»Denn der bessere Mut war der meine, im eigenen Lager den Feind zu sehen!« Karl Kraus
Kürzlich bin ich mal wieder in mein (früheres) Lieblingskaufhaus gegangen, die Galeria Kaufhof nahe beim Hauptbahnhof in der Königstrasse. Ich habe dieses Kaufhaus und das freundliche Personal in sehr guter Erinnerung, habe dort meinen einzigen Anzug gekauft. Wenn man weiß, wie ungern ich einkaufe – meine Mutter hatte die goldene Breuninger Kreditkarte in der vermutlich unerfreulichsten Phase ihres Lebens –, hat die Verkäuferin ihr Bestes gegeben. Mein Anzug, durchaus günstig, fand auch in der Berliner Gesellschaft Anerkennung bzw. erfüllte seinen Zweck.
Nun sind dort die Hälfte der Toiletten geschlossen, Rolltreppen gehen nicht, Kasse ist einen Stock tiefer usw., das Haus geht deutlich sichtbar, alles wird verramscht, seinem Ende entgegen. Man scheint keine Kaufhäuser für die Vielen mehr zu brauchen – entweder Luxus oder online. Oder man, der Besitzer, will lieber das Grundstück verhökern?
Kaufhäuser waren einst Sinnbild des Kapitalismus: »Das Paradies der Damen« (E. Zola), den anderen der Wühltisch, also immer schon wenigstes zweideutig. (Hier nichts zum Warenfetischismus.)
Der ärmere Teil der Bevölkerung wird mit Amazon abgespeist, der andere kommt auch nicht wirklich besser weg. Aber das ist ein anderes Thema.
Haben wir eine Umkehrung? Ich lese bei Karl Kraus: »Seit wann ist denn Mars der Gott des Handels und Merkur der Gott des Krieges? Seit 1914 und heute in Europa wieder.« Oder noch deutlicher: »Es handelt sich in diesem Krieg«, »Jawohl, es handelt sich in diesem Krieg.«*
Die individuelle Konsumtion (über dem schlichten Überleben) steht für einen Teil der unteren und Mittelschicht nunmehr in Frage, womit freilich auch die Legitimation der spätkapitalistischen Gesellschaft einherging. Und der Irrtum einiger, dass, wenn man die Konsumtempel symbolisch oder real (egal) anzünde, würde das Licht bis in die dunklen Ecken der fernen Welt leuchten. Tat es nicht. So wenig leuchtet heute die »letzte Generation«, die sie nicht sein wird, außer die USA sorgen dafür, die Massen hinter sich bringen. (Ist vielleicht auch gar nicht das Ziel. Was denkt sich die Sau, die durchs Dorf gejagt wird?)
Wir haben den Zwangskonsum durch Pfizer und Co., der noch zu bezahlen sein wird, und nun Hunderte von Milliarden für die Rüstung. Ein Bombengeschäft für eine Freiheit, die uns gerade genommen wird. (Ganz großartig war sie nie). Aber nun geht‘s ans Eingemachte.
Zeit vielleicht »Die letzten Tage der Menschheit« von Karl Kraus wieder hervorzuholen. Diesmal könnte er wortwörtlich recht behalten, aber das hatte er doch schon immer?!
* Zit. nach: Knepler, Georg: Karl Kraus liest Offenbach. Erinnerungen, Kommentare, Dokumentationen. Henschel Verlag 1984.
Lese-Tipp: Fischer, Jens Malte: Karl Kraus. Der Wider-Sprecher, 2020 Wien (Gutenberg Verlag). Darin wird W. Benjamin zitiert: »Wird die natürliche Verwertung der Produktivkräfte durch die Eigentumsordnung hintangehalten, so drängt die Steigerung der technischen Behelfe, der Tempi, der Kraftquellen nach einer unnatürlichen. Sie findet sie im Kriege, der mit seinen Zerstörungen den Beweis dafür antritt, dass die Gesellschaft nicht reif genug dafür war, sich die Technik zu ihrem Organ zu machen, dass die Technik nicht ausgebildet genug war, die gesellschaftlichen Elementarkräfte zu bewältigen (…). Der imperialistische Krieg ist ein Aufstand der Technik, die am ›Menschenmaterial‹ die Ansprüche eintreibt, denen die Gesellschaft ihr natürliches Material entzogen hat. Anstatt Flüsse zu kanalisieren, lenkt sie den Menschenstrom in das Bett ihrer Schützengräben, anstatt Saaten aus ihren Aeroplanen zu streuen, streut sie Brandbomben über die Städte hin.«