Meine Frau meint, ich würde sie zutexten. Und nicht nur sie. Andere hätten das auch schon gesagt. »So? Wer denn?« will ich wissen, und zwar zu recht, weil meine Frau sonst Dinge behaupten kann, die mich schlecht aussehen lassen, aber nicht stimmen. Erst will sie keinen nennen, was für mich heißt: Sie weiß keinen, was wiederum bedeutet: Stimmt nicht.
An sich kann es auch nicht stimmen, wie meine Leser/innen bestätigen werden, die sich von mir informiert, angeregt, bereichert, vielleicht auch geistig herausgefordert, konfrontiert, hinterfragt und was weiß ich noch alles fühlen mögen, aber nicht zugetextet. Sonst hätten sie mir das ja geschrieben, in Kommentarfeeds unter meinen Onlinetexten oder mitgeteilt in Fragerunden, mit denen ich meine Lesungen als pflichtbewusster Autor beende. Nein, man kann mir manches nachsagen, aber zutexten würde ich weder meine Leser/innen noch andere wichtige Personen meines Umfelds. Da hat meine Frau mit ihrer Kanone einen Spatzen erschossen, der nie existierte.
Nach einigem Zögern nennt sie unseren Sohn. Der hätte das auch gesagt. Schock. Mein Sohn und ich, muss man wissen, wir verstehen uns prächtig. Führen lange Gespräche, die einen unvorhersagbaren Verlauf haben und immer spannende Ergebnisse liefern. Mir jedenfalls.
Beim nächsten Telefonat mit meinem Sohn achte ich streng darauf, nur Fragen zu stellen und auf keine der Antworten irgendetwas zu erwidern. Nach fünf Minuten – die habe ich mir vorgenommen und mit der Armbanduhr gestoppt – frage ich ihn direkt: »Übrigens, die Mama meint, du habest gesagt, ich würde dich zutexten. Stimmt das?« Mein Sohn schweigt. »Ich meine, hast du das wirklich gesagt? Du kannst ganz offen reden. Ich will nur wissen, ob es stimmt, und wenn ja, erfahre ich, wie ich auf andere wirke. Dich zum Beispiel.« Mein Sohn ist sich nicht sicher, ob er es gesagt hat, behauptet dann aber: »Na ja, du textest mich schon zu, Papa. Nicht immer, aber doch des Öfteren. Ich weiß manchmal gar nicht, wovon du redest, aber das ist schon okay. Ich hab da kein großes Problem mit.« Kurz schlucken muss ich, dann ist mir wichtig: »Du kannst es mir offen sagen, wenn es mal wieder passiert. Warum hast du es mir nicht gesagt?« »Na ja«, fängt er den nächsten floskelhaften Satz an – eine Unart, und sowas will mein Sohn sein –, »sowas sagt sich nicht so leicht. Schließlich könnte der andere sich kritisiert fühlen«. Wir beenden das Gespräch mit der Vereinbarung, dass er mir in Zukunft gleich rückmelden darf und wird, wenn ich ihn mal unfreiwillig zutexten sollte.
Meine Frau hat dann noch eine Bekannte genannt, die ich angeblich auch zugetextet habe. Auf einer Berlinfahrt war das, die ich mit der und ihrem Mann gemacht habe in deren klapprigem VW-Transporter, wo ich auf der hinteren Rückbank sitzen musste, weil der ganze Stauraum mit Sachen für deren Kinder und Enkel vollgestellt war, die mehrheitlich in Berlin leben. Ich erinnere mich noch gut, wie ich erst von jedem Enkelkind und, als das letzte durch war, von jedem Kind das Neueste erfahren durfte, was viel war. Anschließend erfuhr ich ungeahnte Dinge über meine Heimatstadt Berlin. Jedes Detail war von einem Enkelkind oder Kind persönlich erlebt worden und damit familienamtlich verbürgt, sodass die Eltern und Großeltern mich unmöglich nach Berlin gelangen lassen konnten, ohne mir all die grundlegenden Entwicklungen vorher mitgeteilt zu haben. Und dann war Ende. Dann schwieg man sich da vorne an und auch mit mir wurde kein einziges Wort mehr gesprochen.
Na ja, ich schließe nicht aus, dass ich in der Situation, die ich als schwierig empfand, die eine oder andere Bemerkung nach vorn gemacht haben könnte. Und ja, auch politische Meinungen wurden dabei eventuell von mir geäußert. Die ungefragt von mir erfahren zu haben die Bekannte sich nämlich bei meiner Frau besonders beklagt hat. Na und? Was sollte ich machen in meiner Notlage, die erst in meiner Vergewaltigung durch langweilige Familiennachrichten und dann in eisigem Schweigen mir gegenüber bestand? Was sollte ich dem entgegensetzen, womit die zwei Gesegneten auf der Führerbank mir gegenüber zu protzen begonnen hatten und bedrohliche fünfhundertsiebzig Autobahnkilometer lang weiterprotzen würden, wenn mir nichts einfiel? Der eine Sohn, den meine Frau und ich zustande gebracht haben, kam gegen all das nicht an, zumal er mir über Frankfurt am Main noch keine grundstürzend verändernden Zustandsmeldungen gemacht hat. Ich könnte umgekehrt behaupten, dass die mich und meine Heimatstadt zugetextet haben mit lauter vorlauten und mitteilungsbedürftigen Kindern und Enkelkindern nebst dem dazugehörigen Eltern- und Großelternstolz, der alles vom Nachwuchs Erlebte für mitteilungsbedürftig hält.
Mein Handy klingelt. Es ist mein Sohn. Ich drücke ihn weg und höre ganz schnell auf, einen Text zu schreiben, mit dem ich andernfalls Gefahr laufe die eine geschätzte Leserin oder den anderen beinahe ebenso geschätzten Leser am Ende noch zuzutexten.