15. Juni 1828. An diesem Sommertag hat Johann Wolfgang von Goethe zum Mittag Gäste in sein Haus am Frauenplan geladen. Plötzlich wird die gesellige Atmosphäre von einer bitteren Nachricht unterbrochen: Großherzog Carl August ist am Abend des Vortags im Schloss Graditz bei Torgau gestorben. Später notiert Goethe lapidar in seinem Tagebuch: »Die Nachricht vom Tode des Herzogs störte das Fest.«
Eine recht seltsame Eintragung, verband doch Goethe und Carl August eine über fünfzig Jahre andauernde Freundschaft. Die Weimar-Expertin Sigrid Damm widmet sich in ihrem neuen Buch dieser Männerfreundschaft, die jedoch nicht frei war von Höhen und Tiefen. 1775 war Goethe der Einladung des Herzogs Carl August nach Weimar gefolgt, der ihn zu seinem Vertrauten machte. Es war der Beginn einer engen persönlichen und doch ungewöhnlichen Freundschaft zwischen dem Dichter und seinem Dienstherrn. Carl August übertrug Goethe als Minister wichtige Aufgabenbereiche der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Der Staatsmann Goethe wurde so nach dem Herzog zum wichtigsten Mann im Fürstentum. Ausdruck dieser persönlichen Wertschätzung war im Frühjahr 1792 die Schenkung des Hauses am Frauenplan.
Die Autorin beleuchtet neben der geistigen Verwandtschaft auch die Differenzen und Widersprüche, die beide miteinander im Laufe der Jahre austrugen. In zahlreichen Quellen – vor allem im Briefwechsel der beiden Protagonisten – spürt sie neben der gegenseitigen Hochachtung auch die Spannungen und Konflikte auf, auch die nicht ausgesprochenen. Mitunter kam es sogar zum offenen Eklat. So fanden der Napoleon-Hasser Carl August und der Napoleon-Verehrer Goethe in politischen Fragen selten einen gemeinsamen Nenner. Auch für die soldatische Begeisterung von Carl August hatte Goethe wenig Verständnis.
Trotz seiner befremdlichen Tagebucheintragung trifft der herbe Verlust seines Dienstherrn den 79jährigen Goethe hart. Die seelischen Erschütterungen sind so groß, dass er nicht in der Lage ist, an den Trauerfeierlichkeiten für den verstorbenen Freund teilzunehmen. Er flüchtet sich in Alltagsgeschäfte. Seit Jahren ist er damit beschäftigt, sein gigantisches Lebenswerk für die Nachwelt zu ordnen. Für einige Monate zieht er sich auf die Dornburger Schlösser zurück. Erst am 11. September kehrt er nach Weimar zurück. Zu Großherzog Carl Friedrich, dem Sohn und Nachfolger von Carl August, sollte sich bis zu seinem Tod 1832 kein enges Verhältnis aufbauen.
Das Buch ist zum 80. Geburtstag von Sigrid Damm erschienen – akribisch recherchiert enthüllt es ein bisher wenig bekanntes Kapitel der Weimarer Klassik. Damm zeigt die bemerkenswerte Liaison aus Geist und Macht, das gegenseitige Tolerieren der an Charakter, Berufung und Ausstrahlungskraft so unterschiedlichen Freunde.
Goethes Haus am Frauenplan in Weimar ist heute noch das Herzstück der deutschen Klassik. Es ist eine Pflichtübung während eines Weimar-Besuches. In dem 1709 erbauten Haus lebte Johann Wolfgang von Goethe fast ein halbes Jahrhundert – von 1782 bis zu seinem Tod. Hier dichtete er, trug seine umfangreichen Sammlungen zusammen oder empfing Gäste. Später wohnte hier auch die Familie seines Sohnes August.
Nach zehn Jahren als Mieter bekam Goethe 1792 das Haus von Carl August geschenkt. Als Eigentümer begann er umgehend mit dem Umbau, der sich mehrere Jahre hinzog. Gegenüber Carl August wies Goethe ausdrücklich darauf hin, dass er sein Haus »nicht zum Wohlleben, sondern zu möglicher Verbreitung von Kunst und Wissenschaft einrichten und benutzen wolle«. Er orientierte sich vor allem an klassizistischen Bauten aus Italien. Zunächst veränderte er die innere Struktur und stattete die Repräsentationsräume mit einer Reihe wandfester Bildwerke aus. Diese Bildwerke wurden bisher kaum gewürdigt. Auch Goethes Projekt einer neuen Fassadengestaltung fand bisher wenig Aufmerksamkeit.
Beide werden nun erstmals in dem Bild-Text-Band des Kunsthistorikers Christian Hecht in sechs umfassenden Kapiteln und mit zahlreichen historischen Abbildungen und Plänen sowie aktuellen Farbfotografien vorgestellt. Zunächst wird der Leser mit der ursprünglich barocken Fassade und der Nutzungsgeschichte von 1709 bis 1792 des Goethehauses vertraut gemacht, ehe dann die Bildprogramme in den verschiedenen Bereichen des Treppenhauses und in den Empfangsräumen sehr ausführlich behandelt werden. Goethe schätzte derartige Dekorationen und Raumausstattungen, indem er Bildwerke und Kunstgegenstände in seine Erinnerungskultur integrierte.
Nach dem Umbau der Innenräume dachte Goethe ab 1800 an die Neugestaltung der Hausfassade (»Haus-Verblendung«). Auch hier wollte er alle Formen herrschaftlicher Repräsentation vermeiden, sondern Wert auf eine Architektursprache der Bildung legen. Nach seinen Vorgaben fertigte der Württembergische Architekt Nikolaus Friedrich von Thouret (1767 – 1845) einen Fassadenentwurf an, der nach außen anschaulich machte, was das Haus bereits im Inneren war. Goethe war mit dem Entwurf zufrieden und ließ daraufhin Kostenvoranschläge einholen. Das Ergebnis war ernüchternd, was ihn schließlich veranlasste, die Planungen nicht ausführen zu lassen. Der Verzicht hat ihn aber nicht davon abgehalten, sich weiter mit Architektur zu beschäftigen. Auch ohne Goethes geplanter »Haus-Blendung« ist das Haus am Weimarer Frauenplan ein einzigartiges Zeugnis seines Lebens und Wirkens.
Sigrid Damm: Goethe und Carl August – Wechselfälle einer Freundschaft, Insel Verlag Berlin 2020, 319 Seiten, 24 €.
Christian Hecht: Goethes Haus am Weimarer Frauenplan, Hirmer Verlag München 2020, 220 Seiten, 30 €.