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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Zum letzten Platz

Jeder Fried­hofs­be­such führt vor Augen, wie unter­schied­lich Lebens­zei­ten bemes­sen sind. Es gibt Grä­ber derer, denen ein Leben schon gleich gar nicht zuteil ward, in der »Blü­te ihrer Jah­re« und »vor­zei­tig« aus ihm Geris­se­ner, sowie jener, deren Beein­träch­ti­gun­gen und unbe­sieg­ba­re Krank­hei­ten ihre Lebens­span­ne ver­kürz­ten. Um all die­se – hier ohne Anspruch dar­auf, sie erfas­sen zu kön­nen – Erwähn­ten küm­mern sich Grund­sät­ze staat­li­cher Sozi­al­po­li­tik. Das Fol­gen­de beschäf­tigt sich mit denen, die nach ihrer Geburt zu eigen­stän­di­ger Bewäl­ti­gung ihrer Lebens­um­stän­de nicht (mehr) in der Lage sind; denen, die einen frü­hen oder spä­te­ren, jedoch auf jeden Fall einen lei­dens­be­schwer­ten Gang zum Ende hin­neh­men müssen.

Es gibt dazu, wie sol­chem Erge­hen Lin­de­rung und erleich­tern­de Beglei­tung zu ver­schaf­fen ist, zwei grund­sätz­li­che Vor­ge­hens­wei­sen: einen sta­tio­nä­ren und einen ambu­lan­ten Ansatz. Noch koexi­stie­ren bei­de, aber im stän­dig wei­ter­re­for­mier­ten Kran­ken­haus­be­reich fort­schritt­li­cher Gesund­heits­po­li­tik gewinnt der letz­te­re, da wirt­schaft­li­cher orga­ni­sier­bar, über den erste­ren zuneh­mend die Ober­hand: All das, was nicht als abso­lut unum­gäng­lich und mög­lichst effi­zi­ent zu Behan­deln­des defi­niert ist, kann aus­ge­la­gert und – falls wie­der­um unum­gäng­lich, ambu­lant assi­stiert – »Näch­sten und Lieb­sten« zum Sich-Küm­mern über­ge­ben, also zu selbst zu ver­ant­wor­ten­der »Pri­vat­sa­che« gemacht wer­den. (Ein Schwein, wer Ange­hö­ri­ge »ein­fach« in all­ge­mei­ne Obhut »abschie­ben« »will«.)

Die­ser Trend scheint auch auf den Umgang mit Ein­ge­schränk­ten, chro­nisch Kran­ken und Alten schlei­chend, dabei aber immer merk­li­cher, »abzu­fär­ben«. Die­se prak­ti­sche Wen­de, derer sich auch staat­li­che und kari­ta­ti­ve Ein­rich­tun­gen zuneh­mend beflei­ßi­gen, wird in öffent­li­cher Dis­kus­si­on weni­ger in ihren spe­zi­fi­schen Aus­wir­kun­gen auf die Kli­en­tel gesell­schaft­li­cher Für­sor­ge behan­delt; das ist die Domä­ne haus­häl­te­ri­scher Gre­mi­en. Im Dis­kurs domi­nie­ren ethi­sche Grund­sät­ze, Wer­te und Rech­te und damit ein Abge­ho­ben­sein von dem, was einem schwe­ren Leben und des­sen letz­tem Abschnitt kon­kret zuträg­lich sein könnte.

Das her­ge­brach­te und zuneh­mend für zumin­dest über­holt erach­te­te Bewäl­ti­gungs­mo­dell fasst(e) Beein­träch­tig­te und Pfle­ge­be­dürf­ti­ge an einem Ort zusam­men, der infra­struk­tu­rell und logi­stisch so gestal­tet ist, dass er deren Betä­ti­gung im Rah­men ihrer Vor­aus­set­zun­gen erlaubt und, von zeit­wei­lig bis rund­um, Vor­aus­set­zun­gen für Betreu­ung über eine Ska­la je nach Ein­schrän­kung erfor­der­li­cher Betreu­ungs­maß­nah­men bietet.

Dem­ge­gen­über wird »zeit­ge­mä­ßer« die Unter­brin­gung von Unselb­stän­di­gen und Pfle­ge­be­dürf­ti­gen an klei­nen, jeweils für die­se geeig­ne­ten Stand­or­te favo­ri­siert, deren infra­struk­tu­rel­ler Zuschnitt, soweit man davon reden kann, auch »nor­mal« aus­fällt. Im Ide­al­fall an Stel­le der bis­he­ri­gen und noch in der Mehr­zahl befind­li­chen Betreu­ungs­zen­tren. Die, die bis­her in Kli­ni­kums- und ähn­li­chen Ein­rich­tun­gen und mit ent­spre­chen­dem 24/7-Per­so­nal, Aus­lauf und Parks unter­ge­bracht sind, könnten/​sollten in größt­mög­li­chem und zugleich ihre Situa­ti­on berück­sich­ti­gen­dem Aus­maß in »sozi­al­ver­träg­li­chen Stan­dard­um­ge­bun­gen« eine bekömm­li­che Blei­be finden.

Sicher ist nicht jede Per­son, die im tra­di­tio­nel­len Modell – Senio­ren-/Pfle­ge­hei­men u. ä. – lebt, unfä­hig, ihren Erfor­der­nis­sen mit ent­spre­chen­den Hilfs­mit­teln auch »außer­halb« nach­zu­kom­men. Aber: Blie­be nicht ein gro­ßer und wahr­schein­lich stark wach­sen­der Rest derer, die nur dadurch »könn­ten«, auch wenn sie rea­li­ter nicht könn­ten, dass sie mit Abschmel­zen des alten alter­na­tiv­los auf das moder­ne Modell ver­wie­sen wären?

Wie gesagt wird gegen den tra­di­tio­nel­len Ansatz Welt­an­schau­li­ches ins Feld geführt.

  1. Im alten Modell wur­den – und das ist unbe­streit­ba­rer geschicht­li­cher, mitt­ler­wei­le amt­li­cher und auch von invol­vier­ten Trä­gern aner­kann­ter Fakt, der auch schon vor dem deut­schen Faschis­mus von Staa­ten all­ge­mein prak­ti­ziert wur­de – »Lebens­un­taug­li­che und -unwer­te« zusam­men­ge­fasst, seg­re­giert, ver­nutzt und ermor­det.
  2. Somit (?) ist die Exi­stenz von »Gebie­ten für spe­zi­el­le Fäl­le und Erfor­der­nis­se« eine Ghet­toi­sie­rung, die die dort Leben­den als nicht zuge­hö­ri­ge weni­ger Lei­sten­de stig­ma­ti­siert.
  3. Dadurch, dass Ein­schrän­kungs- und (hoff­nungs­lo­se) Pfle­ge­fäl­le in Zen­tren als Gold­fisch­glas-Kol­lek­tiv »nur« ein Leben mit sol­chen füh­ren, denen es auch schlecht geht, wer­den sie vom ermu­ti­gen­den »Leben der Ande­ren« abge­kap­selt und gehen der Hil­fe ver­lu­stig, die letz­te­re ihnen bei Bedarf sicher zukom­men lassen.
  4. Inklu­diert steht ihnen zwar kein Park für Behin­der­te (mehr) zur Ver­fü­gung, aber Dabei­sein ist schließ­lich alles. Man muss sich halt ein­fach etwas mehr vor­se­hen bei der Teil­ha­be am bran­den­den Bür­ger­steig­ver­kehr zusam­men mit ande­ren. Das lernt man schon noch. Mer­ke: Roll­stuhl­jah­re sind kei­ne E-Rollerjahre.

Nun, das letz­te war jetzt aber ziem­lich pole­misch. Trotz­dem und nach Blut­druck­ab­sen­kung: Die Eta­blie­rung von Berei­chen, die für bestimm­te Vor­ha­ben reser­viert sind (Indu­strie­ge­bie­te, Rot­licht­be­zir­ke, Bom­bo­dro­me, you name it), ist kei­ne Ghet­toi­sie­rung; dazu gehört Bestimm­tes. Die­ses blen­den die Wer­te von Inklu­si­on und Exklu­si­on an sich aus. Es gibt Hoch­preis­ghet­tos, »gated com­mu­ni­ties« derer, die sich mit ihnen vor einer Inklu­si­on im Pöbel schüt­zen, und Kon­sum­ar­ti­kel adeln sich mit einem »exclu­si­ve­ly for you«, das so man­ches »Wow«! verdient.

Des­halb noch­mals und ganz ruhig gefragt: Könn­te es nicht sein, dass sich staat­lich geför­der­te Sozi­al­maß­nah­men dadurch als zukunfts­taug­lich erwei­sen, dass sie sich bezahl­ter machen? Indem man vor­mals ein­ge­heg­ten Grund und Boden für wirk­lich Ren­ta­bles frei­gibt und dafür Pfle­ge­dienst­mo­bi­le durch Stadt und über Land rasen lässt? Kom­men sie zu spät – Krankheit/​Tod rich­tet sich nicht nach Tak­tung … Nun, mein Gott: Schick­sal eben – aber ein inklu­dier­tes. Dar­auf kommt es an.

Eine Skep­sis dem inno­va­tiv fle­xi­bi­li­sier­ten Kon­zept gegen­über macht das her­kömm­li­che nicht zu einem Schla­raf­fen­land oder einer Som­mer­frisch­ler­idyl­le. So etwas gibt es zwar auch, in Form von luxu­riö­sen Alters­re­si­den­zen, z. B. in Bel Air oder im Tau­nus, aber eben exklu­siv für den »Gip­per« und ande­re Betuch­te, was in die­sem Nicht-Sozi­al­fall nicht bean­stan­det, son­dern als wohl­ver­dient betrach­tet wird. In der Regel haben sich Ein­rich­tun­gen ana­log zu Kran­ken­häu­sern dar­an zu bewäh­ren, dass ihnen Mit­tel für Instand­hal­tung und Wei­ter­be­trieb ver­knappt wer­den. Wenn Zen­tren also zu Selbst­zer­stücke­lung über­ge­hen, so nicht aus frei­em Beschluss, son­dern aus finan­zi­el­ler Not. Und bei ihrer Suche nach geeig­ne­ten Stand­or­ten müs­sen sie sich mit dem Mak­lerm­an­tra »Lage, Lage, Lage«, der Bedien­bar­keit von Woh­nungs- und Grund­stücks­prei­sen, aus­ein­an­der­set­zen. Das führt dann eben öfter zur Inkauf­nah­me von ziem­lich trost­lo­sen, mono­to­nen Umfel­dern, in denen David Bowie Heinz Schenk heißt. »Erbar­men«!

Da blei­ben wohl nur noch ein Ein­bu­chen ins »Best Exo­tic Mari­gold Hotel« und des­sen Beteue­rung: »Am Ende wird alles gut – und wenn es nicht gut ist, ist es nicht das Ende«. Damit muss sich doch leben lassen.