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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Abschied vom Kaufhaus

»Denn der bes­se­re Mut war der mei­ne, im eige­nen Lager den Feind zu sehen!« Karl Kraus

Kürz­lich bin ich mal wie­der in mein (frü­he­res) Lieb­lings­kauf­haus gegan­gen, die Gale­ria Kauf­hof nahe beim Haupt­bahn­hof in der Königstrasse. Ich habe die­ses Kauf­haus und das freund­li­che Per­so­nal in sehr guter Erin­ne­rung, habe dort mei­nen ein­zi­gen Anzug gekauft. Wenn man weiß, wie ungern ich ein­kau­fe – mei­ne Mut­ter hat­te die gol­de­ne Breu­nin­ger Kre­dit­kar­te in der ver­mut­lich uner­freu­lich­sten Pha­se ihres Lebens –, hat die Ver­käu­fe­rin ihr Bestes gege­ben. Mein Anzug, durch­aus gün­stig, fand auch in der Ber­li­ner Gesell­schaft Aner­ken­nung bzw. erfüll­te sei­nen Zweck.

Nun sind dort die Hälf­te der Toi­let­ten geschlos­sen, Roll­trep­pen gehen nicht, Kas­se ist einen Stock tie­fer usw., das Haus geht deut­lich sicht­bar, alles wird ver­ramscht, sei­nem Ende ent­ge­gen. Man scheint kei­ne Kauf­häu­ser für die Vie­len mehr zu brau­chen – ent­we­der Luxus oder online. Oder man, der Besit­zer, will lie­ber das Grund­stück verhökern?

Kauf­häu­ser waren einst Sinn­bild des Kapi­ta­lis­mus: »Das Para­dies der Damen« (E. Zola), den ande­ren der Wühl­tisch, also immer schon wenig­stes zwei­deu­tig. (Hier nichts zum Warenfetischismus.)

Der ärme­re Teil der Bevöl­ke­rung wird mit Ama­zon abge­speist, der ande­re kommt auch nicht wirk­lich bes­ser weg. Aber das ist ein ande­res Thema.

Haben wir eine Umkeh­rung? Ich lese bei Karl Kraus: »Seit wann ist denn Mars der Gott des Han­dels und Mer­kur der Gott des Krie­ges? Seit 1914 und heu­te in Euro­pa wie­der.« Oder noch deut­li­cher: »Es han­delt sich in die­sem Krieg«, »Jawohl, es han­delt sich in die­sem Krieg.«*

Die indi­vi­du­el­le Kon­sum­ti­on (über dem schlich­ten Über­le­ben) steht für einen Teil der unte­ren und Mit­tel­schicht nun­mehr in Fra­ge, womit frei­lich auch die Legi­ti­ma­ti­on der spät­ka­pi­ta­li­sti­schen Gesell­schaft ein­her­ging. Und der Irr­tum eini­ger, dass, wenn man die Kon­sum­tem­pel sym­bo­lisch oder real (egal) anzün­de, wür­de das Licht bis in die dunk­len Ecken der fer­nen Welt leuch­ten. Tat es nicht. So wenig leuch­tet heu­te die »letz­te Gene­ra­ti­on«, die sie nicht sein wird, außer die USA sor­gen dafür, die Mas­sen hin­ter sich brin­gen. (Ist viel­leicht auch gar nicht das Ziel. Was denkt sich die Sau, die durchs Dorf gejagt wird?)

Wir haben den Zwangs­kon­sum durch Pfi­zer und Co., der noch zu bezah­len sein wird, und nun Hun­der­te von Mil­li­ar­den für die Rüstung. Ein Bom­ben­ge­schäft für eine Frei­heit, die uns gera­de genom­men wird. (Ganz groß­ar­tig war sie nie). Aber nun geht‘s ans Eingemachte.

Zeit viel­leicht »Die letz­ten Tage der Mensch­heit« von Karl Kraus wie­der her­vor­zu­ho­len. Dies­mal könn­te er wort­wört­lich recht behal­ten, aber das hat­te er doch schon immer?!

* Zit. nach: Kne­p­ler, Georg: Karl Kraus liest Offen­bach. Erin­ne­run­gen, Kom­men­ta­re, Doku­men­ta­tio­nen. Hen­schel Ver­lag 1984.

Lese-Tipp: Fischer, Jens Mal­te: Karl Kraus. Der Wider-Spre­cher, 2020 Wien (Guten­berg Ver­lag). Dar­in wird W. Ben­ja­min zitiert: »Wird die natür­li­che Ver­wer­tung der Pro­duk­tiv­kräf­te durch die Eigen­tums­ord­nung hint­an­ge­hal­ten, so drängt die Stei­ge­rung der tech­ni­schen Behel­fe, der Tem­pi, der Kraft­quel­len nach einer unna­tür­li­chen. Sie fin­det sie im Krie­ge, der mit sei­nen Zer­stö­run­gen den Beweis dafür antritt, dass die Gesell­schaft nicht reif genug dafür war, sich die Tech­nik zu ihrem Organ zu machen, dass die Tech­nik nicht aus­ge­bil­det genug war, die gesell­schaft­li­chen Ele­men­tar­kräf­te zu bewäl­ti­gen (…). Der impe­ria­li­sti­sche Krieg ist ein Auf­stand der Tech­nik, die am ›Men­schen­ma­te­ri­al‹ die Ansprü­che ein­treibt, denen die Gesell­schaft ihr natür­li­ches Mate­ri­al ent­zo­gen hat. Anstatt Flüs­se zu kana­li­sie­ren, lenkt sie den Men­schen­strom in das Bett ihrer Schüt­zen­grä­ben, anstatt Saa­ten aus ihren Aero­pla­nen zu streu­en, streut sie Brand­bom­ben über die Städ­te hin.«