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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Abrüstung garantiert das Ende von Kriegen

Am 28. Novem­ber jährt sich der 200. Geburts­tag von Fried­rich Engels. Er und sein Freund Karl Marx wie­sen 1848 mit dem »Mani­fest der Kom­mu­ni­sti­schen Par­tei« einen Weg zur Über­win­dung der unso­zia­len Schat­ten­sei­ten des Kapi­ta­lis­mus: Unter­drückung und Aus­beu­tung nach innen, Aggres­si­vi­tät und Krieg nach außen. Um Krieg in Euro­pa zu ver­hin­dern, hob Engels nach­drück­lich Deutsch­lands Ver­ant­wor­tung für den Frie­den in Euro­pa her­vor und schrieb 1893 auf Bit­te August Bebels die Arti­kel­se­rie »Kann Euro­pa abrü­sten?«. Dar­in erklär­te er der sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Reichs­tags­frak­ti­on, wie sie die Regie­rungs­vor­la­ge von 1893 über wei­te­re Gel­der für Rüstung und Mili­tär zu Fall brin­gen kön­ne. Sei­ne dama­li­gen Aus­sa­gen zu deut­scher Ver­ant­wor­tung für die Ver­hin­de­rung eines Krie­ges in Euro­pa ver­die­nen neue Auf­merk­sam­keit. Im Unter­schied zu den Regie­ren­den nann­te Engels, wer die wich­tig­sten Akteu­re für Abrü­stung, Frie­den und Sicher­heit sind:

»Seit 25 Jah­ren rüstet ganz Euro­pa in bis­her unbe­kann­tem Maß.« Es »rufen in allen Län­dern die Volks­klas­sen, die fast aus­schließ­lich die Mas­se der Sol­da­ten zu stel­len und die Mas­se der Steu­ern zu zah­len haben, nach Abrü­stung. … Gibt es denn kei­nen Aus­weg aus die­ser Sack­gas­se außer durch einen Ver­wü­stungs­krieg, wie die Welt noch kei­nen gese­hen hat? Ich behaup­te: Die Abrü­stung und damit die Garan­tie des Frie­dens ist mög­lich, sie ist sogar ver­hält­nis­mä­ßig leicht durch­führ­bar, und Deutsch­land, mehr als ein ande­rer zivi­li­sier­ter Staat, hat zu ihrer Durch­füh­rung die Macht wie den Beruf.«

Wie hat die regie­ren­de BRD-Eli­te nach dem Ende des Kal­ten Krie­ges in Euro­pa die­se Ver­ant­wor­tung wahr­ge­nom­men? Als die Völ­ker end­lich auf einen dau­er­haf­ten Frie­den hoff­ten, erließ die deut­sche Bun­des­re­gie­rung 1992, zwei Jah­re nach Ein­glie­de­rung der DDR in die BRD, neue »Ver­tei­di­gungs­po­li­ti­sche Richt­li­ni­en für die Bun­des­wehr« (VPR). Danach kön­nen deut­sche Inter­es­sen – wes­sen Inter­es­sen sind das? – auch mit mili­tä­ri­scher Gewalt durch­ge­setzt wer­den. Und das genau 99 Jah­re nach dem Auf­ruf von Fried­rich Engels zur Abrü­stung und 57 Jah­re nach Annah­me der UN-Char­ta zur Ver­hin­de­rung von Krie­gen. Im letz­ten Jahr­zehnt des 20. Jahr­hun­derts erklär­te sich der USA-Impe­ria­lis­mus nach Weg­fall sei­nes Erz­fein­des Sowjet­uni­on zur »ein­zi­gen Welt­macht« (Brze­zin­ski 1997) und rief die Welt 2001 zum »Krieg gegen den Ter­ror« auf. Deut­sche VPR und ame­ri­ka­ni­scher »Krieg gegen den Ter­ror« führ­ten seit­dem zu einer andau­ern­den Rüstungs­es­ka­la­ti­on ein­schließ­lich neu­er Atom­waf­fen. Dul­dung, Teil­ha­be und Teil­nah­me an Aggres­sio­nen in Nah­ost, Afri­ka, Latein­ame­ri­ka mach­ten die BRD zum »wil­li­gen« Hel­fers­hel­fer der USA gegen jeden Staat, der den USA Paro­li bie­tet – Flücht­lings­strö­me sind das Ergeb­nis. Macht­be­ses­sen ver­langt die deut­sche Mili­tär­mi­ni­ste­rin Anne­gret Kramp-Kar­ren­bau­er (CDU) wie einst die kai­ser­li­che Regie­rung 1893 mehr Mil­li­ar­den für neue Kampf­bom­ber, und das ange­sichts gestie­ge­ner Kosten durch die Corona-Pandemie.

Wel­che Män­ner, Frau­en und Kin­der wel­chen Lan­des in Euro­pa und der Welt brau­chen die­se und ähn­li­che Mord­werk­zeu­ge? Fried­rich Engels for­der­te, die Völ­ker zu Krieg und Frie­den zu befra­gen. Zum 200. Geburts­tag von Fried­rich Engels soll­ten alle Frie­dens­or­ga­ni­sa­tio­nen eine deutsch­land­wei­te Volks­be­fra­gung durch­füh­ren: Willst du, dass die deut­sche Regie­rung die Bun­des­wehr wei­ter­hin mit Steu­er­gel­dern für ame­ri­ka­ni­sche soge­nann­te Anti­ter­ror­krie­ge auf­rü­stet? Ant­wor­tet die Mehr­heit: »Nein, das will ich nicht«, erge­ben sich wei­te­re Fra­gen: Auf­lö­sung der NATO, Kon­ver­si­on der Rüstungs­in­du­strie, Umwand­lung der Rüstungs­ar­beits­plät­ze in für die Bevöl­ke­rung wich­ti­ge­re zum Schutz von Umwelt, Kli­ma und so weiter.

Engels Behaup­tung, Abrü­stung sei die Garan­tie des Frie­dens, ist tie­fer aus­zu­lo­ten. Die Rüstungs­in­du­strie der BRD bin­det cir­ca 320.000 qua­li­fi­zier­te Arbeits­kräf­te. Sie wer­den in ande­ren Berufs­zwei­gen drin­gend benö­tigt. Die indu­stri­ell-tech­ni­schen Ein­rich­tun­gen kön­nen ent­spre­chend den Kon­ver­si­ons­zie­len wei­ter­ent­wickelt wer­den, und mit deren Pro­duk­ten kann ein blü­hen­der Han­del in indu­stri­ell wenig ent­wickel­ten Län­dern erfol­gen. Dar­über nach­zu­den­ken braucht es nur guten Wil­len zum ehr­li­chen Han­del mit armen Staaten.

Bun­des­kanz­le­rin Mer­kel sag­te Ende Mai, wenn Deutsch­land und Frank­reich bei der Lösung der Coro­na-Pro­ble­me vor­an­gin­gen, die ande­ren EU-Staa­ten wür­den fol­gen. Das ist fast der Wort­laut bei Engels (…wenn Deutsch­land vor­an­gin­ge …), Frau Mer­kel for­mu­liert de fac­to über Fried­rich Engels hin­aus. Bei­de Län­der haben Jahr­zehn­te Krie­ge gegen­ein­an­der geführt, bei­de sind »zivi­li­sier­te«, also hoch ent­wickel­te Indu­strie­staa­ten, sie haben bei­de alle Vor­aus­set­zun­gen, sich in Euro­pa poli­tisch an die Spit­ze zu setzen.

Wenn Deutsch­land und Frank­reich erklä­ren wür­den, sie wer­den in den näch­sten zwölf Mona­ten zur Siche­rung des Frie­dens in Euro­pa und als Bei­spiel für die Welt ihr Mili­tär auf Grenz­schutz redu­zie­ren, Rüstungs­for­schung und Rüstungs­pro­duk­ti­on been­den und kei­nen Waf­fen­han­del mehr betrei­ben – ja, ande­re Staa­ten wür­den folgen.

Sicher­heits­be­den­ken­trä­ger mögen sich zwei Fra­gen beant­wor­ten: Wel­cher Staat bedroht die Bun­des­re­pu­blik? Wel­ches Land könn­te Deutsch­land und/​oder Frank­reich mili­tä­risch über­fal­len? Die inter­na­tio­na­le Koope­ra­ti­on der Völ­ker gegen Kli­ma­ver­bre­chen und in der Coro­na-Pan­de­mie wür­de eine welt­weit kon­kret han­deln­de Frie­dens­be­we­gung her­vor­brin­gen. Was seit den VPR von 1992 an neu­er deut­scher Ver­ant­wor­tung in Euro­pa und der Welt gere­det wird, bekä­me einen frie­dens­po­li­ti­schen Inhalt der Tat und blie­be nicht bei Frie­dens­flos­keln ste­hen. Das schon immer brü­chi­ge ideo­lo­gi­sche Kar­ten­haus, mehr Rüstung brin­ge mehr Sicher­heit, wür­de sicht­bar für jeder­mann in sich zusam­men­bre­chen. Das »Sicht­bar-für-jeder­mann« wird zum Kri­te­ri­um des Frie­dens, weil Men­schen und Mate­ri­al zur Meh­rung und Aus­ge­stal­tung von Leben aller ein­ge­setzt wer­den könn­ten: mehr Leh­rer, mehr Schu­len, mehr Ärz­te, Kran­ken­schwe­stern, Heb­am­men, Kul­tur­häu­ser, medi­zi­ni­sche For­schung. Das wäre eine Aneig­nung der Natur und ihrer Schät­ze, die das Leben der Mensch­heit berei­chert. Slums und Elends­vier­tel in der Welt wür­den mit Hil­fe der rei­chen Groß­mäch­te zwar lang­sam, aber ste­tig verschwinden.

Eine sol­che Welt zu schaf­fen, dazu heißt es bei Engels, hat »Deutsch­land die Macht und den Beruf«. Um wel­che Art von Macht geht es? Engels meint die Macht des Gei­stes, der Erfin­dun­gen, die Macht einer gro­ßen huma­ni­sti­schen Tra­di­ti­on in Wis­sen­schaft und Kul­tur. Deutsch­land hat »den Beruf«, die Fähig­kei­ten, gesell­schaft­li­chen Fort­schritt zu erken­nen und anzu­packen – nicht zu Pro­fit und Gewin­nen gro­ßer Mono­po­le, son­dern zum Nut­zen der Bevöl­ke­rung. Zu Macht und Beruf Deutsch­lands gehört auch, bei der Gestal­tung von Gegen­wart und Zukunft die Visio­nen der Alt­vor­de­ren als Ziel­vor­ga­be auf­zu­neh­men, von ihnen schon ein­mal Erreich­tes neu auf­zu­grei­fen sowie ihre Fehl­ein­schät­zun­gen und Irr­we­ge als Leh­ren ein­zu­be­zie­hen, vor­ur­teils­los. Wer mit Engels die Abschaf­fung von Rüstung und Mili­tär als ein­zig wirk­sa­me Garan­tie für dau­er­haf­ten Frie­den aner­kennt, der weiß auch, dass die heu­te herr­schen­den poli­ti­schen Eli­ten zu wenig von Fried­rich Engels gele­sen haben. Nur die auf­wa­chen­den Völ­ker kön­nen ver­hin­dern, dass von ihren Steu­ern über­flüs­si­ge Waf­fen­fa­bri­kan­ten und Mili­tärs ernährt wer­den, wäh­rend die Zahl der Armen welt­weit wächst.

Fried­rich Engels und Karl Marx stan­den an einer mehr als hun­dert Jah­re dau­ern­den Schwel­le einer gro­ßen gesell­schaft­li­chen Umwäl­zung. Mit ihrer Ana­ly­se des öko­no­mi­schen Gesell­schafts­sy­stems Kapi­ta­lis­mus und ihrem Pro­gramm zur Bewah­rung des dyna­mi­schen und schöp­fe­ri­schen Cha­rak­ters die­ses Systems, mit »Kapi­tal« und »Mani­fest der Kom­mu­ni­sti­schen Par­tei«, haben bei­de zwei Wer­ke vor­ge­legt, die 2013 von der UNESCO dem »Memo­ry of the world« (dem Gedächt­nis der Welt) zur Erhal­tung des doku­men­ta­ri­schen Erbes der Mensch­heit zuge­ord­net wor­den sind. Die schöp­fe­ri­schen Poten­zen des Kapi­ta­lis­mus wer­den die Völ­ker nur dann errei­chen, wenn die Welt im Frie­den mit­ein­an­der lebt. Dazu hat Deutsch­land die Pflicht. Ler­nen wir end­lich, das Den­ken von Marx und Engels in Han­deln der Völ­ker für die Völ­ker umzusetzen.