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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Abschied vom Kapitalismus

In der digi­ta­len Welt mit ihren expo­nen­ti­ell zuneh­men­den Daten­strö­men, die immer mehr phy­si­sche Pro­duk­te gewis­ser­ma­ßen mit sich rei­ßen, beginnt auch der Unter­schied zwi­schen Daten und Din­gen zu ver­schwim­men – mit erheb­li­chen Aus­wir­kun­gen auf die für den Kapi­ta­lis­mus fun­da­men­ta­len Eigen­tums- und Aus­tausch­ver­hält­nis­se. Bis­lang waren Din­ge im Unter­schied zu den belie­big oft repro­du­zier­ba­ren und sich selbst ver­meh­ren­den Daten exklu­siv. Um sie her­zu­stel­len, ent­ste­hen Kosten durch den Ein­satz von Roh­stof­fen, Arbeit, Maschi­nen und Ener­gie, und um sie zu nut­zen, ist ihr Besitz die häu­fig­ste und ja auch ange­mes­se­ne Form, wenn es nicht per­ma­nent zu Streit oder Ver­hand­lun­gen kom­men soll; auf mei­nem Schreib­tisch­stuhl fin­de eben nur ich Platz. Aller­dings haben die Din­ge, mit denen ich mich umge­be und die ich besit­ze, einen ent­schei­den­den Nach­teil: Sie nut­zen sich im Gebrauch ab und müs­sen irgend­wann aus­ge­tauscht wer­den. Daten sind hin­ge­gen im Prin­zip unver­gäng­lich und wer­den mit ihrer Nut­zung nicht etwa schlech­ter, son­dern immer besser.

Durch die­se Daten­dy­na­mik und durch zuneh­men­de Ver­net­zung wer­den die Din­ge den Infor­ma­ti­ons­gü­tern nahe­zu zwangs­läu­fig immer ähn­li­cher. Ein Auto von Tes­la bei­spiels­wei­se ist zwar natür­lich nach wie vor ein hand­fe­ster Gegen­stand, es han­delt sich aber in Wahr­heit gar nicht mehr um ein Fahr­zeug, son­dern um einen Com­pu­ter auf Rädern. Auch ein Smart­phone ist – wer weiß, wie lan­ge noch? – immer noch ein »Ding«, gerä­te­ar­tig. Und zwei­fel­los spie­len etwa bei App­les iPho­ne opti­sche und hap­ti­sche Eigen­schaf­ten eine her­aus­ra­gen­de Rol­le. Eben­so zwei­fel­los sind die Smart­phone-Her­stel­ler jah­re­lang der auf Ska­len­ef­fek­ten beru­hen­den indu­stri­el­len Logik gefolgt: Sie haben die Pro­duk­ti­on bestän­dig aus­ge­wei­tet und durch kur­ze Pro­dukt­zy­klen – alle zwei Jah­re ein neu­es, bes­se­res Modell, ein neu­es Betriebs­sy­stem und neue Apps, für die die alten Model­le nicht mehr kom­pa­ti­bel sind – am Lau­fen gehalten.

Die­se Pha­se scheint sich jedoch dem Ende zuzu­nei­gen. Sowohl Ver­brau­cher als auch Gesetz­ge­ber wol­len dem Dik­tat des Ange­bots nicht län­ger wider­spruchs­los fol­gen. Der Markt ist zwar noch längst nicht »gesät­tigt«, wie es so schön heißt und wovon die Han­dy-Ver­kaufs­stän­de im Elek­tronik­han­del Zeug­nis able­gen. Aber ange­sichts einer gewal­tig wach­sen­den Men­ge an Elek­tro­müll sowie des enor­men Res­sour­cen­ver­brauchs (Stich­wort: Akku) durch die welt­wei­te Han­dy-Pro­duk­ti­on hat ein Umden­ken ein­ge­setzt, zumal die Ver­bes­se­rungs­sprün­ge von einer Gerä­te-Gene­ra­ti­on zur näch­sten immer klei­ner wer­den. Das erste iPho­ne war ohne Fra­ge eine Revo­lu­ti­on, alle Nach­fol­ge­mo­del­le sind ledig­lich Opti­mie­run­gen: schnel­le­re Pro­zes­so­ren, grö­ße­re Spei­cher, bes­se­re Kameras.

Inzwi­schen sind soge­nann­te Fair­pho­nes im Han­del, die in modu­la­rer Bau­wei­se sowohl aus recy­cel­ten Bau­tei­len als auch durch die Ver­wen­dung »kon­flikt­frei­er« Roh­stof­fe aus geprüf­ten Minen ent­ste­hen. Das ist ein schö­nes Bei­spiel ver­ant­wort­li­chen Han­delns, das die Welt sicher noch nicht zu einem bes­se­ren Ort macht, das aber Ver­än­de­rungs­ten­den­zen auf­zeigt, die neue »Stan­dards« set­zen – und die im Hin­ter­grund die Fra­ge auf­wer­fen: Geht es um Nut­zung oder um Besitz? Ist das Gerä­te­haf­te, Ding­li­che des Smart­phones sei­ne her­vor­ste­chen­de und es gewis­ser­ma­ßen defi­nie­ren­de Eigenschaft?

Ich behaup­te: nein, auch wenn ein Blick in unse­re Umwelt etwas ande­res nahe­zu­le­gen scheint. So wie das Auto einen lang­sa­men Bedeu­tungs­ver­lust erfährt und vom Sta­tus­sym­bol mit Frei­heits­ver­spre­chen zuneh­mend auf sei­ne Mobi­li­täts­funk­ti­on zurück­ge­führt wird, so rückt auch für einen wach­sen­den Teil der Han­dy-Nut­zer die Funk­tio­na­li­tät ihres Geräts in den Mit­tel­punkt. Das Smart­phone ist ja längst kein Tele­fon mehr, es ist ein daten­ver­ar­bei­ten­des System, eine Art Hosen- oder Hand­ta­schen-Werk­statt, die allen mög­li­chen Zwecken in der Daten­welt die­nen kann und deren kon­kre­te Gestalt, viel­leicht sogar deren sicht- und tast­ba­re Ding­lich­keit an sich womög­lich nur eine Über­gangs­form ist, jeden­falls nicht das ent­schei­den­de Charakteristikum.

Die Ding­lich­keit, das Objekt­haf­te der Welt, das Reprä­sen­ta­ti­ve rückt mehr und mehr in den Hin­ter­grund. Es gibt inzwi­schen zwar kei­ne gedruck­ten Uni­ver­sal-Enzy­klo­pä­dien mehr, dafür aber dick­lei­bi­ge Lexi­ka der »ver­schwun­den Din­ge«, Auf­zäh­lun­gen und Beschrei­bun­gen von Pro­duk­ten, Gegen­stän­den, Gerä­ten, die ein­mal sehr popu­lär waren, die aber mitt­ler­wei­le als Din­ge nicht mehr exi­stie­ren, etwa weil sie in die Daten­welt ein­ge­gan­gen sind. Wir alle könn­ten pro­blem­los, sei es nost­al­gisch, sei es erleich­tert, eini­ge davon benen­nen, von der Schreib­ma­schi­ne über die Tele­fon­zel­le bis zur CD. Sol­ches Ver­schwin­den mag manch­mal trau­rig stim­men, wenn wir mit die­sen Din­gen schö­ne Erin­ne­run­gen ver­bin­den. Ins­ge­samt aber haben wir dadurch an Lebens­qua­li­tät hin­zu­ge­won­nen. Die zum MP3-File umge­wan­del­te Schall­plat­te bei­spiels­wei­se bleibt ja wei­ter­hin die Musik, die wir mögen; sie hat zwar als Objekt aus­ge­dient, ist dafür nun aber jeder­zeit ver­füg­bar, hörbar.

Die­se Ver­füg­bar­keit wie­der­um führt jedoch zu neu­en Pro­ble­men, die damit zusam­men­hän­gen, dass die Welt der Din­ge Rege­lun­gen erfor­der­lich gemacht hat, die einer Welt der Daten nicht mehr ange­mes­sen sind. Was ist ein Kapi­tal­gut, was ist Gemein­gut? Was darf ich von all den Infor­ma­tio­nen, Gedan­ken, Bil­dern und Tönen, die im Netz kur­sie­ren und sich minüt­lich mit und ohne mein Zutun ver­meh­ren, wie und wofür ver­wen­den? Darf ich ein gefun­de­nes Foto, ein woan­ders ent­deck­tes Video, einen Zei­tungs­ar­ti­kel oder das Gedicht einer jun­gen Lyri­ke­rin auf Face­book – oder anders­wo­hin – hoch­la­den? Steht doch schon im Netz, ist auffindbar.

Wenn es nach der EU-Kom­mis­si­on und dem EU-Par­la­ment geht, darf ich das nicht – oder jeden­falls nur sehr ein­ge­schränkt. Und als Autor die­ses Arti­kels müss­te ich dem eigent­lich voll­in­halt­lich zustim­men. Denn unter den gege­be­nen Umstän­den ist das, was in der Netz­wer­k­öko­no­mie pas­siert, auch nach mei­nem Rechts­emp­fin­den nicht in Ord­nung. Musi­ker, Jour­na­li­sten, Autoren, Foto­gra­fen, Pro­gram­mie­rer zum Bei­spiel – und die weib­li­che Form ist hier immer mit­ge­meint – müs­sen doch von ihren Lei­stun­gen ihren Lebens­un­ter­halt bestrei­ten kön­nen. Und wenn das, was sie kre­iert haben, anschlie­ßend von vie­len »auf­ge­ru­fen« wird – ange­se­hen und gehört, gele­sen und genutzt –, müs­sen sie an sol­chem »Erfolg« ihrer Her­vor­brin­gun­gen doch auch ange­mes­sen betei­ligt wer­den. So war jeden­falls bis­her die selbst­ver­ständ­li­che und wohl auch für jeden nach­voll­zieh­ba­re Verabredung.

Wie aber gewähr­lei­stet man das in Zei­ten des Inter­nets und der sozia­len Medi­en, der Strea­ming-Dien­ste und Lese­platt­for­men? Indem wir die Dienst­an­bie­ter, etwa die Betrei­ber sozia­ler Platt­for­men, für etwa­ige Urhe­ber­rechts­ver­stö­ße ihrer Nut­zer »voll­stän­dig« haft­bar machen? Und sie ver­pflich­ten, soge­nann­te Upload-Fil­ter ein­zu­set­zen, die urhe­ber­recht­lich geschütz­te Inhal­te aus­sper­ren? Du lie­ber Him­mel! Das hie­ße ja, dass der Staat einen Teil sei­ner aus dem Gewalt­mo­no­pol resul­tie­ren­den Auf­ga­ben an pri­va­te Unter­neh­men aus­la­gert, die nun in die­sen Fäl­len die Straf­ver­fol­gung und auch gleich die Recht­spre­chung über­neh­men sol­len. Ins­be­son­de­re für klei­ne­re Anbie­ter, etwa den wun­der­ba­ren Per­len­tau­cher, der mit sei­ner täg­li­chen Feuil­le­ton-Pres­se­schau einen wich­ti­gen Dienst lei­stet, wäre das fatal.

Man muss sicher­lich nicht gleich die Frei­heit des Net­zes in Gefahr sehen und die Ein­füh­rung rie­si­ger Zen­sur­in­stan­zen fürch­ten. Aber die­se Maß­nah­men wei­sen nach mei­ner Über­zeu­gung in die fal­sche Rich­tung. Wir soll­ten die oben erwähn­ten »gege­be­nen Umstän­de« zu ändern ver­su­chen, anstatt auf den alten Eigen­tums­ti­teln zu behar­ren. Eine ein­fa­che Lösung wird es da nicht geben. Ich sehe nur, dass wir mit den her­ge­brach­ten Kon­zep­ten – Eigen­tum, lei­stungs­be­zo­ge­nes Arbeits­ein­kom­men – kei­ne Ant­wor­ten auf die durch die Netz­wer­k­öko­no­mie auf­ge­wor­fe­nen Fra­gen fin­den wer­den. Aus mei­ner Sicht wäre es ange­mes­se­ner, in einer Über­gangs­pha­se, anstatt Ver­bo­te zu erlas­sen, min­de­stens in den kom­mer­zi­el­len Wei­ten des Net­zes Betei­li­gungs­re­geln durch­zu­set­zen, wie sie etwa bei You­Tube oder bei Zeit­schrif­ten-Por­ta­len schon prak­ti­ziert wer­den; dort gibt es je nach Anzahl der Klicks oder nach Ver­weil­dau­er gewis­ser­ma­ßen Tan­tie­me für die Pro­du­zen­ten. Die sind zwar erbärm­lich gering, dar­über wird zu reden sein. Aber im Unter­schied zu ding­li­chen Pro­duk­ten (Buch, Zeit­schrift, CD) ist die poten­zi­el­le Kon­su­men­ten­zahl bei »Daten­gü­tern« nahe­zu unend­lich viel größer.

Das Grund­pro­blem wäre durch sol­che Betei­li­gungs­re­geln aller­dings nicht wirk­lich gelöst. Die Netz­öko­no­mie lässt sich im End­ef­fekt nicht markt­för­mig gestal­ten, son­dern bedarf eines neu­en Ver­tei­lungs­mo­dus‘ auf der Grund­la­ge eines offe­nen Systems (Open Source). Die klas­si­schen Kapi­tal­gü­ter und Eigen­tums­ti­tel haben aus­ge­dient. Der Abwehr­kampf gegen die­se Außer­dienst­stel­lung wird zwar noch eine Wei­le toben, er wird aber, dar­auf wür­de ich set­zen, zugun­sten der Gemein­gü­ter aus­ge­hen. Und in der Kon­se­quenz wer­den wir alle davon pro­fi­tie­ren. Denn nur in einem Open-Source-System las­sen sich auch die grund­le­gen­den Pro­ble­me der Mensch­heit – Kli­ma­wan­del, Armut, Hun­ger, Krank­hei­ten – einer Lösung näher­brin­gen. Offen­kun­dig wird das heu­te schon etwa bei Paten­ten auf Medi­ka­men­te oder Saat­gut, die zwar ihren Inha­bern hohe Pro­fi­te ein­brin­gen mögen, aber dem Gemein­wohl deut­lich, zum Teil auf zyni­sche Wei­se ent­ge­gen­ste­hen – wie das Patent-Gezer­re um die Coro­na-Impf­stof­fe kennt­lich macht.

Die Fir­men pro­fi­tie­ren von vie­len Gemein­gü­tern – dar­un­ter Infra­struk­tur, Bil­dung, Rechts- und Ver­trags­si­cher­heit –, behar­ren aber auf der exklu­si­ven Nut­zung ihrer unter die­sen Bedin­gun­gen ent­stan­de­nen Kapi­tal­gü­ter. Das erscheint mir weder zeit­ge­mäß noch gerecht. Und damit rede ich nicht auto­ma­tisch der Ent­eig­nung gei­sti­gen Eigen­tums das Wort. Natür­lich sol­len Inno­va­ti­on und For­schung wei­ter­hin best­mög­lich geför­dert wer­den. Wir müs­sen hier aber, wie beim Urhe­ber­recht, zu neu­en Allo­ka­ti­ons­re­geln fin­den, wenn betriebs­wirt­schaft­li­ches Gewinn­stre­ben dem gesell­schaft­li­chen Inter­es­se zuwi­der­läuft. Das ist eine Nutzen-Abwägung.

Eine sol­che Abwä­gung und Neu­be­wer­tung wäre auch in der Agrar­wirt­schaft erfor­der­lich (sie­he etwa die Arti­kel »Bau­ern­op­fer: Kapi­ta­lis­mus tötet«, Ossietzky 5/​2021, und »Näh­ren­de Geschäf­te«, Ossietzky 8/​2021). 97 Pro­zent aller Saat­gut­pa­ten­te befin­den sich heu­te in den Hän­den eini­ger weni­ger Unter­neh­men aus den Indu­strie­län­dern, die damit Mil­li­ar­den­um­sät­ze machen, obwohl doch 90 Pro­zent aller bio­lo­gi­schen Res­sour­cen tat­säch­lich aus dem Süden stam­men. Wer die­ses qua­si kolo­nia­le System, das buch­stäb­lich Hun­ger schürt, für rich­tig hält, kann nicht ernst­haft Öko­nom genannt wer­den. Schon 2018 bei­spiels­wei­se wur­de welt­weit mehr Getrei­de ver­braucht als pro­du­ziert. Zwar sind die Vor­rats­la­ger aktu­ell noch gut gefüllt, aber wer auch nur die Grund­re­chen­ar­ten beherrscht, wird schnell erken­nen, dass hier die näch­ste Kata­stro­phe winkt.

Sol­che Ver­wer­fun­gen, nein, Ver­ir­run­gen, wird die Netz­wer­k­öko­no­mie, da bin ich sicher, über kurz oder lang auf­lö­sen. Weil wir ein­se­hen wer­den, ein­se­hen müs­sen, was schon Albert Ein­stein gewusst hat: »Pro­ble­me kann man nie­mals mit der­sel­ben Denk­wei­se lösen, durch die sie ent­stan­den sind.« Des­halb sind die Urhe­ber­rechts­re­form, das Patent- und Eigen­tums­recht sowie vie­le ande­re im Indu­strie­zeit­al­ter gewach­se­nen Regu­lie­run­gen der ding­li­chen »Güter­wirt­schaft« nicht geeig­net, um die Her­aus­for­de­run­gen des Infor­ma­ti­ons­uni­ver­sums zu mei­stern. Und die Werk­zeu­ge hier­zu lie­gen ja in Wahr­heit schon bereit und bewei­sen – noch im Klei­nen –, dass es auch ganz anders geht.

Und damit male ich nicht die Zukunft schön, son­dern beschrei­be ledig­lich, was allent­hal­ben schon geschieht: In dem Moment, als die tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten bereit­stan­den – Ver­bil­li­gung der Rechen­lei­stung von Com­pu­tern, Zugang zum Netz­werk, Modu­la­ri­sie­rung der Auf­ga­ben –, Din­ge oder Lei­stun­gen ohne den Markt und ohne Unter­neh­men anzu­bie­ten, haben die Men­schen damit begon­nen, genau das zu tun. Wiki­pe­dia ist da nur eines von vie­len Bei­spie­len. Das ist wun­der­bar und erschreckend zugleich: Wun­der­bar, weil es eine neue, nach­hal­ti­ge Pro­duk­ti­ons­wei­se in Aus­sicht stellt, die vie­len Men­schen einen Nut­zen bringt, ohne die Nach­tei­le des klas­si­schen Markt­sy­stems – Ungleich­ver­tei­lung von Macht und Wohl­stand, Gesund­heit und Wis­sen – in Kauf zu neh­men; erschreckend, weil die digi­ta­le Öko­no­mie in einer Über­gangs­pha­se vie­le Arbeits­kräf­te aus dem Pro­duk­ti­ons­pro­zess ver­drän­gen, den Markt­preis von Gütern drücken, her­kömm­li­che Pro­fit­mo­del­le zer­stö­ren und Kon­su­men­ten her­vor­brin­gen wird, die nach kosten­lo­sen Gütern ver­lan­gen. Und das sogar mit Recht.

Die zuletzt genann­ten Wir­kun­gen wer­den natür­lich Ver­lie­rer her­vor­brin­gen, die sich mit aller Macht sol­chem Ver­lust ent­ge­gen­stem­men wer­den. Und da gera­de die heu­te Mäch­ti­gen zu die­sen Ver­lie­rern gehö­ren wer­den – etwa die gro­ßen, unbe­weg­li­chen, auf Kon­trol­le und Stan­dar­di­sie­rung set­zen­den Auto-, Phar­ma- und Nah­rungs­mit­tel-Kon­zer­ne sowie ihre poli­ti­schen Unter­stüt­zer –, sind Tur­bu­len­zen unvermeidlich.

Vie­le Geschäfts­mo­del­le sind nicht mehr zeit­ge­mäß. Immer mehr mensch­li­che Tätig­keit wird durch Maschi­nen und Assi­stenz­sy­ste­me ersetzt wer­den. In weni­ger als zehn Jah­ren wer­den Mil­li­ar­den neu­er »Machine-to-Machine«-Verbindungen im soge­nann­ten Inter­net der Din­ge eine heu­te noch kaum vor­stell­ba­re Zahl an Beru­fen und Geschäfts­fel­dern über­flüs­sig gemacht haben. Das wird eben­so vie­le Ver­wer­fun­gen wie Chan­cen mit sich brin­gen. Bis­lang wer­den lei­der zumeist nur die vor­aus­sicht­li­chen Pro­ble­me beschwo­ren, die aller­dings vor allem des­halb so bedroh­lich erschei­nen, weil wir an den alten Koor­di­na­ten – Arbeit und Lohn, Geld und Eigen­tum – fest­hal­ten, und uns das Neue nicht vor­stel­len mögen oder können.

Der ent­schei­den­de, uns alle unmit­tel­bar betref­fen­de Bereich, der sich im Zuge der Digi­ta­li­sie­rung radi­kal ver­än­dern wird, ist der Arbeits­markt. Gleich­zei­tig ist gera­de das Feld »Arbeit« von zahl­lo­sen Ambi­va­len­zen geprägt, wie jeder und jede, der oder die arbei­tet, spon­tan nach­voll­zie­hen kann. Arbeit ist sinn­stif­tend und/​oder wird als Qual emp­fun­den, Arbeit ist ein not­wen­di­ges Übel zur Siche­rung des Lebens­un­ter­halts, aber auch ein Weg zur sozia­len Teil­ha­be, Arbeit macht mich zu der Per­son, die ich bin, hin­dert mich aber auch dar­an, die Per­son zu wer­den, die ich sein möch­te. Kurz, was wir Arbeit nen­nen, ist ein, viel­leicht »der« zen­tra­le Aspekt unse­res bis­he­ri­gen Lebens.

Wer nun daher­kommt und sagt »tem­pi pas­sa­ti«, wird natür­lich mit hef­ti­gen Gegen­re­ak­tio­nen rech­nen müs­sen. Wes­halb ich es vor­zie­he, es so nicht zu sagen, aber gleich­wohl emp­feh­len möch­te, den Gedan­ken zuzu­las­sen. Was pas­siert, wenn uns die Arbeit aus­geht? Wie wird das die Gesell­schaft und mein indi­vi­du­el­les Leben ver­än­dern? Zwar wird das Ende der Arbeits­ge­sell­schaft ganz sicher nicht mor­gen oder über­mor­gen aus­ge­ru­fen wer­den, und in einem irgend­wie end­gül­ti­gen Sin­ne ist das gar nicht abseh­bar. Aber für Mil­lio­nen heu­te Berufs­tä­ti­ge dürf­te das Ende der Fah­nen­stan­ge schon sicht­bar sein. Was dann?

Ehr­lich gesagt, über­stie­ge eine Ant­wort dar­auf mei­ne der­zei­ti­ge Vor­stel­lungs­kraft. Aber es lohnt sich nicht nur, son­dern wird ent­schei­dend sein, wei­ter dar­über nach­zu­den­ken, da die Hoff­nung auf immer­wäh­ren­des Wachs­tum und Voll­be­schäf­ti­gung illu­so­risch ist. Wir soll­ten sol­che noto­risch geschür­ten Heils­er­war­tun­gen end­gül­tig ad acta legen und zur Kennt­nis neh­men, was in unse­rer ganz kon­kre­ten Gegen­wart pas­siert. Und das hat mit dem Gesche­hen, wie es Poli­ti­ker, Volks- und Betriebs­wir­te in gera­de­zu rea­li­täts­re­si­sten­ter Hal­tung beschrei­ben, schon heu­te nicht mehr viel gemein.

Die Welt ändert sich gera­de rasant und mit ihr unse­re Werk­zeu­ge, unse­re Takt­ge­ber und unser Bewusst­sein. Das kann einen guten Aus­gang neh­men, aber wahr­schein­lich ist das nicht. Es bleibt des­halb unab­ding­bar, wei­ter­hin für Frie­den, Frei­heit, Gerech­tig­keit und eine lebens­wer­te Umwelt zu streiten.