Es war das Jahr 2002, als George W. Bush in seinem schmalen politischen Geographiebuch die »Achse des Bösen« entdeckte. Alle hockten sie auf dieser Achse: die Gegner der guten Weltmacht USA. Mit seinem rhetorischen und anschließend militärischen Geschütz wollte Bush die von ihm identifizierten Mächte des Bösen – Nordkorea zum Beispiel, Iran oder Irak – dazu zwingen, das alte Machtspiel nach den alten US-Regeln durchzuführen. Doch die Terroranschläge vom 11. September 2001 hatten zu fundamentalen Veränderungen der internationalen Beziehungen, von Einflusssphären und Koalitionen geführt – und Teile der Welt spielten nun ein ganz anderes Spiel als von der Regierung Bush gewünscht. In einem Artikel Anfang 2006 in der Financial Times warnte Ex-US-Außenministerin Madeleine Albright, die Bush-Administration »müsse aufhören, Solitär zu spielen, während die Machthaber im Mittleren Osten und am Persischen Golf pokern«. Der Titel von Albrights Angriff in der Financial Times ist deutlich: »Gut gegen Böse ist keine Strategie.«
Die Reduzierung der (Welt-)Politik auf mythische Schwarz-Weiß-Malerei unterschlägt Ambivalenz und Widersprüchlichkeit, führt zu aberwitzigen oder einfach zu falschen Kausalitäten. Und zu der Versuchung, sich das (Gewalt-)Monopol für die Unterscheidung zwischen Gut und Böse zuzusprechen.
Was aber richtig oder falsch ist bzw. genauer: Was rechtmäßig ist oder nicht, kann von Gesetzen und von Gerichten in einem demokratischen Rechtsstaat festgelegt werden. Doch kein Staat, keine Regierung kann für sich die Macht beanspruchen, eine Unterscheidung zwischen Gut und Böse zu treffen. Was ja auch immer bedeutet, sich selbst zu den Guten zu zählen. Die Bösen, das sind die Anderen. Das ist nicht nur anmaßend und hochmütig, es hält Diplomatie oder Gespräche für Schwäche, für die Preisgabe des eigenen Guten an das Böse. Und es rechtfertigt Kriege. Wie zum Beispiel den ohne UN-Mandat geführten Angriff der USA auf den Irak 2003. Menschen- und Völkerrechtsverletzungen, also Verbrechen, »im Namen des Guten«, das anschließend weiterhin nicht »vom Bösen« zu unterscheiden war.
Das vom US-amerikanischen Militär verübte Massaker von Mỹ Lai, die Quälereien und Demütigungen in Guantanamo, die Folterszenen im Gefängnis von Abu-Ghuraib… Weitere menschenverachtende Szenen im Kampf gegen das sogenannte Böse.
Wer sich auf der Seite des Guten glaubt, fühlt sich in seinen Handlungen legitimiert. Militärisch, politisch, privat. Auf dem Schlachtfeld, im Foltergefängnis, bei der Denunziation des politischen Gegners oder widerständiger Bürger, beim Hass im Netz. Wo Linke wie Rechte sich als Gute im Kampf gegen die Bösen fühlen.
Wenn Menschen glauben, das Gute dürfe über das Böse richten, es sogar vernichten, dann weist das vielleicht darauf hin, dass die Unterscheidung selbst das eigentliche Böse ist.
Die längste Zeit meines bisherigen Lebens habe ich mich als Linke bezeichnet. Das gelingt mir nicht mehr. Ich kämpfe theoretisch wie praktisch für soziale Gerechtigkeit; ich möchte nicht, dass auch nur ein Mensch im Mittelmeer ertrinken muss oder an Zäunen und Mauern erschossen wird; ich halte Friedenssuche und Friedenseinsatz immer für den einzig richtigen Weg – und jeder soll von mir aus nach seiner Fasson glücklich werden. Queer oder in der klassischen Mann-Frau-Kind-Familie, vegan oder mit Bratwurst, auf dem Lastenfahrrad oder im SUV.
Ist das links oder rechts?
Ich kenne überhebliche, aggressive, herzlose, verächtliche, dumme Rechte und Linke, die – links und rechts – für sich in Anspruch nehmen, eindeutig zwischen Gut und Böse unterscheiden zu können.
Ich bin da mal weg.
Ich bin eine christlich geprägte Agnostikerin und versuche unzulänglich wenigstens selbst meinen Werten zu entsprechen.