Lars Feld, liberaler Ökonom: Die Größe des Kuchens – Verehrte Herr Professor, Ihre Stimme hat Gewicht. Als langjähriges Mitglied (und Vorsitzender bis Februar 2021) des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung finden Sie in Politik und Öffentlichkeit Gehör. Sie sollten Ihre Worte also stets gut wiegen. Während Ihrer Rede am Brandenburger Tor (15. »Berliner Rede zur Freiheit« am 19. April 2021) haben Sie, durchaus bildhaft, von der »Größe des Kuchens« fabuliert. Statt über »Verteilungsfrage« zu reden, sollte sich die Politik »auf die Vergrößerung des Kuchens konzentrieren«. Steuererhöhungen, gar eine »Vermögensabgabe« von Wohlhabenden zur Finanzierung der Kosten der Corona-Krise oder eine »Wiederbelebung der Vermögenssteuer« sollten tunlichst »unterbleiben«. Stattdessen die alte Leier: Wachstum – also genau das Programm, das für viele Gegenwartsprobleme verantwortlich ist. Wir mögen das nicht mehr hören. Dass die Reichen in der Krise noch reicher geworden sind (die 45 reichsten Haushalte in Deutschland besitzen mehr als die »ärmere« Hälfte der Bevölkerung), dass die Staatsausgaben und die Staatsverschuldung wegen der Milliardenkosten für den Kampf gegen die Pandemie steigen, während gleichzeitig die Einnahmen sinken, halten Sie offenbar für eine zu vernachlässigende, weil kurzfristige Unwucht. Jede politische Initiative, das dadurch hervorgerufene »Unwohlsein« (kein Zitat!) zu beseitigen, wäre für das »Wirtschaftswachstum besonders schädlich« (Ihre Worte). Verzeihen Sie, Herr Sachverständiger: Wer die Grundrechenarten halbwegs beherrscht, muss hier widersprechen (auch wenn Minus mal Minus Plus ergeben). Verteilungspolitik ist keine antiökonomische »Gutmenschen«-Marotte, sondern schlicht Gebot der politischen Vernunft. Statt des Finanzhaushalts sollte zuerst die Gesellschaft »konsolidiert« werden. Und ein »großer Kuchen« hin und wieder ist zwar schön, aber nicht, wenn wir dafür auf das »täglich Brot« verzichten sollen.