begegnungen sind in beinah jedem zweiten Wald möglich. Man muss sich dort einfach nur beim Sammeln von Bärlauch und Brennholz erwischen lassen. Was viele nicht wissen: Der deutsche Wald ist größtenteils Privatbesitz und auch ein Reservat für die wenigen Adligen, die unser Land noch hat. Das zeigt der Blick in die Vorstände und Präsidien der Waldbesitzervereine. Im Bundesverband und in den Landesstellen tummeln sich die Freiherren, Grafen, Fürsten und Prinzen – allein im bayrischen Landesverband sind es 16 Adlige, darunter auch ein gewisser Freiherr von und zu Guttenberg. Es lohnt sich also, beim nächsten Urlaub in Franken den ein oder anderen Knüppel aus dem Unterholz zu ziehen. Mit etwas Glück steht ein Verwandter des einst promovierten einstigen Verteidigungsministers mit mahnendem Finger auf dem Weg und droht höflich mit einer Anzeige wegen Diebstahls. Denn Brennnessel, Pilz und Holz gehören dem Waldbesitzer. Man darf zwar oft kleine Mengen für den Eigenbedarf mitnehmen, aber die genaue Grenze dessen, was man spontan zur Selbstversorgung heimtragen darf, ist nicht klar definiert. Alles eine Ermessensfrage also. Mitunter kann es deshalb recht teuer werden, im Wald auf einen Adligen zu treffen.
Es lohnt sich trotzdem. Wer kann schon von sich behaupten, dem Herzog von Oldenburg (im Landesverband Schleswig-Holstein, verwandt mit Beatrix von Storch!) oder dem Prinzen von Waldeck und Pyrmont (in Hessen) begegnet zu sein? Und auch wenn ein Treffen im Wald ausbleibt: Es macht schon einiges her, gefürstetes Brennholz in den Kamin zu schieben oder seinen Gästen echte Prinzenpilze servieren zu können.
Das Positive an der Wiedervereinigung ist, dass man für eine Begegnung mit dem Adel nicht mehr umständlich nach »drüben« reisen muss. Auch in Deutschlands Osten sind die Adligen wieder heimisch geworden und haben ihren Vorkriegsbesitz aus dem Staatsschatz restituiert bekommen. In Mecklenburg sitzen beispielsweise ein Baron, ein Freiherr, ein Graf, ein Ritter und ein Herr von Bülow im Vorstand des Waldbesitzerverbandes – der von Ulrich von Trotha geleitet wird (Trotha: Sie wissen schon, der Kerl mit dem Völkermord an den Herero).
Ähnlich prominent geht es in den anderen östlichen Landesverbänden zwar nicht zu, aber Freiherren finden sich zumindest in Brandenburg und Thüringen und ein echter Prinz sogar in Sachsen-Anhalt. Nun sagt das Haus derer zu Salm-Salm nicht einmal unbedingt jedem Bunte-Leser etwas, aber lieber ein C-Promi als gar kein Adelstitel.
Aber auch wenn dem Adel ein Großteil des deutschen Privatwaldes gehört, ist es doch nicht so einfach, ihm in freier Wildbahn zu begegnen. Denn die meisten Adligen haben sich auf Großgrundbesitz verlegt. Das liegt daran, dass bei der Abschaffung der Monarchie ehemaliges Staatland kurzerhand zu Privatbesitz gemacht wurde. Deshalb sind noch heute die wirklich großen Waldbesitzer vor allem Adlige wie die Fürsten zu Thun und Taxis, Hatzfeld und Hohenzollern. Den größten zusammenhängenden Wald in Ostdeutschland hält übrigens das Haus Sachsen-Coburg und Gotha. Wer da spazieren geht, kann so viel Brennholz und Pilze rausschleppen, wie er mag. Die Wahrscheinlichkeit, auf den Tausenden von Hektar denselben Trampelpfad wie ein Blaublüter zu benutzen, ist doch sehr gering.
Ein Blick auf die Landkarte zeigt, warum es letztlich sehr unwahrscheinlich ist, beim Pilzesammeln einen Adligen zu finden. Zwar befindet sich jeder zweite Wald in privater Hand, aber markiert ist das an keinem Baum. Beispiel Sachsen: Der Wald um Leipzig gehört der Stadt, der um Dresden dem Land und der bei Bautzen der Kirche. Die Bäume der Sächsischen Schweiz gehören dem Freistaat, die der Oberlausitz dem Bund. Im Vogtland sind außerdem noch Restbestände der Treuhand. Und diese Vorstellung ist ja dann doch sehr ernüchternd: Du spazierst durch die Wälder vom mondänen Bad Brambach, hältst die Augen auf nach irgendeinem Prinzen von Salm-Sonstwas – und läufst einem Treuhänder in die Arme!