Eine Menge versammelte sich am 20. Mai 1970 vor einem Kino am Londoner Piccadilly Circus und wartete auf die vier Beatles. Da war die Schauspielerin Jane Asher, Ex-Freundin von Beatle Paul McCartney und Cynthia Lennon, Ex-Frau von Beatle John Lennon. Weiter standen da Richard Lester, der Regisseur der Beatles-Filme »A Hard Day’s Night« (1964) und »Help!« (1965), einige Hare Krishnas und die Angestellten der Beatles-Firma Apple. Alle hielten Ausschau, doch keiner der Beatles erschien, obwohl die Premiere von »Let It Be«, eines Filmes über sie, gleich startete.
Zwar gewann der Streifen einen Oscar in der Sparte »Best Original Song« für das Titellied, aber bei den Fans wie bei den Kritikern fiel er krachend durch. Das hatte mehrere Ursachen, die wohl wichtigste: Die Beatles hatten sich gerade – im April 1970 – getrennt, worüber alle Fans weltweit enttäuscht waren. Außerdem präsentierten sie viele Songs Work-in-Progress, was den Zuschauern eine gewisse Toleranz abforderte. Weiter wurde der Film, der ursprünglich fürs Fernsehen gedacht war, für die Kinos von 16mm auf 35mm aufgeblasen, was die Qualität verschlechterte.
»Let It Be« wurde vom 29jährigen Regisseur Michael Lindsay-Hogg gedreht, der bereits Videos der Beatles-Songs »Hey Jude«, »Paperback Writer« und »Rain« sowie das Rolling Stones-Projekt »Rock and Roll Circus« gefilmt hatte. In »Let It Be« zeigt er die Beatles im Januar 1969 als sie vor allem an den Songs ihres gleichnamigen, letzten Albums arbeiteten. Außerdem probten sie einige Lieder für ihr vorletztes Album »Abbey Road« (das sich bis heute 30 Millionen Mal verkauft hat) sowie andere, eher abwegige Songs wie »Besame Mucho« oder »Shake, Rattle and Roll«, die nicht von ihnen stammen. Nach etwa einer Stunde, in der wir die Band erst im düsteren Twickenham-Film-Studio und dann im freundlicheren Apple-Keller-Studio sehen, erleben wir sie in der letzten halben Stunde auf dem Dach des Apple Gebäudes in der Londoner Savile Row, wo sie fünf tolle Songs zum Besten geben. Ihr erster Live-Auftritt seit knapp drei Jahren! Lindsay-Hogg hatte zu diesem Zweck zehn Kameras positioniert: fünf auf dem Dach, drei auf der Straße, um die Reaktionen der Londoner einzufangen, eine vom Nebengebäude und eine – versteckt – an der Rezeption des Hauses, die filmte, wie zwei Polizisten das Haus betraten und ein Ende der Ruhestörung forderten.
Nachdem »Let It Be« in den Kinos gelaufen war, verschwand er mehr als ein halbes Jahrhundert in der Versenkung. Es gab nur einige VHS-Versionen sowie Bootlegs – alle von minderwertiger Qualität. Aber Lindsay-Hogg kämpfte in all den Jahrzehnten für eine zweite Chance für seinen Film.
Die kam vor wenigen Jahren in Gestalt des neuseeländischen Regisseurs Peter Jackson, der mit seinen »Herr der Ringe«-Filmen 17 (!) Oscars eingefahren hatte. Er sichtete das Material von »Let It Be«, insgesamt fast 60 Stunden. Und obwohl John Lennon die Zeit im Januar 1969 als »Wochen der Hölle« und George Harrison sie als »Winter der Unzufriedenheit« bezeichnet hatten, war Jackson überaus erstaunt: »Ich war darauf gefasst, dass es echt böse werden würde, aber es wurde fröhlicher und fröhlicher.« Um das Material für das heutige TV zu restaurieren wurden 14 Leute fast vier Jahre beschäftigt! Aus seinem schließlich 18stündigen Film schnitt Jackson einen auf acht Stunden herunter, verteilte ihn auf drei Teile und nannte ihn »The Beatles: Get Back«. Ab November 2021 war er beim Anbieter Disney+ zu sehen. Paul McCartney dazu: »Der Film zeigt die Kameraderie und Liebe zwischen den Beatles.« »Get Back« wurde von allen Seiten hoch gelobt. Trotzdem ist er viel zu lang – was ja auch schon Jacksons Hobbit-Filme waren –, enthält zu viel zielloses Geplauder, und manche Songs – wie »Don’t Let Me Down« – hört man wieder und wieder.
Natürlich hat Jackson für sein Projekt Lindsay-Hogg konsultiert. Und angeboten mit seinem Team auch den alten »Let It Be«-Film mit den Methoden des 21. Jahrhunderts zu restaurieren. Und voilà: Seit dem 8. Mai ist »Let It Be« wieder zu sehen, ebenfalls bei Disney+!
Auch ich sah ihn dort nach gut 30 Jahren zum zweiten Mal. Damals war ich ziemlich enttäuscht, manche Songs schienen unausgegoren, alles war ziemlich dunkel. Umso erstaunter war ich nun. Man sieht die Beatles heiter zusammen jammen, wunderbare Songs singen, Späße machen. Einige Höhepunkte: John Lennon und Yoko Ono tanzen zu einem Harrison-Song Walzer, McCartney und Ringo Starr spielen zusammen vierhändig Klavier, Harrison hilft Ringo seinen Song »Octopus’s Garden« zu vollenden. Aber es gibt auch einen handfesten Streit: Beim Song »Two Of Us« kritisierte McCartney das Gitarrenspiel von George Harrison, und dieser versicherte etwas sauer, er spiele genauso wie McCartney es von ihm wolle oder eben auch gar nicht! Ein Vorbote des baldigen Endes der Beatles? Oder eben nur ein kleiner Fight, den andere Bands so tagtäglich ausfechten.
Der letzte Satz im Film gehört John Lennon auf dem Apple-Dach: »Ich möchte allen im Namen der Band danken und hoffe, wir haben die Vorspielprobe bestanden!« Dazu Lindsay-Hogg vor kurzem: »Wenn irgendjemand die Vorspielprobe in den 1960ern bestanden hat, dann waren es die Beatles!«