Das war Air Defender 2023 (AD 23): 25 Nationen, mehr als 10.000 Teilnehmer, 9 Übungstage, 250 Flugzeuge, 26 Flugplätze in Europa, 6 Flugplätze in Deutschland, 24 COMAOS (Composit Air Operation = verbundene Luftkriegsoperation/EL), 52 Jets durchschnittlich pro COMAO, 806 Missionen, 1808 geflogene Sorties (militärische Flugbewegungen) von 2034 geplanten. Keine Ausfälle von zivilen Flügen auf Grund von Air Defender, vermeldete das »Team Luftwaffe« auf Twitter am 23. Juni 2023.
Vor Beginn des Luftkriegsmanövers hatte Luftwaffen-Inspekteur Ingo Gerhartz bereits den Wert von AD23 unterstrichen: »Wir« zeigen, dass Deutschland Führung kann und mehr Verantwortung übernimmt. Das war Gerhartz auch bei seinem Abschlussstatement am 23. Juni auf dem Militärflugplatz in Jagel (Schleswig-Holstein) sehr wichtig: »Wir können!«
Zu den Kosten der Großübung und zum CO2-Ausstoß machte Gerhartz keine Angaben. Allerdings meinte er: »Sicherheit gibt es nicht zum Nulltarif.« Vorab war von rund 35.000 Tonnen CO2 allein durch den Flugbetrieb die Rede. Das entspricht etwa den Jahresemissionen eines deutschen 3.000-Einwohner-Ortes. Allein eine Flugstunde des Eurofighters stößt elf Tonnen CO2 aus. Die zusätzliche Belastung der Umwelt wäre eigentlich eine Steilvorlage für Klimaschützer, den Schulterschluss mit der Friedensbewegung zu suchen.
Es dürfte weitere Manöver dieser Art geben, denn laut Gerhartz reichen Simulationen von Kampfsituationen nicht aus. So bezeichnete denn auch die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, das Großmanöver als exemplarisch für die Zukunft der Nato. Nötig seien weitere gemeinsame Übungen, um zu trainieren, wie das eigene Territorium gegen mögliche Angriffe Russlands oder anderer Aggressoren zu verteidigen sei, forderte die FDP-Politikerin. Die Rolle, die Deutschland als Initiator des Manövers gespielt habe, sei von allen Partnern als äußerst positiv empfunden worden. »Deutschland hat seiner geografischen Lage und seiner wirtschaftlichen Kraft entsprechend geführt und gezeigt, dass es Fähigkeiten besitzt, auf die auch die Partner zurückgreifen können«, sagte Strack-Zimmermann. »Das sollte in Zukunft auch alle anderen Teilstreitkräfte betreffen. Wir sind endlich in der Realität angekommen« (ntv, 23. Juni).
Ein Bild hat sich bei mir festgesetzt (siehe auch Titelbild in junge Welt vom 19. Juni): Bundeskanzler Scholz setzte sich zum Auftakt seines Besuchs in Jagel in einen Eurofighter, um Wehrhaftigkeit zu demonstrieren und Signale für weitere Lieferungen von immer schwereren Waffen in die Ukraine zu senden. Damit wird der Abnutzungskrieg sinnlos verlängert.
Insgesamt bin ich natürlich erleichtert, dass es offenbar zu keinen Unfällen und Zwischenfällen gekommen ist. Es gibt aber auch diese Meldung vom 16. Juni: »Ein litauischer Luftwaffenstützpunkt wurde bei der Übung prominent genutzt, um die Fähigkeit von Nato-Flugzeugen zu demonstrieren, von Stützpunkten in Deutschland aus an der russischen Grenze stationiert zu werden. Russische Kampfflugzeuge reagierten auf die Übungen über Litauen, so dass Nato-Flugzeuge 15 Mal kämpfen mussten, um russische Kampfflugzeuge abzufangen« (zitiert aus: Melvin A. Goodman »Die anhaltenden Kriegstraumata machen den Vereinigten Staaten und Russland Angst«, https://www.counterpunch.org/2023/06/16/the-enduring-traumas-of-war-scares-for-the-united-states-and-russia/).
Diese Nachricht bestätigt die Aussage verschiedener Friedensgruppen: AD23 diente als Drehscheibe nicht der Abschreckung, sondern der Eskalation. Der Bundesausschuss Friedensratschlag sprach von einer »Drohkulisse gegen Russland«.
Zum Ende von AD23 bleibt aufmerksam zu beobachten, welche der US-Flugzeuge tatsächlich in die USA zurückkehren oder in Europa verbleiben, um für den »Ernstfall« Stand-by bereit zu stehen. Erste Nachrichten lassen vermuten, dass F35 Tarnkappenbomber, F16 und A10 Kampfflugzeuge in Europa zusätzlich verbleiben sollen. Bezogen auf den Fliegerhorst Wunstorf, vor dessen Eingangstor Friedensgruppen aus Norddeutschland am 10. Juni medienwirksam demonstrierten, gilt es wahrzunehmen, ob das große mobile Tanklager (mit einem Volumen von 2,4 Millionen Litern) tatsächlich, wie angekündigt, bis zum September wieder abgebaut wird oder nicht. Wenn nicht, wäre dies ein Hinweis auf weitere Kriegsvorbereitungen.
Nicht durch Nato-Kriegsmanöver kann der Krieg in der Ukraine beendet werden, sondern nur durch Diplomatie. Nur Abrüstung bei gegenseitiger Rüstungskontrolle kann einen dauerhaften Frieden im Rahmen einer europäischen Friedensordnung gewährleisten. Die Mehrheit der Bevölkerung fordert mehr Diplomatie, nicht mehr Waffen, sagen letzte Umfragen. Es wäre gut, wenn sich dieser Wunsch in vielen Aktionen der Friedensbewegung wie zum 78. Jahrestag der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki und am Antikriegstag (1. September) widerspiegelt.