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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Zwischenruf: Links oder rechts? Gut oder böse?

Es war das Jahr 2002, als Geor­ge W. Bush in sei­nem schma­len poli­ti­schen Geo­gra­phie­buch die »Ach­se des Bösen« ent­deck­te. Alle hock­ten sie auf die­ser Ach­se: die Geg­ner der guten Welt­macht USA. Mit sei­nem rhe­to­ri­schen und anschlie­ßend mili­tä­ri­schen Geschütz woll­te Bush die von ihm iden­ti­fi­zier­ten Mäch­te des Bösen – Nord­ko­rea zum Bei­spiel, Iran oder Irak – dazu zwin­gen, das alte Macht­spiel nach den alten US-Regeln durch­zu­füh­ren. Doch die Ter­ror­an­schlä­ge vom 11. Sep­tem­ber 2001 hat­ten zu fun­da­men­ta­len Ver­än­de­run­gen der inter­na­tio­na­len Bezie­hun­gen, von Ein­fluss­sphä­ren und Koali­tio­nen geführt – und Tei­le der Welt spiel­ten nun ein ganz ande­res Spiel als von der Regie­rung Bush gewünscht. In einem Arti­kel Anfang 2006 in der Finan­cial Times warn­te Ex-US-Außen­mi­ni­ste­rin Made­lei­ne Alb­right, die Bush-Admi­ni­stra­ti­on »müs­se auf­hö­ren, Soli­tär zu spie­len, wäh­rend die Macht­ha­ber im Mitt­le­ren Osten und am Per­si­schen Golf pokern«. Der Titel von Alb­rights Angriff in der Finan­cial Times ist deut­lich: »Gut gegen Böse ist kei­ne Strategie.«

Die Redu­zie­rung der (Welt-)Politik auf mythi­sche Schwarz-Weiß-Male­rei unter­schlägt Ambi­va­lenz und Wider­sprüch­lich­keit, führt zu aber­wit­zi­gen oder ein­fach zu fal­schen Kau­sa­li­tä­ten. Und zu der Ver­su­chung, sich das (Gewalt-)Monopol für die Unter­schei­dung zwi­schen Gut und Böse zuzusprechen.

Was aber rich­tig oder falsch ist bzw. genau­er: Was recht­mä­ßig ist oder nicht, kann von Geset­zen und von Gerich­ten in einem demo­kra­ti­schen Rechts­staat fest­ge­legt wer­den. Doch kein Staat, kei­ne Regie­rung kann für sich die Macht bean­spru­chen, eine Unter­schei­dung zwi­schen Gut und Böse zu tref­fen. Was ja auch immer bedeu­tet, sich selbst zu den Guten zu zäh­len. Die Bösen, das sind die Ande­ren. Das ist nicht nur anma­ßend und hoch­mü­tig, es hält Diplo­ma­tie oder Gesprä­che für Schwä­che, für die Preis­ga­be des eige­nen Guten an das Böse. Und es recht­fer­tigt Krie­ge. Wie zum Bei­spiel den ohne UN-Man­dat geführ­ten Angriff der USA auf den Irak 2003. Men­schen- und Völ­ker­rechts­ver­let­zun­gen, also Ver­bre­chen, »im Namen des Guten«, das anschlie­ßend wei­ter­hin nicht »vom Bösen« zu unter­schei­den war.

Das vom US-ame­ri­ka­ni­schen Mili­tär ver­üb­te Mas­sa­ker von Mỹ Lai, die Quä­le­rei­en und Demü­ti­gun­gen in Guan­ta­na­mo, die Fol­ter­sze­nen im Gefäng­nis von Abu-Ghuraib… Wei­te­re men­schen­ver­ach­ten­de Sze­nen im Kampf gegen das soge­nann­te Böse.

Wer sich auf der Sei­te des Guten glaubt, fühlt sich in sei­nen Hand­lun­gen legi­ti­miert. Mili­tä­risch, poli­tisch, pri­vat. Auf dem Schlacht­feld, im Fol­ter­ge­fäng­nis, bei der Denun­zia­ti­on des poli­ti­schen Geg­ners oder wider­stän­di­ger Bür­ger, beim Hass im Netz. Wo Lin­ke wie Rech­te sich als Gute im Kampf gegen die Bösen fühlen.

Wenn Men­schen glau­ben, das Gute dür­fe über das Böse rich­ten, es sogar ver­nich­ten, dann weist das viel­leicht dar­auf hin, dass die Unter­schei­dung selbst das eigent­li­che Böse ist.

Die läng­ste Zeit mei­nes bis­he­ri­gen Lebens habe ich mich als Lin­ke bezeich­net. Das gelingt mir nicht mehr. Ich kämp­fe theo­re­tisch wie prak­tisch für sozia­le Gerech­tig­keit; ich möch­te nicht, dass auch nur ein Mensch im Mit­tel­meer ertrin­ken muss oder an Zäu­nen und Mau­ern erschos­sen wird; ich hal­te Frie­dens­su­che und Frie­dens­ein­satz immer für den ein­zig rich­ti­gen Weg – und jeder soll von mir aus nach sei­ner Fas­son glück­lich wer­den. Que­er oder in der klas­si­schen Mann-Frau-Kind-Fami­lie, vegan oder mit Brat­wurst, auf dem Lasten­fahr­rad oder im SUV.

Ist das links oder rechts?

Ich ken­ne über­heb­li­che, aggres­si­ve, herz­lo­se, ver­ächt­li­che, dum­me Rech­te und Lin­ke, die – links und rechts – für sich in Anspruch neh­men, ein­deu­tig zwi­schen Gut und Böse unter­schei­den zu können.

Ich bin da mal weg.

Ich bin eine christ­lich gepräg­te Agno­sti­ke­rin und ver­su­che unzu­läng­lich wenig­stens selbst mei­nen Wer­ten zu entsprechen.

 

Ausgabe 15.16/2024