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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Zweite Chance für »Let It Be«

Eine Men­ge ver­sam­mel­te sich am 20. Mai 1970 vor einem Kino am Lon­do­ner Pic­ca­dil­ly Cir­cus und war­te­te auf die vier Beat­les. Da war die Schau­spie­le­rin Jane Asher, Ex-Freun­din von Beat­le Paul McCart­ney und Cyn­thia Len­non, Ex-Frau von Beat­le John Len­non. Wei­ter stan­den da Richard Lester, der Regis­seur der Beat­les-Fil­me »A Hard Day’s Night« (1964) und »Help!« (1965), eini­ge Hare Krish­nas und die Ange­stell­ten der Beat­les-Fir­ma Apple. Alle hiel­ten Aus­schau, doch kei­ner der Beat­les erschien, obwohl die Pre­mie­re von »Let It Be«, eines Fil­mes über sie, gleich startete.

Zwar gewann der Strei­fen einen Oscar in der Spar­te »Best Ori­gi­nal Song« für das Titel­lied, aber bei den Fans wie bei den Kri­ti­kern fiel er kra­chend durch. Das hat­te meh­re­re Ursa­chen, die wohl wich­tig­ste: Die Beat­les hat­ten sich gera­de – im April 1970 – getrennt, wor­über alle Fans welt­weit ent­täuscht waren. Außer­dem prä­sen­tier­ten sie vie­le Songs Work-in-Pro­gress, was den Zuschau­ern eine gewis­se Tole­ranz abfor­der­te. Wei­ter wur­de der Film, der ursprüng­lich fürs Fern­se­hen gedacht war, für die Kinos von 16mm auf 35mm auf­ge­bla­sen, was die Qua­li­tät verschlechterte.

»Let It Be« wur­de vom 29jährigen Regis­seur Micha­el Lind­say-Hogg gedreht, der bereits Vide­os der Beat­les-Songs »Hey Jude«, »Paper­back Wri­ter« und »Rain« sowie das Rol­ling Stones-Pro­jekt »Rock and Roll Cir­cus« gefilmt hat­te. In »Let It Be« zeigt er die Beat­les im Janu­ar 1969 als sie vor allem an den Songs ihres gleich­na­mi­gen, letz­ten Albums arbei­te­ten. Außer­dem prob­ten sie eini­ge Lie­der für ihr vor­letz­tes Album »Abbey Road« (das sich bis heu­te 30 Mil­lio­nen Mal ver­kauft hat) sowie ande­re, eher abwe­gi­ge Songs wie »Besa­me Mucho« oder »Shake, Ratt­le and Roll«, die nicht von ihnen stam­men. Nach etwa einer Stun­de, in der wir die Band erst im düste­ren Twicken­ham-Film-Stu­dio und dann im freund­li­che­ren Apple-Kel­ler-Stu­dio sehen, erle­ben wir sie in der letz­ten hal­ben Stun­de auf dem Dach des Apple Gebäu­des in der Lon­do­ner Savi­le Row, wo sie fünf tol­le Songs zum Besten geben. Ihr erster Live-Auf­tritt seit knapp drei Jah­ren! Lind­say-Hogg hat­te zu die­sem Zweck zehn Kame­ras posi­tio­niert: fünf auf dem Dach, drei auf der Stra­ße, um die Reak­tio­nen der Lon­do­ner ein­zu­fan­gen, eine vom Neben­ge­bäu­de und eine – ver­steckt – an der Rezep­ti­on des Hau­ses, die film­te, wie zwei Poli­zi­sten das Haus betra­ten und ein Ende der Ruhe­stö­rung forderten.

Nach­dem »Let It Be« in den Kinos gelau­fen war, ver­schwand er mehr als ein hal­bes Jahr­hun­dert in der Ver­sen­kung. Es gab nur eini­ge VHS-Ver­sio­nen sowie Boot­legs – alle von min­der­wer­ti­ger Qua­li­tät. Aber Lind­say-Hogg kämpf­te in all den Jahr­zehn­ten für eine zwei­te Chan­ce für sei­nen Film.

Die kam vor weni­gen Jah­ren in Gestalt des neu­see­län­di­schen Regis­seurs Peter Jack­son, der mit sei­nen »Herr der Ringe«-Filmen 17 (!) Oscars ein­ge­fah­ren hat­te. Er sich­te­te das Mate­ri­al von »Let It Be«, ins­ge­samt fast 60 Stun­den. Und obwohl John Len­non die Zeit im Janu­ar 1969 als »Wochen der Höl­le« und Geor­ge Har­ri­son sie als »Win­ter der Unzu­frie­den­heit« bezeich­net hat­ten, war Jack­son über­aus erstaunt: »Ich war dar­auf gefasst, dass es echt böse wer­den wür­de, aber es wur­de fröh­li­cher und fröh­li­cher.« Um das Mate­ri­al für das heu­ti­ge TV zu restau­rie­ren wur­den 14 Leu­te fast vier Jah­re beschäf­tigt! Aus sei­nem schließ­lich 18stündigen Film schnitt Jack­son einen auf acht Stun­den her­un­ter, ver­teil­te ihn auf drei Tei­le und nann­te ihn »The Beat­les: Get Back«. Ab Novem­ber 2021 war er beim Anbie­ter Dis­ney+ zu sehen. Paul McCart­ney dazu: »Der Film zeigt die Kame­ra­de­rie und Lie­be zwi­schen den Beat­les.« »Get Back« wur­de von allen Sei­ten hoch gelobt. Trotz­dem ist er viel zu lang – was ja auch schon Jack­sons Hob­bit-Fil­me waren –, ent­hält zu viel ziel­lo­ses Geplau­der, und man­che Songs – wie »Don’t Let Me Down« – hört man wie­der und wieder.

Natür­lich hat Jack­son für sein Pro­jekt Lind­say-Hogg kon­sul­tiert. Und ange­bo­ten mit sei­nem Team auch den alten »Let It Be«-Film mit den Metho­den des 21. Jahr­hun­derts zu restau­rie­ren. Und voi­là: Seit dem 8. Mai ist »Let It Be« wie­der zu sehen, eben­falls bei Disney+!

Auch ich sah ihn dort nach gut 30 Jah­ren zum zwei­ten Mal. Damals war ich ziem­lich ent­täuscht, man­che Songs schie­nen unaus­ge­go­ren, alles war ziem­lich dun­kel. Umso erstaun­ter war ich nun. Man sieht die Beat­les hei­ter zusam­men jam­men, wun­der­ba­re Songs sin­gen, Spä­ße machen. Eini­ge Höhe­punk­te: John Len­non und Yoko Ono tan­zen zu einem Har­ri­son-Song Wal­zer, McCart­ney und Rin­go Starr spie­len zusam­men vier­hän­dig Kla­vier, Har­ri­son hilft Rin­go sei­nen Song »Octopus’s Gar­den« zu voll­enden. Aber es gibt auch einen hand­fe­sten Streit: Beim Song »Two Of Us« kri­ti­sier­te McCart­ney das Gitar­ren­spiel von Geor­ge Har­ri­son, und die­ser ver­si­cher­te etwas sau­er, er spie­le genau­so wie McCart­ney es von ihm wol­le oder eben auch gar nicht! Ein Vor­bo­te des bal­di­gen Endes der Beat­les? Oder eben nur ein klei­ner Fight, den ande­re Bands so tag­täg­lich ausfechten.

Der letz­te Satz im Film gehört John Len­non auf dem Apple-Dach: »Ich möch­te allen im Namen der Band dan­ken und hof­fe, wir haben die Vor­spiel­pro­be bestan­den!« Dazu Lind­say-Hogg vor kur­zem: »Wenn irgend­je­mand die Vor­spiel­pro­be in den 1960ern bestan­den hat, dann waren es die Beatles!«