Biskupek, der kleine Bischof, ist tot. Wir kannten uns fast vierzig Jahre. Ich hielt ihn stets für einen bodenständigen, freigeistigen und hintersinnigen Schelm. Wenige Tage vor seinem zu frühen Tod, begriff ich, dass er nicht nur Atheist, sondern durchaus ein gläubiger Mann war. So einen Spagat bekommen nur Vollblutkomödianten hin. An seiner Matzratzengruft – so nannte er sein Krankenlager mit Verweis auf Heine – sprachen wir vom lieben Gott. Der beschlossen habe, ihn nicht mehr leben zu lassen. So einfach ist das, bitteschön, sagte Matthias. Aber so einfach war es nicht. Er hat nämlich nicht leichthin losgelassen, kapituliert, sondern mit Kraft und Leidenschaft gegen das Urteil und die Krankheit gekämpft. Dieser Quotensachse und Rentnerlehrling liebte das Leben, er fand es in Gänze entschieden komisch, lachhaft und bewahrenswert. Auch der bittersten Stunde konnte er witzige Nuancen abgewinnen. War es nicht ein frivoler Zufall, dass der Palliativmediziner, der ihn auf seinem letzten Weg begleiten sollte, genauso hieß wie ein ostdeutscher Theateravantgardist? Darüber lachte er, trotz Schmerzen und Schwäche, aus vollem Hals. Wenn ihn Sigrid, seine Frau, einen verspäteten Morphinisten nannte, forderte er, die Drogen zu bekommen, die gerade im Angebot waren. Unsere letzten Gespräche waren, trotz der fatalen Lage, um die er wusste, verwirrend heiter und leicht, umkreisten unser Handwerk, das Theater, die Literatur, aber auch die politische Situation, die Pandemie. Obwohl er spürte, dass es mit ihm zu Ende ging, beschäftigte ihn die Welt. Er dachte an die Geburtstagsgrüße für Freunde und sorgte sich um kommende Wahlen. Er sprach von Büchern, die er gern noch begonnen oder beendet hätte. Schreiben war für ihn ein verantwortungsvolles Amt, seine Lebensaufgabe. Er hat sie, wie er selbstbewusst feststellte, alles in allem gut erfüllt. Wohl wahr. Ich bin überzeugt, dass, wer auch immer irgendwann etwas über die Stagnation, Transformation und Restauration in Ostdeutschland erfahren will, seine Glossen und Satiren zur Hand nehmen wird. Als ihn die Kraft verließ, Notizen zu machen oder sein Tagebuch fortzuführen, arbeitete sein Kopf weiter an Texten. Er entwarf Theaterstücke, erzählte von seinen Träumen. Etwa, dass er in einer Performance mitwirken durfte, die darin bestand, dass man ihn in eine Frau verwandelte. Diese Vision war nicht nur ein Reflex auf die physischen Veränderungen, die ihm die Krankheit aufzwang, sie legte tiefere Ansichten frei. In vielen seiner Geschichten waren weibliche Figuren die aktiven, mutigen, entscheidungsfrohen Protagonisten. Sein vorletztes Buch erzählte die Biografie einer Kollegin, sein nächstes sollte an die Freundin Uschi Amberger erinnern. Zu den Stärken seiner Literatur gehörte ein entschieden feminines Moment, Anteilnahme und Nähe. Matthias Biskupek konnte störrisch und unbequem sein, er teilte seine Ansichten unverblümt und spottlustig mit, Aggressivität war nicht sein Metier. Eine vernichtende Kritik aus seiner Feder wird man nicht finden. Im Grunde war er, ein Kind kleiner Leute, ein vorsichtiger Mensch. Manchmal, sagte er und schmunzelte über das Eingeständnis, war ich auch ein bisschen feige. Da, erwiderte ich, stehst du nicht alleine. Und füge heute hinzu, du warst auch ein Mann, auf den man sich in brisanter Lage immer verlassen konnte, ein aufrechter Kerl und eine ehrliche Haut. Du hast, mit leichter Hand und festen Überzeugungen, um dein Leben geschrieben und dein Schicksal mit Todesmut in die Schranken gewiesen. In deinen letzten Monaten hast du, lieber Freund, verzeih das hohe Wort, wie ein Held gehandelt. Solch pathetisches Kompliment würdest du mit einer flachsigen Bemerkung kleingeredet, relativiert haben. Jetzt kommt von deiner Seite kein Scherz, kein Kontra. Das Gespräch ist aus. Der Rest ist Schweigen. Also lass mich wiederholen, was ich dir zum Abschied sagte: Du wirst mir fehlen. So wie vielen anderen auch.
Dieser Text wurde zuerst von der Zeitung Freies Wort in Suhl gedruckt.
Herausgeber/innen, Verlag und Redaktion von Ossietzky drücken der Familie und den Freunden von Matthias Biskupek ihr tiefstes Mitgefühl aus.