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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Zeichen der Zeit

Ein lin­kes Dilem­ma: auf Krieg reagie­ren und dabei Hal­tung und Prin­zi­pi­en wah­ren. Beim Ukrai­ne­krieg scheint das leicht, im Gaza-Strei­fen und im Süd­li­ba­non eher nicht. Hüben steht der Aggres­sor fest, drü­ben eigent­lich auch, wenn nur nicht die vie­len Opfer israe­li­scher Angrif­fe wären. Lei­chen­zäh­ler mögen die Fra­ge stel­len, ob als Reak­ti­on auf die bar­ba­ri­sche Hamas-Attacke vor gut einem Jahr die Zer­stö­rung so vie­ler Städ­te, der Tod so vie­ler Men­schen noch ange­mes­sen sein kann. Wenn man von »ange­mes­sen« über­haupt spre­chen darf, ohne als Zyni­ker dazustehen.

Uns allen geht die jun­ge Frau nicht aus dem Kopf, die mit blut­ver­schmier­ter Klei­dung auf einen Pick­up gewor­fen wird, gleich nach dem Hamas-Angriff am 7. Okto­ber 2023. Geschla­gen und ver­ge­wal­tigt, wird sie schließ­lich getö­tet und kommt als Leich­nam heim zu ihren Eltern. Und Hun­dert­tau­sen­de rus­si­scher Sol­da­ten an der Gren­ze zum Don­bass gehen uns auch nicht aus dem Kopf, und auch nicht das bren­nen­de Gewerk­schafts­haus in Odes­sa, im Mai 2014.

Das stellt Fra­gen an alle Lin­ken im Lan­de. Wie steht Ihr dazu? Wie wägt Ihr ab zwi­schen der Ver­pflich­tung zum Frie­den und der Stär­kung der Ukrai­ne, durch­aus mit Waf­fen und Geld? Und wollt Ihr die Natio­na­li­sten dort noch mit Pan­zern und Geweh­ren füt­tern, die das Land schon vor Putins schreck­li­chem Angriff aus­ein­an­der­ge­ris­sen haben?

Oder: Steht Ihr immer noch unver­brüch­lich zu Isra­el? Und warnt laut vor anti­se­mi­ti­schem Geschrei, das hier immer lau­ter ertönt? Und weint zugleich – das muss man – um die Kin­der und Frau­en in Gaza, die alles ver­lo­ren haben?

Das sind schwer ertrag­ba­re Sät­ze; die Lin­ke in Deutsch­land muss sie zulas­sen. Sie muss sich fra­gen las­sen, ob nicht ihre Posi­tio­nen über­kom­men und ver­al­tet sind. Sie muss sich fra­gen, wie sie zu Frei­heit und Demo­kra­tie steht, wie zu den Sor­gen, die nicht allein ein Land betref­fen. Krieg und Zer­stö­rung, auch die von Umwelt und Kli­ma, tref­fen den gan­zen Erd­ball, die Armen im Süden wie immer dop­pelt hart. Nicht zuletzt des­halb enden die Flücht­lings­strö­me nicht: Kein Mensch bleibt daheim, wenn er kein Was­ser mehr hat, kein Getrei­de und kein siche­res Leben.

Nur hilft es nicht, dann vom Ver­sa­gen der lin­ken Bewe­gung zu spre­chen. Auch nicht beim Ukrai­ne-Krieg: Das Land soll – auch – west­li­cher Vor­po­sten gegen Russ­land sein. Auch nicht im Nahen Osten: Isra­el soll – auch – den ara­bi­schen Nach­barn trot­zen, als Boll­werk im Kampf um Roh­stof­fe. Bei­des ver­ant­wor­tet nicht die bun­des­deut­sche Linke.

Aber, bit­te, kei­ne Schlag­wor­te und kei­ne ein­fa­chen Lösun­gen. Die Lin­ke im Land steht vor Umbrü­chen und Fra­gen. Und hat bis dato nicht immer gute Ant­wor­ten dar­auf gefun­den. Es ist ein Gemein­platz, zu sagen, dass kapi­ta­li­sti­sches Wirt­schaf­ten Kon­flik­te um Ein­fluss, Märk­te und Roh­stof­fe braucht »wie die Luft zum Atmen«. Es ist eine Phra­se, zu sagen, dass Krie­ge um Öl und Absatz­ge­bie­te geführt wer­den. Und es ist bloß eine For­mel, dass demo­kra­ti­sche Gesell­schaf­ten mit ihrem Grund­satz von Dia­log und Aus­gleich die besten Lösun­gen bieten.

Wie wir sehen, ist das nicht immer der Fall. Poli­tik­wis­sen­schaft, wo immer sie sich ein System vor­nimmt, kommt nicht um die Geschich­te, kommt nicht um die Fra­ge nach Kräf­te­ver­hält­nis­sen, Macht und Ein­fluss her­um. Seit ihrem Auf­kom­men ist die reprä­sen­ta­ti­ve Demo­kra­tie auch eine Herr­schafts­form, gebun­den an eine klar umris­se­ne sozia­le und öko­no­misch defi­nier­te Grup­pie­rung. Sie hat das Manu­fak­tur­we­sen, den Mer­kan­ti­lis­mus, das klein­tei­li­ge Wirt­schaf­ten, sie hat die Abschöp­fung allein durch den Adel abge­löst und auf brei­te­re Schul­tern gesetzt: auf die der Bour­geoi­sie, defi­niert als besit­zen­de Klas­se. Fabri­ken und Land, Han­dels­we­ge und Ver­triebs­mög­lich­kei­ten wur­den grö­ßer, damit auch der Kreis von Men­schen, die dar­an betei­ligt waren – und mit­be­stim­men woll­ten, was aus ihrem Geld, ihren Pro­duk­ten wer­den sollte.

Demo­kra­tie ist kei­ne abstrak­te, für immer gül­ti­ge Staats­form. Wo sie Frei­heit garan­tiert, tut sie es auch, weil zur Frei­heit auch frei­es Wirt­schaf­ten gehört. Ein ande­res Bei­spiel: Die Ost­ver­trä­ge Wil­ly Brandts waren auch öko­no­misch fun­diert und brach­ten die Nach­kriegs­zeit an ein Ende. Öl und Gas konn­ten gekauft, Stahl­röh­ren ver­kauft wer­den. Und die neu­er­li­che Zulas­sung einer kom­mu­ni­sti­schen Par­tei in der Bun­des­re­pu­blik war mit den Berufs­ver­bo­ten erkauft: Ange­le­gen­hei­ten von Kräf­te­ver­hält­nis­sen, der Aus­gleich, den die demo­kra­ti­sche Gesell­schaft suchen muss­te, um den Zusam­men­halt nicht zu verlieren.

Die lin­ke Bewe­gung in Deutsch­land hat dar­an ihren Anteil. Sie hat das Land frei­er gemacht, offe­ner und moder­ner. Sie hat den Frie­dens­ge­dan­ken in die Gesell­schaft getra­gen, sie hat Kli­ma und Umwelt eine Stel­lung ein­ge­räumt, die zuvor nur ver­spreng­te »Öko-Spin­ner« ver­tra­ten. Sie hat damit unser Land bes­ser gemacht. Dass sie den Krieg in der Ukrai­ne, den Krieg im Nahen Osten nicht been­den kann, darf man ihr nicht zum Vor­wurf machen. Eben­so nicht die – berech­tig­ten – Schreckens­ge­mäl­de aus der sozia­li­sti­schen Vor­höl­le, wie sie aktu­ell erneut gemalt wer­den (auch in man­chem Ossietzky-Bei­trag).