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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Zuschrift an die Lokalpresse

Fin­den Sie nicht auch, dass einem in der Medi­en­spra­che immer wie­der Flos­keln begeg­nen, die sich wie trocke­ner Kitt im Fen­ster­rah­men hal­ten? Dass jeder Gesprächs­part­ner in Talk­shows mit »Schön, dass Sie da sind!« begrüßt wird, ist eine Satz­hül­se, über die sich schon lan­ge kei­ner mehr wun­dert – es sei denn, sie fehlt. Das Gegen­stück »Schön, dass Sie jetzt end­lich wie­der gehen!« habe ich aller­dings noch nie gehört, obwohl das oft ange­brach­ter wäre. Es kommt auf das rich­ti­ge Wort zur rich­ti­gen Zeit am rich­ti­gen Ort an! Nach­hal­tig ist mir vor allem in Kri­mi-Seri­en auf­ge­fal­len, dass die Chef­kom­mis­sa­re vom Nord­deich bis nach Süd­ti­rol die Erfol­ge ihrer kri­mi­nel­len Mit­ar­bei­ter mit einem ermun­tern­den »Gute Arbeit!« aner­ken­nen. Zum Bei­spiel, sobald sich ein Seri­en­mör­der nach ein­dring­li­chem Zure­den vol­ler Reue für einen ver­se­hent­li­chen Mord ent­schul­digt hat. »Was hät­te ich denn machen sol­len«, fragt dann übli­cher­wei­se der Täter. »Kaum hat­te ich das Mes­ser gezo­gen, stol­per­te der Herr Schnei­der­hein­ze über sei­ne eige­nen Schnür­sen­kel und fiel in den Dolch. Er war halt zur fal­schen Zeit am fal­schen Ort! Es war ein Unfall, das müs­sen Sie mir glau­ben!« »Gut, dass Sie das end­lich zuge­ben«, kon­sta­tiert dann der ermit­teln­de Kom­mis­sar. Gute Arbeit machen! Gute Fra­gen stel­len! Die rich­ti­ge Bemer­kung zur rich­ti­gen Zeit auf den rich­ti­gen Punkt set­zen, und schon passt alles wie der Deckel zum Sarg! Das kön­nen Sie mir glau­ben! Wie schön, dass Sie da waren und mit­ge­le­sen haben! Ich hat­te mir schon Sor­gen gemacht! – Nero Wie­der­käu­er (33), Redak­teur, 04610 Schauderheinichen

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Es wird Ihnen sicher nicht anders gehen als mir: Täg­lich flat­tern mir Hil­fe­ru­fe ins Haus, die einem ein schlech­tes Gewis­sen ver­pas­sen. Da geht es um die Betreu­ung eltern­lo­ser oder man­gel­er­nähr­ter Kin­der, um aus­ster­ben­de Wild­tier­ras­sen oder ver­wit­we­te Haus­tie­re. Und um heu­len­de Vier­bei­ner, die wir in jah­re­lan­gen Mühen dazu qua­li­fi­ziert haben, mit uns wie­der die aus­ge­trock­ne­ten Wäl­der zu tei­len und um Scha­fe zu strei­ten. Die ich rief, die Wöl­fe, werd› ich nun nicht los! Woll­te man zu jedem Leid ein Lin­de­rungs-Scherf­lein bei­tra­gen, käme man sel­ber in die Bre­douil­le. Ich will die Anlie­gen über­haupt nicht in Fra­ge stel­len und bewun­de­re die­je­ni­gen, die Hil­fe lei­sten oder orga­ni­sie­ren. Unicef zum Bei­spiel wirbt für geschmack­vol­le Glück­wunsch­kar­ten, deren Ertrag sowohl in die Kin­der­be­treu­ung fließt als auch unse­rem Fis­kus zugu­te­kommt, denn jeder Käu­fer ist selbst­ver­ständ­lich auch bei der 19-pro­zen­ti­gen Mehr­wert­steu­er dabei. Und die kann auch nicht durch Spen­den­be­schei­ni­gun­gen abge­mil­dert wer­den (sie­he Bestell­be­din­gun­gen, Bro­schü­re »Unicef für jedes Kind«, Frühjahr/​Sommer 2020, S. 23). In der Wer­be­schrift wird her­aus­ge­ar­bei­tet, dass »im Irak … vie­le Was­ser­wer­ke, Brun­nen und Lei­tun­gen durch Kämp­fe zer­stört« wor­den sind, wodurch den Men­schen oft nichts ande­res übrig bleibt, als »aus Tüm­peln oder Pfüt­zen zu trin­ken« (eben­da, S. 3). Ich hal­te es für gut, dass auf die Zusam­men­hän­ge von Krie­gen und Kin­der­elend hin­ge­wie­sen wird. Es wäre jedoch nicht weni­ger wich­tig, die aktu­ell­sten Daten über den inter­na­tio­na­len Waf­fen­han­del offen­zu­le­gen. So ist Deutsch­land laut Medi­en nach wie vor welt­weit viert­größ­ter Rüstungs­expor­teur. Im Ver­gleich zu 2018 hat unser Vater- und Mut­ter­land im ver­gan­ge­nen Jahr sei­ne Waf­fen­lie­fe­run­gen um 6,5 Pro­zent gestei­gert. Die Über­schrift »Sau­be­res Trink­was­ser – Lebens­ret­ter für Kin­der« ist folg­lich nur eine Nuan­ce der Wahr­heit. – Anto­nella Taba­lu­ga (32), nach­hal­tig quer­ein­ge­stie­ge­ne Ehren­amt­le­rin, 16833 Hakenberg