Angesichts des neuen Krieges in und um Israel, wurde mir erneut überdeutlich klar, dass der nationalistische Zionismus, als Ideologie und Praxis, nach über 70 Jahren Krieg, endgültig als gescheitert erklärt werden muss. Die »Indianerkriege« gegen die Palästinenser können so niemals ein Ende nehmen und schlagen immer wieder auch auf die jüdischen Israelis und alle ihre Lebensbereiche zurück. Auch deshalb, weil die Palästinenser, anders als die Indianer in Amerika, sich nicht einfach in miserable Reservate gettoisieren lassen, sondern auch Teil des israelischen Staates sind, wenn auch Bürger 2. Klasse wie die »people of color« in den USA oder die jüdische Minderheit Jahrhunderte lang in der Diaspora. Wem das Schicksal der Juden am Herzen liegt, muss das den Regierenden in Israel viel deutlicher als bisher sagen, gerade auch in Deutschland, das so viel Leid über die jüdische Minderheit gebracht hat. Es ist eine kontraproduktive Form von Solidarität, die dortigen Regierenden immer noch politisch und militärisch darin zu bestärken, ihren Irrweg fortzusetzen. Dieser Konflikt lässt sich nicht durch Krieg befrieden, sondern nur durch einen, auch international implementierten, politischen, kulturellen und vor allem sozialen Ausgleichprozess, auf Augenhöhe.
Das Tragische an der israelischen Regierungspolitik beruht auch auf dem psychologischen Phänomen, dass Menschen, die seit jeher furchtbar unterdrückt werden, selbst gewalttätig werden, um zu überleben. Dasselbe trifft, in gewissem Sinne auch auf die Palästinenser zu. Die UNO, die durch einen völkerrechtlich problematischen Beschluss 1948, der sich über die arabische Seite weitgehend hinwegsetzte, diesen Dauerkonflikt mitzuverantworten hat, ist nun endlich gefordert, an einem neuen ausgleichenden Friedensplan in und um Israel praxisnah, mitzuwirken. Wer das Existenz- und Selbstverteidigungsrecht Israels befürwortet, aber nicht auch das der viel schwächeren Palästinenser, und deren Sympathisanten schlicht des Antisemitismus bezichtigt, bezieht einseitig Partei zugunsten einer gescheiterten Kolonialpolitik und verkennt zugleich, dass beide Strategien seit jeher zum Scheitern verurteilt sind und nur weiter unsagbares Leid und keine friedliche Koexistenz und Zusammenarbeit für beide gebeutelten Völker herbeiführen können. Das weiß die Weltöffentlichkeit schon lange. Man stelle sich vor, die gewaltigen Ressourcen auf allen Seiten wären nicht ins Militär, in Mord, Zerstörung, Vertreibung und Hass, sondern in kooperative Entwicklung gesteckt worden. Was könnte der ganze Nahe Osten für eine blühende Landschaft sein?
Es gilt auch endlich, die westliche Doppelmoral zu hinterfragen, dass einige bewaffnete Bewegungen, wie die Hamas und die Hisbollah, als »Terrororganisationen« eingestuft werden, andere hingegen als angeblich legitime Befreiungsbewegungen, wie etwa die gegen Assad gerichteten Gruppierungen, die mithalfen, Syrien völlig zu verwüsten. Die Überwindung ethnischer, religiöser und sozialer Spaltungen lassen sich nicht durch Ausgrenzung und Kriege bekämpfen, wie schon das wiederholte Desaster des Westens in Afghanistan beweist, sondern vor allem durch universelle Inklusion, ausgleichende soziale und politische Arbeits- und Lebensbedingungen und gerechte Lebenschancen für alle Bürger, welcher sozialen und ethnischen Herkunft sie auch seien.
Das gilt selbstredend auch für den Westen, wie sich an der umkämpften Innenpolitik in den USA und in Europa zeigen lässt. Nationalismus, wo immer er auftritt, läuft auf eine patriarchalische »Herrenmenschen-Ideologie« hinaus, die bisher im Faschismus ihren Kulminationspunkt erreichte, von der aber die westlich orientierte Ideologie und Praxis auch nicht frei sind. Einen weltweiten Führungsanspruch zu erheben, der in der UN-Charta nirgends vorgesehen ist, widerspricht dem Wesen des Völkerrechts, das gerade zur Gründung der Vereinten Nationen führte.
Wolfgang Herzberg ist Mitglied der Jüdischen Gemeinde zu Berlin