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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Woyzeck aus dem Knast

Dem Gefäng­nis­thea­ter auf­Bruch ist eine unge­heu­er fri­sche »Woyzeck«-Fassung gelun­gen. Es spielt an einem Ort, dem der Dich­ter, Revo­lu­tio­när und Autor des fast 200 Jah­re alten Stückes, Georg Büch­ner, unbe­dingt zuge­stimmt hät­te, dem Knast. In die­sem Fall der Jugend­straf­an­stalt Ber­lin. Da, wo noch heu­te all die­je­ni­gen lan­den, die ihre Ver­zweif­lung, ihre Deklas­siert­heit und Aus­ge­schlos­sen­heit in einem System, in dem der Klas­sen­kampf von oben tobt, obgleich es offi­zi­ell als Demo­kra­tie gilt, nicht mehr aus­hal­ten, nicht mehr brem­sen kön­nen und schließ­lich gewalt­tä­tig in die Ver­ti­ka­le explodieren.

Büch­ners Sozi­al­dra­ma ent­hält vie­le Par­al­le­len zu ihrem eige­nen Leben – sicher der Grund, war­um der Regis­seur Peter Ata­nas­sow es aus­ge­wählt hat. Im Stück geht es um Gewalt­er­fah­rung als Kind, Ernied­ri­gung, Woy­zeck wird zur Tötungs­ma­schi­ne auf Befehl. Dann: Ver­fol­gungs­wahn, Degra­die­rung zum Ver­suchs­ob­jekt, zum Die­ner, zum Idio­ten, zum Tier, schließ­lich der Ver­such, ein klei­nes Glück zu hal­ten, Eifer­sucht, Mord an dem ein­zi­gen Men­schen, der je zu Woy­zeck gehör­te, der Frau, die er lieb­te. Das ist die Sto­ry, zu der Büch­ner durch einen rea­len Fall inspi­riert wur­de, den man damals, statt die Bedin­gun­gen anzu­kla­gen, mit ererb­ter Kon­sti­tu­ti­on recht­fer­tig­te und aburteilte.

Die Aus­wir­kun­gen der Klas­sen­ge­set­ze, schrei­end unglei­cher Aus­gangs­be­din­gun­gen, auf das Ver­hal­ten des Ein­zel­nen, spie­len auch heu­te noch eine Rol­le, zuneh­mend fin­den Erklä­rungs­mo­del­le zurück zum Kon­strukt der »ererb­ten Kon­sti­tu­ti­on« in Zei­ten wach­sen­der Käl­te und Aus­beu­tung. Man bemüht statt der Bio­lo­gie nun die Psy­cho­lo­gie, die Neu­ro­phy­sio­lo­gie. Die For­schungs­er­geb­nis­se sind auch heu­te noch und wie­der frag­wür­dig, weil der Mensch viel­fäl­tig ist und sich nicht mit­tels eines Para­me­ters erklä­ren lässt. Tat­sa­che sei, dass sich Ver­zweif­lung immer noch in ver­ti­ka­ler Gewalt gegen Men­schen der­sel­ben Schicht aus­wirkt, so Ata­nas­sow im Pressegespräch.

In der Rea­li­tät zeigt aller­dings sel­ten einer der Betrof­fe­nen sei­ne Gefüh­le so nackt und bloß, sei­ne Ver­zweif­lung so offen, wie es in der Per­son Woy­zeck durch den jun­gen Büch­ner (er starb mit 23 Jah­ren) künst­le­risch gestal­tet wird. Das aber zei­gen unge­schminkt nun die Spie­ler des Gefäng­nis­thea­ters auf­Bruch. Sie drin­gen zu den Gefüh­len der ent­rech­te­ten Haupt­per­son vor, sie spie­len so, wie Büch­ner es gewollt hät­te: scho­nungs­los und ohne Fas­sa­de. Sehr gute Umsetzung!

Das Thea­ter­kon­zept besteht dar­in, Men­schen von ganz unten eine Chan­ce zu geben, ihre künst­le­ri­sche Aus­drucks­fä­hig­keit zu ent­wickeln, die aus einer real erfah­re­nen sozia­len Ausgrenzung
entsteht.

https://www.gefaengnistheater.de/