In der digitalen Welt mit ihren exponentiell zunehmenden Datenströmen, die immer mehr physische Produkte gewissermaßen mit sich reißen, beginnt auch der Unterschied zwischen Daten und Dingen zu verschwimmen – mit erheblichen Auswirkungen auf die für den Kapitalismus fundamentalen Eigentums- und Austauschverhältnisse. Bislang waren Dinge im Unterschied zu den beliebig oft reproduzierbaren und sich selbst vermehrenden Daten exklusiv. Um sie herzustellen, entstehen Kosten durch den Einsatz von Rohstoffen, Arbeit, Maschinen und Energie, und um sie zu nutzen, ist ihr Besitz die häufigste und ja auch angemessene Form, wenn es nicht permanent zu Streit oder Verhandlungen kommen soll; auf meinem Schreibtischstuhl finde eben nur ich Platz. Allerdings haben die Dinge, mit denen ich mich umgebe und die ich besitze, einen entscheidenden Nachteil: Sie nutzen sich im Gebrauch ab und müssen irgendwann ausgetauscht werden. Daten sind hingegen im Prinzip unvergänglich und werden mit ihrer Nutzung nicht etwa schlechter, sondern immer besser.
Durch diese Datendynamik und durch zunehmende Vernetzung werden die Dinge den Informationsgütern nahezu zwangsläufig immer ähnlicher. Ein Auto von Tesla beispielsweise ist zwar natürlich nach wie vor ein handfester Gegenstand, es handelt sich aber in Wahrheit gar nicht mehr um ein Fahrzeug, sondern um einen Computer auf Rädern. Auch ein Smartphone ist – wer weiß, wie lange noch? – immer noch ein »Ding«, geräteartig. Und zweifellos spielen etwa bei Apples iPhone optische und haptische Eigenschaften eine herausragende Rolle. Ebenso zweifellos sind die Smartphone-Hersteller jahrelang der auf Skaleneffekten beruhenden industriellen Logik gefolgt: Sie haben die Produktion beständig ausgeweitet und durch kurze Produktzyklen – alle zwei Jahre ein neues, besseres Modell, ein neues Betriebssystem und neue Apps, für die die alten Modelle nicht mehr kompatibel sind – am Laufen gehalten.
Diese Phase scheint sich jedoch dem Ende zuzuneigen. Sowohl Verbraucher als auch Gesetzgeber wollen dem Diktat des Angebots nicht länger widerspruchslos folgen. Der Markt ist zwar noch längst nicht »gesättigt«, wie es so schön heißt und wovon die Handy-Verkaufsstände im Elektronikhandel Zeugnis ablegen. Aber angesichts einer gewaltig wachsenden Menge an Elektromüll sowie des enormen Ressourcenverbrauchs (Stichwort: Akku) durch die weltweite Handy-Produktion hat ein Umdenken eingesetzt, zumal die Verbesserungssprünge von einer Geräte-Generation zur nächsten immer kleiner werden. Das erste iPhone war ohne Frage eine Revolution, alle Nachfolgemodelle sind lediglich Optimierungen: schnellere Prozessoren, größere Speicher, bessere Kameras.
Inzwischen sind sogenannte Fairphones im Handel, die in modularer Bauweise sowohl aus recycelten Bauteilen als auch durch die Verwendung »konfliktfreier« Rohstoffe aus geprüften Minen entstehen. Das ist ein schönes Beispiel verantwortlichen Handelns, das die Welt sicher noch nicht zu einem besseren Ort macht, das aber Veränderungstendenzen aufzeigt, die neue »Standards« setzen – und die im Hintergrund die Frage aufwerfen: Geht es um Nutzung oder um Besitz? Ist das Gerätehafte, Dingliche des Smartphones seine hervorstechende und es gewissermaßen definierende Eigenschaft?
Ich behaupte: nein, auch wenn ein Blick in unsere Umwelt etwas anderes nahezulegen scheint. So wie das Auto einen langsamen Bedeutungsverlust erfährt und vom Statussymbol mit Freiheitsversprechen zunehmend auf seine Mobilitätsfunktion zurückgeführt wird, so rückt auch für einen wachsenden Teil der Handy-Nutzer die Funktionalität ihres Geräts in den Mittelpunkt. Das Smartphone ist ja längst kein Telefon mehr, es ist ein datenverarbeitendes System, eine Art Hosen- oder Handtaschen-Werkstatt, die allen möglichen Zwecken in der Datenwelt dienen kann und deren konkrete Gestalt, vielleicht sogar deren sicht- und tastbare Dinglichkeit an sich womöglich nur eine Übergangsform ist, jedenfalls nicht das entscheidende Charakteristikum.
Die Dinglichkeit, das Objekthafte der Welt, das Repräsentative rückt mehr und mehr in den Hintergrund. Es gibt inzwischen zwar keine gedruckten Universal-Enzyklopädien mehr, dafür aber dickleibige Lexika der »verschwunden Dinge«, Aufzählungen und Beschreibungen von Produkten, Gegenständen, Geräten, die einmal sehr populär waren, die aber mittlerweile als Dinge nicht mehr existieren, etwa weil sie in die Datenwelt eingegangen sind. Wir alle könnten problemlos, sei es nostalgisch, sei es erleichtert, einige davon benennen, von der Schreibmaschine über die Telefonzelle bis zur CD. Solches Verschwinden mag manchmal traurig stimmen, wenn wir mit diesen Dingen schöne Erinnerungen verbinden. Insgesamt aber haben wir dadurch an Lebensqualität hinzugewonnen. Die zum MP3-File umgewandelte Schallplatte beispielsweise bleibt ja weiterhin die Musik, die wir mögen; sie hat zwar als Objekt ausgedient, ist dafür nun aber jederzeit verfügbar, hörbar.
Diese Verfügbarkeit wiederum führt jedoch zu neuen Problemen, die damit zusammenhängen, dass die Welt der Dinge Regelungen erforderlich gemacht hat, die einer Welt der Daten nicht mehr angemessen sind. Was ist ein Kapitalgut, was ist Gemeingut? Was darf ich von all den Informationen, Gedanken, Bildern und Tönen, die im Netz kursieren und sich minütlich mit und ohne mein Zutun vermehren, wie und wofür verwenden? Darf ich ein gefundenes Foto, ein woanders entdecktes Video, einen Zeitungsartikel oder das Gedicht einer jungen Lyrikerin auf Facebook – oder anderswohin – hochladen? Steht doch schon im Netz, ist auffindbar.
Wenn es nach der EU-Kommission und dem EU-Parlament geht, darf ich das nicht – oder jedenfalls nur sehr eingeschränkt. Und als Autor dieses Artikels müsste ich dem eigentlich vollinhaltlich zustimmen. Denn unter den gegebenen Umständen ist das, was in der Netzwerkökonomie passiert, auch nach meinem Rechtsempfinden nicht in Ordnung. Musiker, Journalisten, Autoren, Fotografen, Programmierer zum Beispiel – und die weibliche Form ist hier immer mitgemeint – müssen doch von ihren Leistungen ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Und wenn das, was sie kreiert haben, anschließend von vielen »aufgerufen« wird – angesehen und gehört, gelesen und genutzt –, müssen sie an solchem »Erfolg« ihrer Hervorbringungen doch auch angemessen beteiligt werden. So war jedenfalls bisher die selbstverständliche und wohl auch für jeden nachvollziehbare Verabredung.
Wie aber gewährleistet man das in Zeiten des Internets und der sozialen Medien, der Streaming-Dienste und Leseplattformen? Indem wir die Dienstanbieter, etwa die Betreiber sozialer Plattformen, für etwaige Urheberrechtsverstöße ihrer Nutzer »vollständig« haftbar machen? Und sie verpflichten, sogenannte Upload-Filter einzusetzen, die urheberrechtlich geschützte Inhalte aussperren? Du lieber Himmel! Das hieße ja, dass der Staat einen Teil seiner aus dem Gewaltmonopol resultierenden Aufgaben an private Unternehmen auslagert, die nun in diesen Fällen die Strafverfolgung und auch gleich die Rechtsprechung übernehmen sollen. Insbesondere für kleinere Anbieter, etwa den wunderbaren Perlentaucher, der mit seiner täglichen Feuilleton-Presseschau einen wichtigen Dienst leistet, wäre das fatal.
Man muss sicherlich nicht gleich die Freiheit des Netzes in Gefahr sehen und die Einführung riesiger Zensurinstanzen fürchten. Aber diese Maßnahmen weisen nach meiner Überzeugung in die falsche Richtung. Wir sollten die oben erwähnten »gegebenen Umstände« zu ändern versuchen, anstatt auf den alten Eigentumstiteln zu beharren. Eine einfache Lösung wird es da nicht geben. Ich sehe nur, dass wir mit den hergebrachten Konzepten – Eigentum, leistungsbezogenes Arbeitseinkommen – keine Antworten auf die durch die Netzwerkökonomie aufgeworfenen Fragen finden werden. Aus meiner Sicht wäre es angemessener, in einer Übergangsphase, anstatt Verbote zu erlassen, mindestens in den kommerziellen Weiten des Netzes Beteiligungsregeln durchzusetzen, wie sie etwa bei YouTube oder bei Zeitschriften-Portalen schon praktiziert werden; dort gibt es je nach Anzahl der Klicks oder nach Verweildauer gewissermaßen Tantieme für die Produzenten. Die sind zwar erbärmlich gering, darüber wird zu reden sein. Aber im Unterschied zu dinglichen Produkten (Buch, Zeitschrift, CD) ist die potenzielle Konsumentenzahl bei »Datengütern« nahezu unendlich viel größer.
Das Grundproblem wäre durch solche Beteiligungsregeln allerdings nicht wirklich gelöst. Die Netzökonomie lässt sich im Endeffekt nicht marktförmig gestalten, sondern bedarf eines neuen Verteilungsmodus‘ auf der Grundlage eines offenen Systems (Open Source). Die klassischen Kapitalgüter und Eigentumstitel haben ausgedient. Der Abwehrkampf gegen diese Außerdienststellung wird zwar noch eine Weile toben, er wird aber, darauf würde ich setzen, zugunsten der Gemeingüter ausgehen. Und in der Konsequenz werden wir alle davon profitieren. Denn nur in einem Open-Source-System lassen sich auch die grundlegenden Probleme der Menschheit – Klimawandel, Armut, Hunger, Krankheiten – einer Lösung näherbringen. Offenkundig wird das heute schon etwa bei Patenten auf Medikamente oder Saatgut, die zwar ihren Inhabern hohe Profite einbringen mögen, aber dem Gemeinwohl deutlich, zum Teil auf zynische Weise entgegenstehen – wie das Patent-Gezerre um die Corona-Impfstoffe kenntlich macht.
Die Firmen profitieren von vielen Gemeingütern – darunter Infrastruktur, Bildung, Rechts- und Vertragssicherheit –, beharren aber auf der exklusiven Nutzung ihrer unter diesen Bedingungen entstandenen Kapitalgüter. Das erscheint mir weder zeitgemäß noch gerecht. Und damit rede ich nicht automatisch der Enteignung geistigen Eigentums das Wort. Natürlich sollen Innovation und Forschung weiterhin bestmöglich gefördert werden. Wir müssen hier aber, wie beim Urheberrecht, zu neuen Allokationsregeln finden, wenn betriebswirtschaftliches Gewinnstreben dem gesellschaftlichen Interesse zuwiderläuft. Das ist eine Nutzen-Abwägung.
Eine solche Abwägung und Neubewertung wäre auch in der Agrarwirtschaft erforderlich (siehe etwa die Artikel »Bauernopfer: Kapitalismus tötet«, Ossietzky 5/2021, und »Nährende Geschäfte«, Ossietzky 8/2021). 97 Prozent aller Saatgutpatente befinden sich heute in den Händen einiger weniger Unternehmen aus den Industrieländern, die damit Milliardenumsätze machen, obwohl doch 90 Prozent aller biologischen Ressourcen tatsächlich aus dem Süden stammen. Wer dieses quasi koloniale System, das buchstäblich Hunger schürt, für richtig hält, kann nicht ernsthaft Ökonom genannt werden. Schon 2018 beispielsweise wurde weltweit mehr Getreide verbraucht als produziert. Zwar sind die Vorratslager aktuell noch gut gefüllt, aber wer auch nur die Grundrechenarten beherrscht, wird schnell erkennen, dass hier die nächste Katastrophe winkt.
Solche Verwerfungen, nein, Verirrungen, wird die Netzwerkökonomie, da bin ich sicher, über kurz oder lang auflösen. Weil wir einsehen werden, einsehen müssen, was schon Albert Einstein gewusst hat: »Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.« Deshalb sind die Urheberrechtsreform, das Patent- und Eigentumsrecht sowie viele andere im Industriezeitalter gewachsenen Regulierungen der dinglichen »Güterwirtschaft« nicht geeignet, um die Herausforderungen des Informationsuniversums zu meistern. Und die Werkzeuge hierzu liegen ja in Wahrheit schon bereit und beweisen – noch im Kleinen –, dass es auch ganz anders geht.
Und damit male ich nicht die Zukunft schön, sondern beschreibe lediglich, was allenthalben schon geschieht: In dem Moment, als die technischen Möglichkeiten bereitstanden – Verbilligung der Rechenleistung von Computern, Zugang zum Netzwerk, Modularisierung der Aufgaben –, Dinge oder Leistungen ohne den Markt und ohne Unternehmen anzubieten, haben die Menschen damit begonnen, genau das zu tun. Wikipedia ist da nur eines von vielen Beispielen. Das ist wunderbar und erschreckend zugleich: Wunderbar, weil es eine neue, nachhaltige Produktionsweise in Aussicht stellt, die vielen Menschen einen Nutzen bringt, ohne die Nachteile des klassischen Marktsystems – Ungleichverteilung von Macht und Wohlstand, Gesundheit und Wissen – in Kauf zu nehmen; erschreckend, weil die digitale Ökonomie in einer Übergangsphase viele Arbeitskräfte aus dem Produktionsprozess verdrängen, den Marktpreis von Gütern drücken, herkömmliche Profitmodelle zerstören und Konsumenten hervorbringen wird, die nach kostenlosen Gütern verlangen. Und das sogar mit Recht.
Die zuletzt genannten Wirkungen werden natürlich Verlierer hervorbringen, die sich mit aller Macht solchem Verlust entgegenstemmen werden. Und da gerade die heute Mächtigen zu diesen Verlierern gehören werden – etwa die großen, unbeweglichen, auf Kontrolle und Standardisierung setzenden Auto-, Pharma- und Nahrungsmittel-Konzerne sowie ihre politischen Unterstützer –, sind Turbulenzen unvermeidlich.
Viele Geschäftsmodelle sind nicht mehr zeitgemäß. Immer mehr menschliche Tätigkeit wird durch Maschinen und Assistenzsysteme ersetzt werden. In weniger als zehn Jahren werden Milliarden neuer »Machine-to-Machine«-Verbindungen im sogenannten Internet der Dinge eine heute noch kaum vorstellbare Zahl an Berufen und Geschäftsfeldern überflüssig gemacht haben. Das wird ebenso viele Verwerfungen wie Chancen mit sich bringen. Bislang werden leider zumeist nur die voraussichtlichen Probleme beschworen, die allerdings vor allem deshalb so bedrohlich erscheinen, weil wir an den alten Koordinaten – Arbeit und Lohn, Geld und Eigentum – festhalten, und uns das Neue nicht vorstellen mögen oder können.
Der entscheidende, uns alle unmittelbar betreffende Bereich, der sich im Zuge der Digitalisierung radikal verändern wird, ist der Arbeitsmarkt. Gleichzeitig ist gerade das Feld »Arbeit« von zahllosen Ambivalenzen geprägt, wie jeder und jede, der oder die arbeitet, spontan nachvollziehen kann. Arbeit ist sinnstiftend und/oder wird als Qual empfunden, Arbeit ist ein notwendiges Übel zur Sicherung des Lebensunterhalts, aber auch ein Weg zur sozialen Teilhabe, Arbeit macht mich zu der Person, die ich bin, hindert mich aber auch daran, die Person zu werden, die ich sein möchte. Kurz, was wir Arbeit nennen, ist ein, vielleicht »der« zentrale Aspekt unseres bisherigen Lebens.
Wer nun daherkommt und sagt »tempi passati«, wird natürlich mit heftigen Gegenreaktionen rechnen müssen. Weshalb ich es vorziehe, es so nicht zu sagen, aber gleichwohl empfehlen möchte, den Gedanken zuzulassen. Was passiert, wenn uns die Arbeit ausgeht? Wie wird das die Gesellschaft und mein individuelles Leben verändern? Zwar wird das Ende der Arbeitsgesellschaft ganz sicher nicht morgen oder übermorgen ausgerufen werden, und in einem irgendwie endgültigen Sinne ist das gar nicht absehbar. Aber für Millionen heute Berufstätige dürfte das Ende der Fahnenstange schon sichtbar sein. Was dann?
Ehrlich gesagt, überstiege eine Antwort darauf meine derzeitige Vorstellungskraft. Aber es lohnt sich nicht nur, sondern wird entscheidend sein, weiter darüber nachzudenken, da die Hoffnung auf immerwährendes Wachstum und Vollbeschäftigung illusorisch ist. Wir sollten solche notorisch geschürten Heilserwartungen endgültig ad acta legen und zur Kenntnis nehmen, was in unserer ganz konkreten Gegenwart passiert. Und das hat mit dem Geschehen, wie es Politiker, Volks- und Betriebswirte in geradezu realitätsresistenter Haltung beschreiben, schon heute nicht mehr viel gemein.
Die Welt ändert sich gerade rasant und mit ihr unsere Werkzeuge, unsere Taktgeber und unser Bewusstsein. Das kann einen guten Ausgang nehmen, aber wahrscheinlich ist das nicht. Es bleibt deshalb unabdingbar, weiterhin für Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit und eine lebenswerte Umwelt zu streiten.