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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Ach »Die LINKE«

Macht die Poli­tik, was die Wäh­ler wol­len, dann gähnt die Bevöl­ke­rung. Die­ses Geschäfts­mo­dell funk­tio­niert eigent­lich schon seit Ende des 1. Welt­kriegs. Mal mehr, mal weni­ger. Jede Besorg­nis hält sich in jenen Gren­zen, die garan­tie­ren, dass man poli­ti­sche Macht nicht ver­liert und das Volk sei­ne Wahl­pflicht erfüllt und Ruhe bewahrt. In den Blät­tern für deut­sche und inter­na­tio­na­le Poli­tik beschäf­tigt sich Dr. rer. pol Moritz Kirch­ner unter dem Titel »Absturz mit Ansa­ge: Die Lin­ke in der Iden­ti­täts­kri­se« mit dem der­zei­ti­gen Zustand der Links­par­tei, die in den letz­ten Wochen vor der Wahl noch hoff­te, gemein­sam mit der Sozi­al­de­mo­kra­tie und den über­all, wo es nur geht, mit­re­gie­ren­den Grü­nen end­lich einen Mini­ster­po­sten zu ergat­tern. Ein Mini­ste­rin­nen­po­sten wär’s wohl nicht gewor­den, weil man ja der Frau Wagen­knecht-Kim­mich die Aus­schluss­kar­te zei­gen will.

Der Dr. rer. pol Kirch­ner: »Die Links­par­tei hat sich auch immer als Pro­test­par­tei gegen die kapi­ta­li­sti­schen Ver­hält­nis­se ver­stan­den.« Von den not­wen­di­gen Maß­nah­men aller­dings, die den Kapi­ta­lis­mus end­lich in die Wüste schicken könn­ten, war weder etwas zu hören noch zu lesen. Wer, wie die SPD, längst ver­ges­sen hat, wie man Kom­mu­ni­ka­ti­on mit Frau­en und Män­nern ent­wickelt, die Wäh­le­rin­nen und Wäh­ler die­ser Par­tei sein könn­ten, kann eben fast nur Man­da­ta­rin­nen und Man­da­ta­re für den Bun­des­tag auf­stel­len, die man zum intel­lek­tu­el­len Teil unse­rer Bevöl­ke­rung zäh­len muss. Erfah­run­gen mit oder gar in der indu­stri­el­len Arbeits­welt sind in die­ser Frak­ti­on nicht zu finden.

Dis­kus­sio­nen zur Fra­ge von Betriebs­be­set­zun­gen sind genau­so ver­pönt, wie die For­de­rung, end­lich mit einem rigi­den Betriebs­ver­fas­sungs­ge­setz (BetrVG) dafür zu sor­gen, dass in jedem Betrieb ein Betriebs­rat gewählt wer­den muss. Inter­es­sens­ver­tre­tung darf nicht, wie es lei­der land­auf-land­ab zu häu­fig prak­ti­ziert wird, zur »Mas­ken­pro­vi­si­ons­ein­kas­sier­po­li­tik« ver­kom­men. Es reicht auch nicht, irgend­wo in einem Ber­li­ner Wahl­be­zirk ein­mal im Monat am Cur­ry­wurst­stand so zu tun, als sei damit die basis­na­he poli­ti­sche Arbeit erledigt.

Es wäre wirk­lich mehr als not­wen­dig, sich mit der lan­gen und erfolg­rei­chen Geschich­te der Kom­mu­ni­stin­nen und Kom­mu­ni­sten in Öster­reichs zweit­größ­ter Stadt zu beschäf­ti­gen. Jahr­zehn­te kon­se­quen­ter Arbeit, die die Pro­ble­me und Inter­es­sen der Men­schen in Graz ernst­nimmt und für Abhil­fe sorgt, das wäre not­wen­dig für eine lin­ke Par­tei in Deutsch­land, die mit einem »wei­ter so« bald nur noch Geschich­te, schlech­te Geschich­te sein wird (sie­he hier­zu schon mei­nen Bei­trag »Von Graz ler­nen«, Ossietzky 20/​2021).

Seit abhän­gi­ge Beschäf­ti­gung zur Geschich­te der Mensch­heit zählt, Arbeit also Wer­te schafft, haben die, auf deren Lei­stun­gen die­se Wer­te beru­hen, kein Recht, ihr Eigen­tum an den Pro­duk­ti­ons­mit­teln, Gebäu­den wahrzunehmen.

Ein wenig Geschich­te gefäl­lig? Nach Ende des ersten Welt­kriegs, bei dem Mil­lio­nen Men­schen für nichts und wie­der nichts auf den Schlacht­fel­dern Euro­pas ver­blu­te­ten, tra­fen sich vom 16. bis 21. Sep­tem­ber in Ber­lin die Arbei­ter und Sol­da­ten­rä­te. Die damals durch die dama­li­ge Mehr­heits­so­zi­al­de­mo­kra­tie ange­führ­te Ver­samm­lung unter der Regie von Ebert und Schei­de­mann beschloss: »Der Kon­gress der Arbei­ter und Sol­da­ten­rä­te beauf­tragt die Regie­rung, mit der Sozia­li­sie­rung aller hier­zu rei­fen Indu­strien, ins­be­son­de­re des Berg­baus, unver­züg­lich zu begin­nen.« Die­ser Antrag wur­de mit 344 Stim­men zwar ange­nom­men – aber nie­mals umgesetzt.

Auch nach Ende des 2. Welt­kriegs schei­ter­te die Chan­ce, eine ande­re Gesell­schafts­ord­nung zu errich­ten. Dabei gab es, vor allem im Ruhr­ge­biet, Ver­ge­sell­schaf­tungs-For­de­run­gen, die mit Demon­stra­tio­nen und Streiks ein­her­gin­gen. Der Zonen­aus­schuss der CDU für die bri­ti­sche Zone beschloss in sei­ner Tagung vom 1. bis 3. Febru­ar 1947 in Ahlen sogar das »Ahle­ner Pro­gramm«. Die­ses anti­ka­pi­ta­li­sti­sche Pro­gramm der CDU dürf­te bekannt sein. Ver­drängt und ver­ges­sen ist jedoch seit lan­gem, dass damals die CDU für die Ver­staat­li­chung von Groß­kon­zer­nen und Ban­ken plä­dier­te. Auf einem CDU-Wahl­pla­kat des Lan­des­ver­ban­des Ber­lin aus dem Jahr 1946 stand wört­lich: »Arbei­ter der Stirn und der Faust! Wir ste­hen am Anfang einer Zei­ten­wen­de. Das bür­ger­lich-kapi­ta­li­sti­sche Zeit­al­ter ist vor­bei! Dem Sozia­lis­mus gehört die Zukunft! Arbei­ter! Bist Du für eine sinn­voll gelenk­te Plan­wirt­schaft? Dann kämp­fe mit uns für einen Sozia­lis­mus aus christ­li­cher Verantwortung.«

Was aus dem ehr­gei­zi­gen »Pro­gramm« samt Wahl­wer­bung wur­de, zeigt die täg­li­che Rea­li­tät in die­sem nicht-unse­rem Lan­de. Wer die­sen Teil der Geschich­te nach 1945 mit sei­nen vie­len ver­ta­nen Chan­cen stu­die­ren will, kommt an Vik­tor Agartz (1897-1964) nicht vor­bei. Vor mehr als 67 Jah­ren hielt er auf dem DGB-Kon­gress des Jah­res 1954 in Frank­furt am Main eine drei­stün­di­ge Rede und kri­ti­sier­te scharf den Weg des DGB samt des­sen Illu­sio­nen zur Mit­be­stim­mung und Sozi­al­part­ner­schaft. Den Kampf um eine Umge­stal­tung der Gesell­schaft und Wirt­schaft, so Agartz, hät­ten die Gewerk­schaf­ten schon fünf Jah­re nach Grün­dung der Bun­des­re­pu­blik ver­lo­ren. Agartz nennt die betrieb­li­chen Sozi­al­lei­stun­gen »Indu­strie­feu­da­lis­mus«, der zu einer neu­en Leib­ei­gen­schaft der abhän­gig Beschäf­tig­ten füh­re. »Sozi­al­part­ner­schaft« ist für ihn ein Schlag­wort, das die Abhän­gig­keit der Arbei­ter vom Kapi­tal ver­ne­beln soll, und die »Mit­be­stim­mung« sol­le Klas­sen­ge­gen­sät­ze verschleiern.

Wer sich, wie DIE LINKE in Ber­lin, kon­se­quent vor dem The­ma Ver­ge­sell­schaf­tung des Wohn­raums drück­te, um an den Rot­Rot­Grü­nen Macht­fres­strö­gen betei­ligt zu wer­den, oder bei den vie­len »Betriebs­ver­la­ge­run­gen«, die tau­sen­de Arbeits­plät­ze kosten, nicht über ein win­del­wei­ches Sozi­al­plan­ge­säu­sel hin­aus­kommt, der befin­det sich nicht in einer »Iden­ti­täts­kri­se«, nein, der hat kom­plett ver­ges­sen, dass wir ein ande­res Gesell­schafts­sy­stem brau­chen. Also, Genos­si­nen­Ge­nos­sen­Par­tei­tags­de­le­gier­te, erhebt euch von den Sitz­plät­zen. Wir sin­gen – Zwodrei:

Wenn wir beschei­ßen Seit an Seit
Immer nur Alt­neu­es singen
Und das Wahl­volk niederringen
Füh­len wir, es wird gelingen
Mit uns zieht die Lügenzeit
Mit uns zieht Betrügerzeit

Eine Woche Sozialabtrag,
eine Woche Kahl­schlag­la­bern zit­tert noch in
Wahlversprechungslügenadern
Ja wir haben nix zu hadern!
Herr­lich lacht Ozonlochtag,
herr­lich lacht Ozonlochtag!

Gül­le­gelb und gly­pho­sat­gift­grün: Wie mit bittender
Gebär­de fleht die alte Mut­ter Erde, dass der
Mensch ver­nünf­tig werde,
Hält ver­dorr­te Hän­de hin,
Hält ver­dorr­te Hän­de hin.

Mann und Weib und Weib und Mann sind
nur Aus­beut­bar­ob­jek­te und ver­lo­schen ist das Feuer.
Um die Lei­ber legt kein neu­er Frie­den sich,
Wir sind plei­te, Mann und Weib, sind nicht freier,
Wir sind plei­te, Mann und Weib!
Sozi­al­de­mo­kra­tie die geht voran!

Wenn wir beschei­ßen Seit an Seit,
Immer nur Alt­neu­es singen,
Und das Wahl­volk niederringen,
Füh­len wir, es wird gelingen.
Mit uns zieht die Lügenzeit,
Mit uns zieht Betrügerzeit!

(Die­ter Braeg, frei nach »Wenn wir schrei­ten Seit an Seit«, Text: Her­mann Clau­di­us, Musik: Micha­el Englert)

In NRW sind im Mai Land­tags­wah­len, nur ein­mal gelang es der LINKEN, dort in den Land­tag ein­zu­zie­hen. Für Mai 2022 ist eine kra­chen­de Nie­der­la­ge zu erwar­ten, denn eine wirk­lich not­wen­di­ge poli­ti­sche Arbeit wird kaum mög­lich sein. Frau Wagen­knecht und Sevin Dagde­len, die über die NRW-Liste in den Bun­des­tag ein­ge­zo­gen sind, wer­den in NRW in kei­nem Wahl­kreis ein eige­nes Büro eröff­nen, um Bür­ge­rin­Bür­ger näher zu sein. Mit Talk­schau­auf­trit­ten aller­dings wird es zumin­dest für Frau Wagen­knecht dem­nächst mau aus­schau­en, bald herrscht auch für sie, die sich so gern den Erwerblo­sen und abhän­gig Beschäf­tig­ten zuwen­den will, die »2G-Dik­ta­tur«.