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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Achtsam bleiben!

»Lebens­ge­schich­ten kom­mu­ni­sti­scher Wider­stands­kämp­fe­rin­nen und -kämp­fer wer­den seit drei Jahr­zehn­ten nur noch sel­ten erzählt. Umso wert­vol­ler sind schrift­li­che Auf­zeich­nun­gen, die von Akteu­rin­nen und Akteu­ren selbst stam­men – etwa jene der Ham­bur­ger Wider­stands­kämp­fe­rin und KZ-Über­le­ben­den Katha­ri­na Jacob.« So beginnt Mar­kus Bern­hardt sei­ne Rezen­si­on (jW, 19.7.2021) ihrer Lebens­er­in­ne­run­gen (»Wider­stand war mir nicht in die Wie­ge gelegt«, 2020).

Wie kann deren Erbe wei­ter­wir­ken? Als ein Bei­spiel dafür ist eine Lesung zu nen­nen, die im Rah­men des »12. Ohls­dor­fer Frie­dens­fests« auf dem gro­ßen Ham­bur­ger Fried­hof Ohls­dorf Ende Juli statt­ge­fun­den hat. Ver­an­stal­tet wur­de sie von der VVN/​BdA. Katha­ri­na Jacobs Toch­ter Ilse mode­rier­te eine Lesung aus den Lebens­er­in­ne­run­gen ihrer im August 1989 ver­stor­be­nen Mut­ter, indem sie die Ver­bin­dung zwi­schen den gele­se­nen Abschnit­ten her­stell­te. Beson­ders deut­lich wur­de der eigen­stän­di­ge Weg in der poli­ti­schen Ent­wick­lung ihrer Mut­ter, die schon in jun­gen Jah­ren mit Gleich­ge­sinn­ten aus der Gewerk­schaft dar­über debat­tier­te, was Marx‘ The­se bedeu­te, dass das Sein das Bewusst­sein bestimmt. Die Ant­wort gab sie sich selbst: Sie reflek­tier­te, unter welch schwie­ri­gen sozia­len Bedin­gun­gen sie als Arbei­ter­kind auf­ge­wach­sen war, und schil­der­te dies in ihren Erin­ne­run­gen so ein­dring­lich, dass sich die dis­ku­tier­te The­se wie von selbst belegt.

Boden­stän­dig, wie es in der Lesung zum Aus­druck kam, war Katha­ri­na Jacob auch in ihrer beruf­li­chen Kar­rie­re: Trotz gro­ßer Selbst­zwei­fel ergriff sie 1946 die ihr von der bri­ti­schen Besat­zungs­ad­mi­ni­stra­ti­on gebo­te­nen Gele­gen­heit, Volks­schul­leh­re­rin zu wer­den, obwohl sie selbst nur eine Volks­schu­le besucht hatte.

Katha­ri­na Jacob war in erster Ehe mit Wal­ter Hoch­muth ver­hei­ra­tet gewe­sen. Aus die­ser Ehe stamm­te die 1931 gebo­re­ne Toch­ter Ursel Hoch­muth. Wal­ter Hoch­muth muss­te 1933 als KPD-Poli­ti­ker unter­tau­chen und emi­grier­te spä­ter. Die Ehe mit Katha­ri­na Jacob zer­brach. Ihr zwei­ter Ehe­mann, Franz Jacob, war am Auf­bau zwei­er bedeu­ten­der anti­fa­schi­sti­scher Wider­stands­or­ga­ni­sa­tio­nen – der Grup­pe »Bäst­lein-Jacob-Absha­gen« (in Ham­burg) und »Saef­kow-Jacob-Bäst­lein« (Ber­lin) – betei­ligt. Er war Ilse Jacobs (*1942) Vater.

Ursel Hoch­muth zog 1949 nach Ber­lin (DDR) um, leg­te an der Arbei­ter- und Bau­ern-Fakul­tät das Abitur ab und stu­dier­te an der Uni­ver­si­tät Leip­zig Ger­ma­ni­stik. Ursel Hoch­muth-Ertel, wie sie nach ihrer Hei­rat hieß, begann ihre wis­sen­schaft­li­che Arbeit über den anti­fa­schi­sti­schen Wider­stand (»Die Bäst­lein-Jacob-Absha­gen-Grup­pe. Berich­te über den anti­fa­schi­sti­schen Wider­stands­kampf in Ham­burg und an der Was­ser­kan­te wäh­rend des zwei­ten Welt­krie­ges«, Dietz Ver­lag, Ber­lin 1959) unter dem Pseud­onym »Ursu­la Puls«. Hier­zu schreibt Ilse Jacob in ihrem Nach­wort zu den Lebens­er­in­ne­run­gen ihrer Mut­ter: »Die­ses Pseud­onym war eigent­lich leicht zu ent­rät­seln, denn Mar­tin Puls war in Ber­lin der ille­ga­le Name von Franz Jacob.« Das The­ma »Wider­stand in der NS-Zeit« – als Lebens­wirk­lich­keit und als For­schungs­the­ma – ver­band Mut­ter und Tochter.

Aber es gibt auch ein – aller­dings sehr unschö­nes – ver­bin­den­des Ele­ment in den Bio­gra­fien der Mut­ter und ihrer bei­den Töch­ter: Alle hat­ten sie in der BRD unter staat­li­cher Repres­si­on im beruf­li­chen Bereich zu lei­den. Katha­ri­na Jacob soll­te 1950 auf­grund des »Ade­nau­er-Erlas­ses« als Leh­re­rin ent­las­sen wer­den. (Die­ser bestimm­te, dass es öffent­lich Bedien­ste­ten ver­bo­ten war, Mit­glied in Orga­ni­sa­tio­nen zu sein, die die Bun­des­re­gie­rung als ver­fas­sungs­feind­lich ein­stuf­te; zu die­sen gehör­te auch die bis 1956 nicht ver­bo­te­ne KPD.) Nur das Wohl­wol­len ihres Schul­lei­ters hat ihr die Ent­las­sung und dem Staat BRD eine wei­te­re Schan­de erspart. Auch Ilse Jacob war als KPD- bzw. DKP-Mit­glied von der Ent­las­sung als Leh­re­rin bedroht: 1972 war der Ham­bur­ger Senat Vor­rei­ter der spä­ter als »Berufs­ver­bo­te« bekann­ten Pra­xis. Der Ver­fas­sungs­schutz warf ihr u.a. die Unter­schrift unter einen Auf­ruf für eine Anti-NPD-Kund­ge­bung vor. Die Empö­rung über den Ver­fas­sungs­schutz und die Unter­stüt­zung für Ilse Jacob waren aller­dings so groß, dass der Senat sich gezwun­gen sah, das Berufs­ver­bot gegen sie zurückzunehmen.

Und die nach­fol­gen­de Gene­ra­ti­on? Eine Enke­lin von Katha­ri­na Jacob heißt auch Katha­ri­na. In einem Inter­view mit ihr und Ilse Jacob (jW, 31.7./1.8. 2021) wird sie gefragt, ob es Zufall sei, dass sie den glei­chen Vor­na­men tra­ge wie ihre Groß­mutter. Sie ant­wor­tet: »Nein, das ist sicher­lich kein Zufall. (…) Auch heu­te noch pas­siert es mir immer wie­der mal, dass Leu­te auf­grund mei­nes Namens eine Ver­bin­dung zu mei­ner Groß­mutter her­stel­len, das freut mich immer sehr.«

Zusam­men­ge­fasst bestehen die Chan­cen für das Wei­ter­wir­ken des Wider­stands­kampfs Katha­ri­na Jacobs in der Ein­bin­dung ihrer Töch­ter auf Grund der trans­ge­ne­ra­tio­nel­len bio­gra­fi­schen Par­al­le­len in der BRD und der Annah­me ihres Ver­mächt­nis­ses durch ihre Enkelin.

Eine hin­sicht­lich ihrer Strahl­kraft wohl ein­ma­li­ge Kom­bi­na­ti­on von anti­fa­schi­sti­scher Arbeit in der BRD nach anti­se­mi­ti­scher Ver­fol­gung im Faschis­mus stellt die Bio­gra­fie der kürz­lich ver­stor­be­nen Ausch­witz-Über­le­ben­den Esther Beja­ra­no dar. Die Ehrun­gen durch staat­li­che Stel­len kön­nen nicht dar­über hin­weg­täu­schen, dass ihre dezi­dier­ten poli­ti­schen Posi­tio­nen der Obrig­keit immer wie­der unbe­quem wur­den, wie ihr Freund und »klei­ner Bru­der« Rolf Becker ein­drucks­voll in sei­ner Trau­er­re­de gezeigt hat (vgl.:https://www.auschwitz-komitee.de/5937/rolf-becker-zum-abschied-von-esther/). Sie hat sich zu ihren Leb­zei­ten immer wie­der – und ich möch­te behaup­ten: erfolg­reich – dar­um bemüht, ihr Ver­mächt­nis gera­de der jün­ge­ren Gene­ra­ti­on zu ver­mit­teln. Im Ausch­witz-Komi­tee in der BRD, deren Vor­sit­zen­de sie über vie­le Jah­re war, wur­de, nicht zuletzt auf ihre Anre­gung hin, in den letz­ten Jah­ren immer wie­der über das Pro­blem gespro­chen, wie sich das Geden­ken an Ver­fol­gung und Wider­stand im Faschis­mus gestal­ten könn­te, wenn die letz­ten Zeit­zeu­gen gestor­ben sind. Die Auf­ga­be, dafür zu sor­gen, haben sich die VVN/​BdA und das Ausch­witz-Komi­tee in der BRD gestellt.

Esther Beja­ra­no hat zu ihren Leb­zei­ten immer wie­der auf die Gefah­ren von rechts hin­ge­wie­sen. Aber mit »Weh­ret den Anfän­gen!« war es für sie nicht getan. »Weh­ret den Anfän­gen? Wir sind schon mit­ten­drin«, hat sie bereits vor Jah­ren gesagt. Sie sah hier­zu­lan­de nicht nur Juden und Jüdin­nen gefähr­det, son­dern auch Geflüch­te­te und Men­schen ande­rer Haut­far­be oder Mus­li­me. In ihrer letz­ten gro­ßen Rede – zum 8. Mai – fass­te sie ihren Appell noch ein­mal zusam­men in den Wor­ten: »Bit­te, bit­te schweigt nicht, wenn ihr Unrecht seht.« Bei die­ser Rede im Ham­bur­ger »Gän­ge­vier­tel« bestand das Publi­kum vor­wie­gend aus jun­gen Leu­ten. Auf der Gedenk­ver­an­stal­tung für Esther Beja­ra­no in der »Kamp­na­gel­fa­brik« erhiel­ten zwei jun­ge Leu­te aus der Anti­fa beson­de­ren Bei­fall; sie hat­ten deut­lich gemacht, dass sie ihr poli­tisch-mora­li­sches Ver­mächt­nis als Auf­trag anse­hen. Sie hat­te, an Jugend­lich gewen­det, immer wie­der gesagt: »Ihr seid nicht schuld an dem, was damals geschah. Aber ihr macht euch schul­dig, wenn ihr über die­se schreck­li­chen Ver­bre­chen nichts wis­sen wollt.«