Vor fünfzig Jahren, am 11. Oktober 1971, veröffentlichte John Lennon mit »Imagine« seinen zeitlosen Song über den Traum von einer besseren Welt. Es sollte der wohl wichtigste und berühmteste Song werden, den er je geschrieben und komponiert hat. Der heutige Pop-Klassiker war eine Singleauskopplung aus dem gleichnamigen Album, das in den USA bereits Anfang September erschienen war.
Der Song fordert die HörerInnen auf, sich eine Welt in Frieden ohne Grenzen und in Eintracht vorzustellen, ohne die Trennung von Religion und Nationalität, sogar die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, ohne materielle Besitztümer zu leben. Mit »Imagine« beschwor John Lennon seine Vision einer Welt ohne Krieg und Ausbeutung. »Imagine all the people / Livin’ life in peace« heißt es darin, und so wurde der Song als bewegende Friedenshymne, als Statement gegen den Vietnamkrieg gewertet. Noch heute denken wir an Frieden, wenn wir »Imagine« hören. Mit seiner wehmütigen Melodie, Lennons warmer und zurückhaltender Stimme und dem weichen Sound ist »Imagine« aber auch ein Song des Trostes und der Liebe.
In nicht einmal drei Stunden entstand der Song im Musikzimmer von Lennons Anwesen Tittenhurst Park. Nach der Veröffentlichung des Songs bekam Lennon neben viel Lob auch mindestens genau so viel Kritik. Ihm wurde Heuchelei vorgeworfen: Lennon sitzt in seinem luxuriösen Herrenhaus und träumt davon, keine Besitztümer zu haben. Wie bei seinem Song »All You Need Is Love« aus dem Jahre 1967 wandelte Lennon hier auf dem schmalen Grat zwischen Vision, Illusion und Realität.
Der Text wurde von einem Gedicht von Yoko Ono, das 1964 in ihrem Buch »Grapefruit« erschien, stark beeinflusst. Doch Lennon war damals, wie er später eingestand, »nicht Manns genug, seine Ehefrau als Co-Autorin zu erwähnen«. Eine weitere Inspirationsquelle war ein christliches Gebetbuch des amerikanischen Aktivisten und Gesellschaftskritikers Dick Gregory. Viele sahen in dem Song das musikalische Pendant zu Martin Luther Kings berühmter Rede »I Have A Dream«, während Lennon selbst einmal meinte, der Song sei »eigentlich das Kommunistische Manifest«. Bereits auf seinem ersten Solo-Album »Plastic Ono Band« (1970) hatte Lennon mit Songs wie »Working Class Hero«, »Mother« oder »God« solche Themen angesprochen, nur direkter und radikaler, sodass die LP kein Erfolg wurde. »Imagine« hatte dieselbe Botschaft, nur hatte sie Lennon hier etwas sentimental und pathetisch überzuckert (»Bring deine politische Botschaft mit etwas Honig rüber.«). Und der Erfolg sollte ihm Recht geben.
Nach seinem frühen Tod am 8. Dezember 1980 wurde »Imagine« zu »dem« Lennon-Song und gehört zu 100 meistgespielten Songs des 20. Jahrhunderts. Bis heute ist »Imagine« zeitlos und bekommt mit jedem Konflikt, jeder militärischen Auseinandersetzung, aber auch mit jeder persönlichen Verzweiflung oder Resignation immer wieder eine neue Aktualität. Fast 200 Coverversionen und massentaugliche Dauerexposition haben jedoch seine Botschaft mitunter zur Plattitüde verwässert. Doch stellen wir uns vor, es würde diesen Song nicht geben – er müsste noch geschrieben werden.