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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Zugetextet

Mei­ne Frau meint, ich wür­de sie zutex­ten. Und nicht nur sie. Ande­re hät­ten das auch schon gesagt. »So? Wer denn?« will ich wis­sen, und zwar zu recht, weil mei­ne Frau sonst Din­ge behaup­ten kann, die mich schlecht aus­se­hen las­sen, aber nicht stim­men. Erst will sie kei­nen nen­nen, was für mich heißt: Sie weiß kei­nen, was wie­der­um bedeu­tet: Stimmt nicht.

An sich kann es auch nicht stim­men, wie mei­ne Leser/​innen bestä­ti­gen wer­den, die sich von mir infor­miert, ange­regt, berei­chert, viel­leicht auch gei­stig her­aus­ge­for­dert, kon­fron­tiert, hin­ter­fragt und was weiß ich noch alles füh­len mögen, aber nicht zuge­tex­tet. Sonst hät­ten sie mir das ja geschrie­ben, in Kom­men­tar­feeds unter mei­nen Online­tex­ten oder mit­ge­teilt in Fra­ge­run­den, mit denen ich mei­ne Lesun­gen als pflicht­be­wuss­ter Autor been­de. Nein, man kann mir man­ches nach­sa­gen, aber zutex­ten wür­de ich weder mei­ne Leser/​innen noch ande­re wich­ti­ge Per­so­nen mei­nes Umfelds. Da hat mei­ne Frau mit ihrer Kano­ne einen Spat­zen erschos­sen, der nie existierte.

Nach eini­gem Zögern nennt sie unse­ren Sohn. Der hät­te das auch gesagt. Schock. Mein Sohn und ich, muss man wis­sen, wir ver­ste­hen uns präch­tig. Füh­ren lan­ge Gesprä­che, die einen unvor­her­sag­ba­ren Ver­lauf haben und immer span­nen­de Ergeb­nis­se lie­fern. Mir jedenfalls.

Beim näch­sten Tele­fo­nat mit mei­nem Sohn ach­te ich streng dar­auf, nur Fra­gen zu stel­len und auf kei­ne der Ant­wor­ten irgend­et­was zu erwi­dern. Nach fünf Minu­ten – die habe ich mir vor­ge­nom­men und mit der Arm­band­uhr gestoppt – fra­ge ich ihn direkt: »Übri­gens, die Mama meint, du habest gesagt, ich wür­de dich zutex­ten. Stimmt das?« Mein Sohn schweigt. »Ich mei­ne, hast du das wirk­lich gesagt? Du kannst ganz offen reden. Ich will nur wis­sen, ob es stimmt, und wenn ja, erfah­re ich, wie ich auf ande­re wir­ke. Dich zum Bei­spiel.« Mein Sohn ist sich nicht sicher, ob er es gesagt hat, behaup­tet dann aber: »Na ja, du tex­test mich schon zu, Papa. Nicht immer, aber doch des Öfte­ren. Ich weiß manch­mal gar nicht, wovon du redest, aber das ist schon okay. Ich hab da kein gro­ßes Pro­blem mit.« Kurz schlucken muss ich, dann ist mir wich­tig: »Du kannst es mir offen sagen, wenn es mal wie­der pas­siert. War­um hast du es mir nicht gesagt?« »Na ja«, fängt er den näch­sten flos­kel­haf­ten Satz an – eine Unart, und sowas will mein Sohn sein –, »sowas sagt sich nicht so leicht. Schließ­lich könn­te der ande­re sich kri­ti­siert füh­len«. Wir been­den das Gespräch mit der Ver­ein­ba­rung, dass er mir in Zukunft gleich rück­mel­den darf und wird, wenn ich ihn mal unfrei­wil­lig zutex­ten sollte.

Mei­ne Frau hat dann noch eine Bekann­te genannt, die ich angeb­lich auch zuge­tex­tet habe. Auf einer Ber­lin­fahrt war das, die ich mit der und ihrem Mann gemacht habe in deren klapp­ri­gem VW-Trans­por­ter, wo ich auf der hin­te­ren Rück­bank sit­zen muss­te, weil der gan­ze Stau­raum mit Sachen für deren Kin­der und Enkel voll­ge­stellt war, die mehr­heit­lich in Ber­lin leben. Ich erin­ne­re mich noch gut, wie ich erst von jedem Enkel­kind und, als das letz­te durch war, von jedem Kind das Neue­ste erfah­ren durf­te, was viel war. Anschlie­ßend erfuhr ich unge­ahn­te Din­ge über mei­ne Hei­mat­stadt Ber­lin. Jedes Detail war von einem Enkel­kind oder Kind per­sön­lich erlebt wor­den und damit fami­lienamt­lich ver­bürgt, sodass die Eltern und Groß­el­tern mich unmög­lich nach Ber­lin gelan­gen las­sen konn­ten, ohne mir all die grund­le­gen­den Ent­wick­lun­gen vor­her mit­ge­teilt zu haben. Und dann war Ende. Dann schwieg man sich da vor­ne an und auch mit mir wur­de kein ein­zi­ges Wort mehr gesprochen.

Na ja, ich schlie­ße nicht aus, dass ich in der Situa­ti­on, die ich als schwie­rig emp­fand, die eine oder ande­re Bemer­kung nach vorn gemacht haben könn­te. Und ja, auch poli­ti­sche Mei­nun­gen wur­den dabei even­tu­ell von mir geäu­ßert. Die unge­fragt von mir erfah­ren zu haben die Bekann­te sich näm­lich bei mei­ner Frau beson­ders beklagt hat. Na und? Was soll­te ich machen in mei­ner Not­la­ge, die erst in mei­ner Ver­ge­wal­ti­gung durch lang­wei­li­ge Fami­li­en­nach­rich­ten und dann in eisi­gem Schwei­gen mir gegen­über bestand? Was soll­te ich dem ent­ge­gen­set­zen, womit die zwei Geseg­ne­ten auf der Füh­rer­bank mir gegen­über zu prot­zen begon­nen hat­ten und bedroh­li­che fünf­hun­dert­sieb­zig Auto­bahn­ki­lo­me­ter lang wei­ter­prot­zen wür­den, wenn mir nichts ein­fiel? Der eine Sohn, den mei­ne Frau und ich zustan­de gebracht haben, kam gegen all das nicht an, zumal er mir über Frank­furt am Main noch kei­ne grund­stür­zend ver­än­dern­den Zustands­mel­dun­gen gemacht hat. Ich könn­te umge­kehrt behaup­ten, dass die mich und mei­ne Hei­mat­stadt zuge­tex­tet haben mit lau­ter vor­lau­ten und mit­tei­lungs­be­dürf­ti­gen Kin­dern und Enkel­kin­dern nebst dem dazu­ge­hö­ri­gen Eltern- und Groß­el­tern­stolz, der alles vom Nach­wuchs Erleb­te für mit­tei­lungs­be­dürf­tig hält.

Mein Han­dy klin­gelt. Es ist mein Sohn. Ich drücke ihn weg und höre ganz schnell auf, einen Text zu schrei­ben, mit dem ich andern­falls Gefahr lau­fe die eine geschätz­te Lese­rin oder den ande­ren bei­na­he eben­so geschätz­ten Leser am Ende noch zuzutexten.