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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Zurückgewiesenes Nachdenken

»Nach­den­ken über Ossietzky« so hieß ein Band, 1989 erschie­nen und seit 1987 ange­dacht, vom damals noch stell­ver­tre­ten­den Chef­re­dak­teur der Weltbühne her­aus­ge­ge­ben, der den lang­jäh­ri­gen Chef­re­dak­teur Peter Theek zum Jah­res­wech­sel plan­mä­ßig, wie es in der DDR hieß, ablö­sen soll­te. Plan­mä­ßig auch war der Sam­mel­band noch vor dem 100. Geburts­tag Ossietz­kys erschie­nen. Das schuf ein gewis­ses Pro­blem, denn kaum war der Band erschie­nen, änder­te sich zunächst die klei­ne Welt der DDR und dann die gro­ße Welt zwi­schen Prag und Tbi­lis­si, Mos­kau und Tal­linn, Wla­di­wo­stok und Jere­wan. Im Prin­zip änder­te sich die Welt, zunächst aber blieb sie noch Mona­te, gar Jah­re lang gleich, also in gleich­för­mi­ger kor­rup­ter Unordnung.

In dem Band hat­ten vie­le hono­ri­ge Autoren – damals waren weib­li­che Per­so­nen in der männ­li­chen Form ein­ge­schlos­sen – ihre Mei­nung zu Ossietzky kund­ge­tan, meist hat­ten sie Ossietzky in sei­ne Zeit gestellt: Man­fred Kos­sok und Heinz Kam­nit­zer, Ruth Greu­ner, Kurt Pät­zold, Jür­gen Kuc­zyn­ski und selbst­ver­ständ­lich die wich­tig­ste Welt­büh­nen-Archäo­lo­gin der DDR, Ursu­la Madrasch-Gro­schopp, die aus eige­ner Erin­ne­rung die Wie­der­erweckung der Weltbühne nach dem Zwei­ten Welt­krieg schil­dern konnte.

Der Her­aus­ge­ber woll­te auch jün­ge­re Autoren ein­be­zie­hen. Ich schrieb seit zehn Jah­ren für das Blätt­chen, war noch unter vier­zig, hat­te sogar einen soge­nann­ten Ver­trag für Frei­fe­ste (400 Mark monat­lich). Also wur­de auch ich ange­fragt. Ich dach­te nach und schick­te die Frucht des­sen dem Her­aus­ge­ber auf Papier.

Ich habe wegen man­gel­haf­ter Papier­la­ge­rung mei­nen Bei­trag nicht mehr. Ich weiß aber noch, was mir der Her­aus­ge­ber, der mich vor sei­nen Schreib­tisch zitier­te, mit­teil­te: »Du glaubst doch nicht, dass wir Dei­nen Bei­trag drucken kön­nen? Ossietzky war ein stand­haf­ter, auf­rech­ter Jour­na­list, der auf der Sei­te der kämp­fen­den Völ­ker stand. Und Du benutzt ihn, um Dei­ne eige­nen Pro­ble­me aus­zu­brei­ten? Du regst Dich über eine angeb­li­che Zen­sur hier­zu­lan­de auf. Meinst Du, sol­ches hät­te Ossietzky gut­ge­hei­ßen? Sei­ne Ideen, die bei uns immer bes­ser zur Ver­wirk­li­chung kom­men, wer­den durch Dei­ne klein­mü­ti­ge, klein­bür­ger­li­che Kri­tik­aste­rei ad absur­dum geführt …«

Ich kann­te der­lei Zurecht­wei­sun­gen und teil­te mit, dass ich aber nur mei­ner eige­nen Mei­nung ver­pflich­tet sei. Was Ossietzky dazu gesagt hät­te, kön­ne ich nicht mal ahnen. An ihm, dem Her­aus­ge­ber sei es, mei­nen Text auf­zu­neh­men. Oder aber, wie in der Oper »Die Ver­ur­tei­lung des Lukul­lus«, aus­zu­ru­fen: »Ins Nichts mit ihm!«

»Da kann­ste aber Gift drauf neh­men!« sprach der Her­aus­ge­ber, und ich troll­te mich.

Ein paar Wochen spä­ter war der Wind dabei, sich zu dre­hen. Der Her­aus­ge­ber ver­öf­fent­lich­te am 14. Novem­ber 1989 – die Zeit­schrift hat­te damals etwa zehn Tage Vor­lauf – unter der Über­schrift »Ossietzky verpflichtet«:

»Als wir Anfang Okto­ber Carl von Ossietzky zu sei­nem 100. Geburts­tag ehr­ten, war uns nach Fei­ern nicht zumu­te. Mit jedem Wort, das – garan­tiert nicht zufäl­lig – die wirk­lich edle Gesin­nung und muti­ge Tat die­ses außer­or­dent­li­chen Publi­zi­sten in Erin­ne­rung rief, wur­de uns schmerz­haft bewußt, wie viel wir dem ehr­lich gemein­ten Anspruch, die Weltbühne in sei­nem Namen und sei­nem Geist wei­ter­zu­füh­ren, bis­her schul­dig blei­ben mußten.«

Wei­te­re vier Wochen spä­ter, der Wind blies unter­des­sen hef­tig von atlan­ti­schen Ufern her, war der Her­aus­ge­ber inzwi­schen Chef­re­dak­teur gewor­den – und auch Her­aus­ge­ber des Blätt­chens. Unter den Wor­ten »WAS WIR WOLLEN« schrie­ben vie­le bis­he­ri­ge und ein paar neue Autoren am 12. Dezem­ber 1989 zum Bei­spiel dies: »Wir wol­len Ossietz­kys Rat an alle Schwach­mü­ti­gen fol­gen, nicht mit Trau­er in die Ver­gan­gen­heit zu blicken und einem Zustand schmerz­lich nach­zu­win­ken, der zuletzt nichts war, als glei­ßen­de und geschmink­te Lüge.« So näm­lich for­mu­lier­te der jet­zi­ge Chefredakteur.

Auch ich durf­te in die­sem Heft etwas drucken lassen.

»Ich will eine Zensur!

Es wird in die­sen undif­fe­ren­zier­ten ver­ne­bel­ten Dezem­ber­ta­gen das gan­ze gute Frü­her nicht mehr dia­lek­tisch anders­her­um gesehen.

In den angeb­lich schwe­ren Zei­ten der sog. Zen­sur war es wun­der­bar und leicht. Denn natür­lich gab es nie sog. Zen­sur – das kann man jeder­zeit frei­mü­tig nach­le­sen – aber es gab hel­fen­de Hin­wei­se, klu­ge Rat­schlä­ge nach vorn, mal ein nett gemein­tes Kopf­nüß­chen, damit man einen Schritt in die rich­ti­ge Rich­tung schnell los­lief. Aber ich habe nicht ein­mal in mei­ner Lauf­bahn als stän­dig bedacht wer­den­der Mensch erlebt, daß mir etwa ein dum­mer Witz ver­bo­ten wurde.

Es wur­de hel­fend hin­ge­wie­sen, daß man dum­me Wit­ze nicht rei­ßen soll­te. […] [Damals] setz­te sich mei­ne Auf­sichts­be­hör­de kame­rad­schaft­lich mit mir hin, strei­chel­te mit einem wei­chen Blei­stift mei­ne kan­ti­gen Tex­te und erläu­ter­te neben­bei die scharf-exi­sten­ti­el­le Situa­ti­on wie ein Arzt am Kran­ken­bett des Fort­schritts: Wir sind doch gewiß auch der Mei­nung, daß Dei­ne Tex­te bei die­ser wirk­lich ein­ma­li­gen Welt­wet­ter­la­ge von staats­bür­ger­li­cher Unre­le­vanz sind.«

Wer noch genau­er wis­sen will, wie sich die Win­de in die­ser Epo­che der Deut­schen Demo­kra­ti­schen Bun­des­re­pu­blik wen­de­ten, schaue ins Buch von 1991 »Die Weltbühne im Wir­bel der Wen­de«, erschie­nen im Ver­lag der Weltbühne, Ber­lin. Die aus­ge­wähl­ten Bei­trä­ge set­zen mit dem Okto­ber 1989 ein und enden im Dezem­ber 1991. Her­aus­ge­ge­ben wur­de es vom damals gera­de gegrün­de­ten Freun­des­kreis der Weltbühne e. V. Lei­der fin­den wir dar­in nicht die kame­rad­schaft­li­chen hel­fen­den Hin­wei­se, die nett gemein­ten Kopf­nüss­chen, die ange­pran­ger­te klein­mü­ti­ge, klein­bür­ger­li­che Kri­tik­aste­rei. Aber es gibt vie­le Hin­wei­se auf Carl von Ossietzky und dar­auf, wie man über ihn nach­den­ken sollte.