»Lebensgeschichten kommunistischer Widerstandskämpferinnen und -kämpfer werden seit drei Jahrzehnten nur noch selten erzählt. Umso wertvoller sind schriftliche Aufzeichnungen, die von Akteurinnen und Akteuren selbst stammen – etwa jene der Hamburger Widerstandskämpferin und KZ-Überlebenden Katharina Jacob.« So beginnt Markus Bernhardt seine Rezension (jW, 19.7.2021) ihrer Lebenserinnerungen (»Widerstand war mir nicht in die Wiege gelegt«, 2020).
Wie kann deren Erbe weiterwirken? Als ein Beispiel dafür ist eine Lesung zu nennen, die im Rahmen des »12. Ohlsdorfer Friedensfests« auf dem großen Hamburger Friedhof Ohlsdorf Ende Juli stattgefunden hat. Veranstaltet wurde sie von der VVN/BdA. Katharina Jacobs Tochter Ilse moderierte eine Lesung aus den Lebenserinnerungen ihrer im August 1989 verstorbenen Mutter, indem sie die Verbindung zwischen den gelesenen Abschnitten herstellte. Besonders deutlich wurde der eigenständige Weg in der politischen Entwicklung ihrer Mutter, die schon in jungen Jahren mit Gleichgesinnten aus der Gewerkschaft darüber debattierte, was Marx‘ These bedeute, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt. Die Antwort gab sie sich selbst: Sie reflektierte, unter welch schwierigen sozialen Bedingungen sie als Arbeiterkind aufgewachsen war, und schilderte dies in ihren Erinnerungen so eindringlich, dass sich die diskutierte These wie von selbst belegt.
Bodenständig, wie es in der Lesung zum Ausdruck kam, war Katharina Jacob auch in ihrer beruflichen Karriere: Trotz großer Selbstzweifel ergriff sie 1946 die ihr von der britischen Besatzungsadministration gebotenen Gelegenheit, Volksschullehrerin zu werden, obwohl sie selbst nur eine Volksschule besucht hatte.
Katharina Jacob war in erster Ehe mit Walter Hochmuth verheiratet gewesen. Aus dieser Ehe stammte die 1931 geborene Tochter Ursel Hochmuth. Walter Hochmuth musste 1933 als KPD-Politiker untertauchen und emigrierte später. Die Ehe mit Katharina Jacob zerbrach. Ihr zweiter Ehemann, Franz Jacob, war am Aufbau zweier bedeutender antifaschistischer Widerstandsorganisationen – der Gruppe »Bästlein-Jacob-Abshagen« (in Hamburg) und »Saefkow-Jacob-Bästlein« (Berlin) – beteiligt. Er war Ilse Jacobs (*1942) Vater.
Ursel Hochmuth zog 1949 nach Berlin (DDR) um, legte an der Arbeiter- und Bauern-Fakultät das Abitur ab und studierte an der Universität Leipzig Germanistik. Ursel Hochmuth-Ertel, wie sie nach ihrer Heirat hieß, begann ihre wissenschaftliche Arbeit über den antifaschistischen Widerstand (»Die Bästlein-Jacob-Abshagen-Gruppe. Berichte über den antifaschistischen Widerstandskampf in Hamburg und an der Wasserkante während des zweiten Weltkrieges«, Dietz Verlag, Berlin 1959) unter dem Pseudonym »Ursula Puls«. Hierzu schreibt Ilse Jacob in ihrem Nachwort zu den Lebenserinnerungen ihrer Mutter: »Dieses Pseudonym war eigentlich leicht zu enträtseln, denn Martin Puls war in Berlin der illegale Name von Franz Jacob.« Das Thema »Widerstand in der NS-Zeit« – als Lebenswirklichkeit und als Forschungsthema – verband Mutter und Tochter.
Aber es gibt auch ein – allerdings sehr unschönes – verbindendes Element in den Biografien der Mutter und ihrer beiden Töchter: Alle hatten sie in der BRD unter staatlicher Repression im beruflichen Bereich zu leiden. Katharina Jacob sollte 1950 aufgrund des »Adenauer-Erlasses« als Lehrerin entlassen werden. (Dieser bestimmte, dass es öffentlich Bediensteten verboten war, Mitglied in Organisationen zu sein, die die Bundesregierung als verfassungsfeindlich einstufte; zu diesen gehörte auch die bis 1956 nicht verbotene KPD.) Nur das Wohlwollen ihres Schulleiters hat ihr die Entlassung und dem Staat BRD eine weitere Schande erspart. Auch Ilse Jacob war als KPD- bzw. DKP-Mitglied von der Entlassung als Lehrerin bedroht: 1972 war der Hamburger Senat Vorreiter der später als »Berufsverbote« bekannten Praxis. Der Verfassungsschutz warf ihr u.a. die Unterschrift unter einen Aufruf für eine Anti-NPD-Kundgebung vor. Die Empörung über den Verfassungsschutz und die Unterstützung für Ilse Jacob waren allerdings so groß, dass der Senat sich gezwungen sah, das Berufsverbot gegen sie zurückzunehmen.
Und die nachfolgende Generation? Eine Enkelin von Katharina Jacob heißt auch Katharina. In einem Interview mit ihr und Ilse Jacob (jW, 31.7./1.8. 2021) wird sie gefragt, ob es Zufall sei, dass sie den gleichen Vornamen trage wie ihre Großmutter. Sie antwortet: »Nein, das ist sicherlich kein Zufall. (…) Auch heute noch passiert es mir immer wieder mal, dass Leute aufgrund meines Namens eine Verbindung zu meiner Großmutter herstellen, das freut mich immer sehr.«
Zusammengefasst bestehen die Chancen für das Weiterwirken des Widerstandskampfs Katharina Jacobs in der Einbindung ihrer Töchter auf Grund der transgenerationellen biografischen Parallelen in der BRD und der Annahme ihres Vermächtnisses durch ihre Enkelin.
Eine hinsichtlich ihrer Strahlkraft wohl einmalige Kombination von antifaschistischer Arbeit in der BRD nach antisemitischer Verfolgung im Faschismus stellt die Biografie der kürzlich verstorbenen Auschwitz-Überlebenden Esther Bejarano dar. Die Ehrungen durch staatliche Stellen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass ihre dezidierten politischen Positionen der Obrigkeit immer wieder unbequem wurden, wie ihr Freund und »kleiner Bruder« Rolf Becker eindrucksvoll in seiner Trauerrede gezeigt hat (vgl.:https://www.auschwitz-komitee.de/5937/rolf-becker-zum-abschied-von-esther/). Sie hat sich zu ihren Lebzeiten immer wieder – und ich möchte behaupten: erfolgreich – darum bemüht, ihr Vermächtnis gerade der jüngeren Generation zu vermitteln. Im Auschwitz-Komitee in der BRD, deren Vorsitzende sie über viele Jahre war, wurde, nicht zuletzt auf ihre Anregung hin, in den letzten Jahren immer wieder über das Problem gesprochen, wie sich das Gedenken an Verfolgung und Widerstand im Faschismus gestalten könnte, wenn die letzten Zeitzeugen gestorben sind. Die Aufgabe, dafür zu sorgen, haben sich die VVN/BdA und das Auschwitz-Komitee in der BRD gestellt.
Esther Bejarano hat zu ihren Lebzeiten immer wieder auf die Gefahren von rechts hingewiesen. Aber mit »Wehret den Anfängen!« war es für sie nicht getan. »Wehret den Anfängen? Wir sind schon mittendrin«, hat sie bereits vor Jahren gesagt. Sie sah hierzulande nicht nur Juden und Jüdinnen gefährdet, sondern auch Geflüchtete und Menschen anderer Hautfarbe oder Muslime. In ihrer letzten großen Rede – zum 8. Mai – fasste sie ihren Appell noch einmal zusammen in den Worten: »Bitte, bitte schweigt nicht, wenn ihr Unrecht seht.« Bei dieser Rede im Hamburger »Gängeviertel« bestand das Publikum vorwiegend aus jungen Leuten. Auf der Gedenkveranstaltung für Esther Bejarano in der »Kampnagelfabrik« erhielten zwei junge Leute aus der Antifa besonderen Beifall; sie hatten deutlich gemacht, dass sie ihr politisch-moralisches Vermächtnis als Auftrag ansehen. Sie hatte, an Jugendlich gewendet, immer wieder gesagt: »Ihr seid nicht schuld an dem, was damals geschah. Aber ihr macht euch schuldig, wenn ihr über diese schrecklichen Verbrechen nichts wissen wollt.«