ivil in Frankreich
In der Berliner Zeitung vom 15./16. Juni (S. 5, Politik) wird ein Brief zitiert, der sich mit Wehrmachtsuniformen in einem Familienalbum beschäftigt. Der Brief hat mich wegen seiner Parallelen zu meiner Familiengeschichte berührt.
1870/71 musste mein Großvater väterlicherseits, ein Zimmermann und Vater von neun Kindern, am Krieg gegen den »Erbfeind« Frankreich teilnehmen, den er verwundet überlebte. In seinem abgegriffenen Büchlein fand ich bleistiftgeschriebene Regeln über das Verhalten untergeordneter Dienstränge beim Erscheinen von Vorgesetzten.
Mein Vater wurde als 19-Jähriger in Dallgow-Döberitz für den Einsatz gegen Frankreich gedrillt, den er mit seiner Kompagnie vor Verdun zu absolvieren hatte. Er war der einzige aus seiner Truppe, der die Nahkämpfe wegen eines Streifschusses an der Schläfe und des anschließenden Lazaretts lebend überstand. Sein älterer Bruder war als Schiffsbäcker und -koch eingezogen worden und versank mit seinem Schiff mitsamt seinen Küchenreserven.
Mein Großvater mütterlicherseits, ein Textilarbeiter und passionierter Landschafts- und Blumenmaler, kam zwar lebend aus dem Ersten Weltkrieg zurück, jedoch begleitet von einer unheilbaren Malaria, die ihm den verspäteten »Heldentod« an der »Heimatfront« einbrachte.
Mein Vater hatte überdies die Ehre, im Zweiten Weltkrieg noch zweimal gegen den »Erbfeind« über den deutschen Rhein auszurücken, und zwar 1939/40 und 1944/45. Er überstand auch diese Torturen, so dass er den Kampf ums Überleben seiner Familie nach Kriegsende unter den üblichen Mangelbedingungen fortsetzen konnte.
Mein Onkel Walter, jüngerer Bruder meiner Mutter, musste unmittelbar nach Kriegsbeginn als stolzer Kavallerist in den Kampf um den sicheren Endsieg eingreifen und starb an einem Bauchschuss.
Ich hatte 1993 als 58-Jähriger erstmals die Gelegenheit, das westliche Nachbarland kennenzulernen – als erster aus der männlichen Familie in ziviler Kleidung! Diese Chance wiederholte sich, als wir – meine Frau und ich – als Mitglieder der Kurt-Tucholsky-Gesellschaft 2003 eine Tagung in den französischen Pyrenäen und 2008 das 20-jährige Jubiläum des Vereins in Tucholskys mehrjähriger Wirkungsstätte in Paris mit vorbereiteten.
Möge es mir und uns allen vergönnt sein, alle weiteren Reisen an die Seine und in andere französische Landschaften als zivile Gäste eines befreundeten Landes zu genießen!