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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Zivilgesellschaft und Parteiendemokratie

Gera­de hat die Anti-Atom-Bewe­gung die Atom­kraft aus­ge­knipst. Am 15. April gin­gen die letz­ten drei Atom­kraft­wer­ke – Isar 2, Neckar­west­heim und Ems­land – vom Netz. Den­noch geht hier das Licht nicht aus, auch nicht nach dem Ende des – letzt­end­lich über­flüs­si­gen – Streck­be­triebs, den die Ampel­ko­ali­ti­on auf Druck der FDP und unter Ver­weis auf mög­li­che Ener­gie-Eng­päs­se als Fol­ge des Ukrai­ne-Kriegs noch durch­ge­drückt hat­te. Statt­des­sen dre­hen sich zuneh­mend Wind­rä­der und sam­meln Kol­lek­to­ren das Son­nen­licht ein.

Vie­len Men­schen war zuvor ein Licht ange­gan­gen. Sie lie­ßen sich von staat­li­chen und wirt­schaft­li­chen Ver­spre­chun­gen nicht blen­den, sie wider­stan­den der Pro­pa­gan­da der Atom­in­du­strie und staat­li­cher Repres­si­on, sie wehr­ten sich auf der Stra­ße und auf der Schie­ne, in Gerichts­sä­len, zu Was­ser und in luf­ti­gen Höhen gegen das Rest­ri­si­ko, das ihnen bei einem schwe­ren ato­ma­ren Stör­fall den Rest gege­ben und wei­te Tei­le Euro­pas unbe­wohn­bar gemacht hät­te. Radio­ak­ti­ve Strah­lung kennt bekannt­lich kei­ne Grenzen.

Den Anfang der Erfolgs­ge­schich­te mar­kier­te der Kampf um das AKW Wyhl. Der Akti­vist Axel May­er kennt das histo­ri­sche Datum: »Am 18. Febru­ar 1975 wur­de im Wyh­ler Wald Geschich­te geschrie­ben. Es war der Tag des Bau­be­ginns für die geplan­ten AKW. Män­ner und Frau­en stell­ten sich mit ihren Kin­dern vor die Bau­ma­schi­nen und brach­ten die­se zum Still­stand, um ihre bedroh­te Hei­mat zu schüt­zen. Es folg­te die erste Räu­mung des Plat­zes durch die Poli­zei am 20. Febru­ar. Nach einer Groß­kund­ge­bung am Sonn­tag, den 23. Febru­ar 1975 kam es zur zwei­ten Besetzung.«

Trotz des gro­ßen Anfangs­er­folgs sah der Zukunfts­for­scher Robert Jungk in der Nut­zung der Atom­kraft vor allem zwei neue For­men der Gewalt. Er schrieb in sei­ner Dys­to­pie Der Atom­staat: »Mit der tech­ni­schen Nutz­bar­ma­chung der Kern­spal­tung wur­de der Sprung in eine ganz neue Dimen­si­on der Gewalt gewagt. Zuerst rich­tet sie sich nur gegen mili­tä­ri­sche Geg­ner. Heu­te gefähr­det sie die eige­nen Bür­ger. Denn ›Ato­me für den Frie­den‹ unter­schei­den sich prin­zi­pi­ell nicht von ›Ato­men für den Krieg‹. Die erklär­te Absicht, sie nur zu kon­struk­ti­ven Zwecken zu benut­zen, ändert nichts an dem lebens­feind­li­chen Cha­rak­ter der neu­en Energie.«

Jungk warn­te vor dem »har­ten Weg« bei der Nut­zung der Atom­kraft. Die Sym­bio­se aus Über­wa­chungs­staat und Pro­fit­in­ter­es­sen der Ener­gie­kon­zer­ne füh­re zu einem Ver­lust an Frei­heit und Mensch­lich­keit. Atom­an­la­gen, Atom­trans­por­te müss­ten zum Schutz vor Sabo­ta­ge und Anschlä­gen über­wacht wer­den. Die Bespit­ze­lung von Pri­vat­per­so­nen, die sich in zahl­lo­sen Bür­ger­initia­ti­ven orga­ni­sier­ten, und deren Stig­ma­ti­sie­rung als Chao­ten und Kri­mi­nel­le – ein bekann­tes Bei­spiel war die Aus­for­schung des Atom­ma­na­gers Klaus Trau­be, zustän­dig für die Ent­wick­lung des Schnel­len Brü­ters in Kal­kar, der die Sei­ten wech­sel­te und zum Kri­ti­ker der Schnel­len Brü­ter­tech­no­lo­gie wur­de – schie­nen Jungks The­sen zu bestätigen.

Mit der Aus­ein­an­der­set­zung um den Bau des AKW Brok­dorf (1976) und des Nuklea­ren Ent­sor­gungs­zen­trums (NEZ) Gor­le­ben (1977) sprang der wider­stän­di­ge Wyh­ler Initi­al­fun­ke auf Nord­deutsch­land über. Bereits zehn Jah­re nach der Benen­nung Gor­le­bens als Stand­ort für das NEZ wür­dig­te Robert Jungk in sei­nem Bei­trag für mein Buch Zwi­schen­schrit­te. Die Anti-Atom­kraft-Bewe­gung zwi­schen Gor­le­ben und Wackers­dorf die Erfol­ge des Gor­le­ben-Pro­tests: »Das, was in die­sen zehn Jah­ren geschah, war nicht nur Regio­nal-, son­dern Welt­ge­schich­te«, schwärm­te Jungk.

Was war gesche­hen? Unter dem Ein­druck der ersten Pro­test­wel­le, die im März 1979 in den berühm­ten Han­no­ver-Treck mün­de­te, ruder­te der nie­der­säch­si­sche Mini­ster­prä­si­dent Albrecht zurück und ver­kün­de­te, eine WAA sei tech­nisch zwar mach­bar, aber poli­tisch nicht durch­setz­bar. Jungk beschrieb das so: »Als Albrecht ein­ge­ste­hen muss­te, dass er eine Wie­der­auf­ar­bei­tungs­an­la­ge in Nie­der­sach­sen nur mit Gewalt durch­set­zen kön­ne und daher dar­auf ver­zich­ten wol­le, gab er vor­über­ge­hend einer Ein­ge­bung der Ver­nunft nach (…). Seit­her kommt nun vor allem das Erleb­nis von Tscher­no­byl hin­zu, um die Betrei­ber noch mehr zu ver­un­si­chern. Sie waren die Opfer ihrer eige­nen Pro­pa­gan­da gewor­den und hat­ten dar­an geglaubt, dass sich ein ernst­haf­ter Atom­un­fall nur alle paar Tau­send Jah­re ereig­nen könne.«

Ja rich­tig, die Erfolgs­ge­schich­te war nicht denk­bar ohne die Kata­stro­phen, Unglücks­fäl­le. Sie wäre auch nicht denk­bar gewe­sen ohne die Vor­ge­schich­te: die Pro­te­ste gegen die Remi­li­ta­ri­sie­rung nach dem zwei­ten Welt­krieg, die Bewe­gung »Kampf dem Atom­tod« und die Oster­marsch­be­we­gung, die Poli­tik­wis­sen­schaft­ler wie Phil­ipp Gas­sert von einer Bewegte(n) Gesell­schaft – so ein Buch­ti­tel – spre­chen ließen.

Doch die Anti-Atom-Bewe­gung konn­te nicht bruch­los an ein Kon­ti­nu­um einer beweg­ten Gesell­schaft anknüp­fen. So hat­te die Bewe­gung gegen den Atom­tod die »fried­li­che Nut­zung der Atom­kraft« glo­ri­fi­ziert. Die »Göt­tin­ger Erklä­rung« der 18 Atom­wis­sen­schaft­ler um Otto Hahn und Carl Fried­rich von Weiz­säcker aus dem Jahr 1957 hat­te eine weit­rei­chen­de Signal­wir­kung, die im fol­gen­den Jahr die gesam­te Bun­des­re­pu­blik erfass­te. DGB und SPD unter­stütz­ten deren Pro­gram­ma­tik, und infol­ge­des­sen muss­te sich die »neue« Bewe­gung gegen die Atom­kraft­nut­zung zunächst auf ihre eige­ne Kraft besinnen.

Wyhl, Brok­dorf, Kal­kar, Grohn­de, Wackers­dorf – Erfol­ge und Nie­der­la­gen der Anti-Atom-Bewe­gung wech­sel­ten ein­an­der ab. Zivi­ler Unge­hor­sam war ein Mar­ken­zei­chen des Anti-Atom-Pro­tests. Ent­schei­dend dabei war auch die Par­tei­en­un­ab­hän­gig­keit der Bewe­gung, sie hat des­halb maß­geb­lich zur Demo­kra­tie­ent­wick­lung bei­getra­gen. Grund­rech­te fal­len nicht vom Him­mel, sie sind schon immer der Obrig­keit abge­trotzt wor­den. Ein­mal erkämpf­te Frei­räu­me blei­ben umstrit­ten und erfor­dern streit­ba­re Men­schen. Die gab es in der Anti-Atom-Bewe­gung zuhauf.

Das Ver­samm­lungs- und Demon­stra­ti­ons­recht unter­lag einer bestän­di­gen Wand­lung. Das lag an einem ver­än­der­ten Pro­test­ver­hal­ten seit der »68-Gene­ra­ti­on«: Hap­pe­nings, Go-ins, Men­schen­ket­ten, Sitz­blocka­den und Schorn­stein­clim­bing waren Aus­druck einer neu­en Pro­test­kul­tur. Seit der Stu­den­ten­re­vol­te Ende der 60er Jah­re gab es nicht mehr allein »Auf­mär­sche« mit einem Laut­spre­cher­wa­gen und einem festen Ver­ant­wort­li­chen, auf den die Poli­zei Zugriff hat, son­dern viel häu­fi­ger ein »Gewu­sel«: Da such­ten eini­ge die Aus­ein­an­der­set­zung mit der Poli­zei, ande­ren musi­zier­ten oder mach­ten Stra­ßen­thea­ter oder ver­schö­ner­ten den Kund­ge­bungs­ort mit Straßenmalerei.

Die Gerich­te hink­ten der Dyna­mik jenes ver­än­der­ten Pro­test­ver­hal­tens hin­ter­her, aber sie beweg­ten sich doch. Ein Wen­de­punkt und Spie­gel der Demo­kra­tie­ent­wick­lung war der Spruch des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts (BVG) vom 14.5.1985, bekannt als »Brok­dorf-Ent­schei­dung«, der in exten­so zitiert gehört: »In einer Gesell­schaft, in wel­cher der direk­te Zugang zu den Medi­en und die Chan­ce, sich zu äußern, auf weni­ge beschränkt ist, ver­bleibt dem Ein­zel­nen neben sei­ner orga­ni­sier­ten Mit­wir­kung in Par­tei­en und Ver­bän­den im all­ge­mei­nen nur eine kol­lek­ti­ve Ein­fluss­nah­me durch Inan­spruch­nah­me der Ver­samm­lungs­frei­heit für Demon­stra­tio­nen. Nament­lich in Demo­kra­tien mit par­la­men­ta­ri­schem Reprä­sen­ta­tiv­sy­stem und gerin­gen ple­bis­zi­tä­ren Mit­wir­kungs­rech­ten hat die Ver­samm­lungs­frei­heit die Bedeu­tung eines grund­le­gen­den und unent­behr­li­chen Funk­ti­ons­ele­men­tes. Demon­stra­ti­ver Pro­test kann ins­be­son­de­re not­wen­dig wer­den, wenn Reprä­sen­ta­tiv­or­ga­ne mög­li­che Miss­stän­de und Fehl­ent­wick­lun­gen nicht oder nicht recht­zei­tig erken­nen oder aus Rück­sicht­nah­me auf ande­re Inter­es­sen hinnehmen.«

Der näch­ste Mei­len­stein war das soge­nann­te »Sitz­blocka­den-Urteil« des BVG vom 10.1.1995, des­sen Gehalt, kurz gefasst, so lau­tet: Wenn nur tem­po­rär und nicht dau­er­haft, wenn also als nur sym­bo­li­scher Akt eine Stra­ße oder Zufahrt blockiert wird und nur pas­si­ver Wider­stand gelei­stet wird gegen das Weg­tra­gen oder Abdrän­gen durch die Poli­zei, so wird die­se Pro­test­form nicht mehr per se als Nöti­gung – also als eine Straf­tat – geahn­det, sie wäre eine blo­ße Ord­nungs­wid­rig­keit. Aller­dings, aller­dings: Da gab und gibt es noch meh­re­re Haken in der Aus­le­gung, in der Pra­xis vor Gericht griff über­wie­gend doch der Nöti­gungs­pa­ra­graph 240 StGB.

2011 hob schließ­lich das BVG die Ver­ur­tei­lung eines Demon­stran­ten auf, der am 15. März 2004 zusam­men mit rund 40 Men­schen die zu dem Luft­waf­fen­stütz­punkt der US-ame­ri­ka­ni­schen Streit­kräf­te bei Frank­furt am Main füh­ren­de Ellis Road blockier­te. Und zwar aus Pro­test gegen die sich abzeich­nen­de mili­tä­ri­sche Inter­ven­ti­on der USA im Irak. Dar­auf­hin wur­de er vom Amts­ge­richt wegen Nöti­gung nach § 240 StGB zu einer Geld­stra­fe ver­ur­teilt. Bei die­ser Blocka­de­ak­ti­on han­de­le es sich zwar im Rechts­sinn um Gewalt­aus­übung, ent­schied das BVG, wies aber das Urteil des Frank­fur­ter Land­ge­richts den­noch zurück. Bei der straf­recht­li­chen Beur­tei­lung müs­se berück­sich­tigt wer­den, ob die ein­ge­setz­ten Mit­tel im Ver­hält­nis zum Ziel als ver­werf­lich anzu­se­hen sind. Das habe das Frank­fur­ter Land­ge­richt nicht aus­rei­chend geprüft.

Das Novum die­ser höchst­rich­ter­li­chen Ent­schei­dung: Erst durch die Erre­gung öffent­li­cher Auf­merk­sam­keit für poli­ti­sche Belan­ge wer­de eine Sitz­blocka­de zu einer schüt­zens­wer­ten Ver­samm­lung. Teil­neh­men­de an einer Sitz­blocka­de dür­fen des­halb nicht von vorn­her­ein wegen Nöti­gung ver­ur­teilt werden.

Von der Anti-Atom- und Frie­dens­be­we­gung wur­den hier Pflöcke ein­ge­schla­gen, die Aktio­nen gegen Castor­trans­por­te, AKW-Bau­vor­ha­ben und End­la­ger wir­ken bis in die heu­ti­ge Gene­ra­ti­on nach und haben der Kli­ma­be­we­gung Vor­bil­der gelie­fert. Gera­de ist der poli­ti­sche und juri­sti­sche Streit um Sitz­blocka­den wie jüngst bei den Ankle­be­ak­tio­nen der »Letz­ten Gene­ra­tio­nen« ent­brannt. Ganz gleich, wie man zu den Akti­ons­for­men die­ser Grup­pie­rung ste­hen mag, sie sind nicht neu, sie ste­hen in der Tra­di­ti­on der beweg­ten Nach­kriegs­ge­sell­schaft. Neu ist auch nicht, dass die Poli­zei­ge­set­ze der Län­der die höchst­rich­ter­li­chen Ent­schei­dun­gen bestän­dig kon­ter­ka­rie­ren – es ist und bleibt ein gesell­schaft­li­ches Span­nungs­feld, wenn die Zivil­ge­sell­schaft sich ein­mischt und stört.

Ganz beson­ders krass kommt das bay­ri­sche Poli­zei­auf­ga­ben­ge­setz daher, das im Arti­kel 17 einen »Prä­ven­tiv­ge­wahr­sam« erlaubt. Die­sen Para­gra­fen hat soeben der Bay­ri­sche Ver­fas­sungs­ge­richts­hof für rech­tens erklärt. Das bedeu­tet, dass »gewich­ti­ge Grün­de des Gemein­wohls« einen vor­beu­gen­den Gewahr­sam erlau­ben, als »letz­tes Mit­tel«. Gegen die »Letz­te Gene­ra­ti­on«. Absurd. Denn das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat­te in sei­nen weg­wei­sen­den Beschlüs­sen Ver­bo­te nur zur Gefah­ren­ab­wehr für »ele­men­ta­re Rechts­gü­ter« akzep­tiert und nur, »wenn Ver­samm­lungs­auf­la­gen und Poli­zei­auf­ge­bo­te kei­ne Abhil­fe schaf­fen«, betont Wolf­gang Janisch in einem Bei­trag für die Süd­deut­sche Zei­tung. Er über­schreibt sei­nen Arti­kel mit einem Impe­ra­tiv: »War­um die Gesell­schaft mas­si­ve Pro­te­ste aus­hal­ten muss.« Und Heri­bert Prantl betont in einer Kolum­ne – eben­falls für die Süd­deut­sche Zei­tung – unter dem Titel »Die neue APO«: »Wenn kli­ma­po­li­tisch enga­gier­te Men­schen das Risi­ko von Bestra­fung auf sich neh­men – dann lohnt es sich, die Zie­le zu beden­ken, um derent­wil­len sie das tun.«

Der Atom­kon­flikt steht da gewis­ser­ma­ßen Modell: 50 Jah­ren lang wur­den Atomgegner:innen beschimpft, ver­höhnt, mar­gi­na­li­siert und kri­mi­na­li­siert. Lausch­an­grif­fe, Haus­durch­su­chun­gen, Ver­fah­ren nach § 129a StGB – alles schon gehabt. »Drecki­ges Pack« beschimpf­te CDU-Innen­mi­ni­ster Man­fred Kan­ther einst die Aktivist:innen. Der glei­che Sau­ber-Mann wur­de bekannt­lich vor dem Land­ge­richt Wies­ba­den im Zusam­men­hang mit der Spen­den­af­fä­re der hes­si­schen CDU 2007 wegen Untreue letzt­in­stanz­lich zu einer Geld­stra­fe in Höhe von 300 Tages­sät­zen à 180 Euro rechts­kräf­tig verurteilt.

Die Anti-Atom-Bewe­gung als außer­par­la­men­ta­ri­sche Kraft hat Geschich­te geschrie­ben. Und sie hat die Wei­chen für die Ener­gie­wen­de gestellt. Ver­höhnt und kri­mi­na­li­siert wer­den heu­te die Klimaaktivist:innen, vor allem die der »Letz­ten Gene­ra­ti­on«. Wie blind gegen­über der Geschich­te ist die herr­schen­de Klasse?!

Drei Aus­nah­men vom Atom­aus­stieg in Deutsch­land blei­ben. Vor­erst wer­den die Brenn­ele­men­te­fa­brik in Lin­gen und die Uran­an­rei­che­rungs­an­la­ge in Gro­nau unbe­fri­stet wei­ter­lau­fen; das inter­na­tio­na­le Geschäft mit nuklea­ren Brenn­stof­fen bleibt nach wie vor pro­fi­ta­bel. Die drit­te ärger­li­che Aus­nah­me ist der Wei­ter­be­trieb des For­schungs­re­ak­tors in Gar­ching bei Mün­chen, bei dem hoch ange­rei­cher­tes, waf­fen­taug­li­ches Uran zum Ein­satz kommt.

Was bleibt ist die Unge­wiss­heit, ob für die drecki­gen Hin­ter­las­sen­schaf­ten die­ser Ära, ob für die Lage­rung des Atom­mülls best­mög­li­che Lösun­gen gefun­den wer­den. Das kur­ze Atom­zeit­al­ter wirkt nach. Das Zeug muss für eine Mil­li­on Jah­re von der Bio­sphä­re abge­schirmt wer­den. Unge­wiss bleibt auch, ob die Lek­tio­nen nach­hal­tig gelernt wur­den, ob mit Blick auf die Kli­ma­ka­ta­stro­phe auch welt­weit die Ein­sicht reift, dass die wei­te­re Nut­zung der Atom­kraft kei­ne Lösung ist. Unge­wiss bleibt eben­falls, ob und wie die Nach­rich­ten an eine fer­ne Zukunft, die War­nun­gen vor den Orten, an denen Atom­müll ver­bud­delt wird, an 30.000 Gene­ra­tio­nen wei­ter­ge­ge­ben wer­den können.

Drei Gene­ra­tio­nen haben sich gewehrt. Am Ende äußerst erfolg­reich. Ihr Slo­gan: »Atom­kraft – nein dan­ke!«. Ohne die par­tei­en­un­ab­hän­gi­ge Arbeit von Bür­ger­initia­ti­ven und Umwelt­ver­bän­den, ohne ehren­amt­li­ches Enga­ge­ment wäre der Kampf nicht gewon­nen worden.

Das wend­län­di­sche Wider­stands-X hat sich längst ver­selbst­stän­digt und ist an ande­re öko­lo­gi­sche Brenn­punk­te der Repu­blik wei­ter­ge­zo­gen. So prangt das gel­be X als Pro­test gegen den Braun­koh­le­ta­ge­bau im rhei­ni­schen Revier wie auch in der Lau­sitz an Häu­sern und Feld­we­gen. Mit­ge­zo­gen sind auch die For­men des Pro­tests, denn längst geht es nicht mehr allein um die Atom­kraft, son­dern um eine erneu­er­ba­re Ener­gie­po­li­tik ohne Koh­le und Atom. Es geht um grund­sätz­li­che Fra­gen und unse­re Ver­ant­wor­tung: Ohne Ener­gie­spa­ren, Ener­gie­ef­fi­zi­enz, ohne ein Umden­ken und ein ver­än­der­tes Han­deln wird es eine Zukunft nicht geben. Da schließt sich ein Kreis.

Wolf­gang Ehm­ke, lang­jäh­ri­ger Spre­cher der Bür­ger­initia­ti­ve Umwelt­schutz Lüchow-Dan­nen­berg, hat ein neu­es Buch vor­ge­legt: »Das Wun­der von Gor­le­ben. Der Bei­trag des Wend­lands zur Ener­gie­wen­de«. Es geht dar­in u. a. um die Zufäl­le, Glücks­fäl­le, Unglücks­fäl­le, die dem erfolg­rei­chen Wider­stand in die Hand spiel­ten. 156 S., 9,80 €, Köh­ring-Ver­lag Lüchow, erhält­lich im Buch­han­del oder unter www.bi-luechow-dannenberg.de.