Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Wortaberglaube

Das Wort von den Inve­sti­tio­nen, und soll es gestei­gert und bedeu­tungs­vol­ler wer­den, von den Zukunfts­in­ve­sti­tio­nen, und noch ein­mal stär­ker, von »Inve­sti­tio­nen zu Ret­tung des Pla­ne­ten« hat bei zahl­lo­sen Lin­ken und Sozi­al­de­mo­kra­ten einen Hei­li­gen­schein ver­passt bekom­men. Gemäl­de kann man so malen, um sich zu ergöt­zen und sich gegen­sei­tig des rech­ten Glau­bens zu vergewissern.

Aber, um ein wenig Was­ser in die alten Wein­schläu­che zu gie­ßen, das Wort macht noch kei­ne wirk­li­che Welt aus, so wenig wie seit Kant den gedach­ten 100 Talern rea­le Taler ent­spra­chen. (Marx hät­te Hegel eigent­lich nicht mehr vom Kopf auf die Füße stel­len müssen.)

Aber Schritt für Schritt, vom Leicht­ver­dau­li­chen zur Kom­ple­xi­tät. Wer ein Wohn­haus baut, wird im Regel­fall eine lang­jäh­ri­ge Finan­zie­rung dafür mit sei­ner Bank aus­han­deln. Ent­wickelt sich das Ein­kom­men unse­res Haus­bau­ers nor­mal, wird die Ange­le­gen­heit also nach vie­len Jah­ren erle­digt sein. Nun sind aus dem All­tag aber genü­gend Fäl­le bekannt, dass Arbeit­neh­mer ihren Wohn­ort aus beruf­li­chen Grün­den wech­seln müs­sen. Die mög­li­che Nut­zungs­dau­er des Hau­ses war der Finan­zie­rungs­dau­er ange­passt. Beim Wohn­ort­wech­sel kom­men hier jetzt aber Pro­ble­me ins Haus, weil der Kre­dit­neh­mer die Nut­zung nicht mehr abru­fen kann, son­dern das Haus ver­kau­fen muss.

Schön wäre es, wenn es gelän­ge, einen Ver­kaufs­preis zu erzie­len, der über den Rest­schul­den liegt. Eine Gewähr dafür gibt es nicht. Mit dem Wohn­ort­wech­sel endet für den Kre­dit­neh­mer der Nut­zungs­strom, aber nicht die Not­wen­dig­keit, den Kre­dit zu bedie­nen. Hier kann sich eine Lücke auf­tun, die beson­ders Men­schen in struk­tur­schwa­chen Räu­men erle­ben, die für ihre auf­zu­ge­ben­den Häu­ser kei­ne Käu­fer finden.

Man kann hier leicht sehen, dass die Auf­nah­me von Schul­den kei­nes­wegs der Weg zum indi­vi­du­el­len Erfolg ist. Bedau­er­li­cher­wei­se hat sich im Zeit­geist aber die Mei­nung fest­ge­setzt, es wäre doch etwas grund­sätz­lich ande­res, allei­ne oder als Gesell­schaft, als Gemein­schaft der Steu­er­zah­ler, für die Rück­zah­lung zu haf­ten. In der SPD wur­de jüngst ange­sichts der Schul­den­brem­se des Grund­ge­set­zes gera­de­zu von einer »Zuver­sichts­brem­se« gespro­chen. Hier ver­ir­ren die so Spre­chen­den sich leicht in der Mystik und dem Rausch der Worte.

Ich wer­de ver­su­chen, es am gegen­wär­ti­gen kon­kre­ten Fall der Fir­ma Thys­sen in Duis­burg dar­zu­stel­len. Thys­sen hat Pro­ble­me im Stahl­be­reich und schreibt dort Ver­lu­ste. Gleich­zei­tig soll ein zukunfts­wei­sen­des Pro­jekt auf die Schie­ne gesetzt wer­den, Erzeu­gung von Stahl über die Ver­wen­dung von Was­ser­stoff. Die Umstel­lungs­ko­sten lau­fen nach den ersten Pla­nun­gen bereits aus dem Ruder, so dass die vom Staat zuge­sag­ten 2,0 Mrd. Bei­hil­fen für die Trans­for­ma­ti­on nicht aus­rei­chen wer­den. Thys­sen müss­te also das Geld für die Voll­endung nur eines Hoch­ofens selbst ver­die­nen. Tafel­sil­ber kann man nicht mehr ver­kau­fen, die Auf­zugs­spar­te wur­de schon vor Jah­ren ver­scher­belt und zur Ver­lust­ab­deckung ver­brannt. End­los vie­le Akteu­re tum­meln sich jetzt in Duis­burg und wol­len mit­re­den oder geben Auf­sichts­rats­po­sten auf, schrei­ben Brie­fe und mobi­li­sie­ren die Stahlkocher.

Ein ver­lust­brin­gen­des Stahl­werk zu ver­kau­fen, gelingt fak­tisch nicht, denn es wird kein »Gewinn« damit gemacht wer­den kön­nen, viel­mehr wird ein Erwer­ber die von ihm geplan­ten nega­ti­ven Kauf­prei­se fein nach oben rech­nen, nicht zuletzt, wenn sich Betriebs­ren­ten­ver­pflich­tun­gen damit ver­bin­den. Der Erwer­ber wird auch nicht zwin­gen­der­wei­se wis­sen, wie sich die Stahl­märk­te in Zukunft ent­wickeln wer­den, und das heißt, wie viel Stahl wel­cher Güte abge­setzt wer­den könn­te. Als Puf­fer für sol­che Unge­wiss­hei­ten die­nen die in Bilan­zen aus­ge­wie­se­nen Eigen­ka­pi­tal­be­stand­tei­le, die somit zu sol­chen Zeit­punk­ten kein Ver­mö­gen darstellen.

Die gegen­wär­ti­gen Eigen­tü­mer wer­den eben­falls nichts über die Stahl­märk­te der Zukunft wis­sen. 1990 bau­ten Chi­ne­sen in Dort­mund ein Stahl­werk bis zur letz­ten Schrau­be ab und in Chi­na wie­der auf. Das haben sie jetzt nicht mehr nötig, sie beherr­schen nun das Hand­werk, stecken unend­lich viel Geld in Bil­dung sowie For­schung und Ent­wick­lung und wer­den über kurz oder lang die Musik spie­len, nach der wir tan­zen müs­sen. Bei poli­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen über die Zukunft eines Unter­neh­mens wird schnell nach Gut­ach­tern geru­fen, die State­ments zu den jewei­li­gen Zukunfts­vor­stel­lun­gen der Akteurs­grup­pen: Manage­ment, Gewerk­schaf­ten, beson­ders in mon­tan­mit­be­stimm­ten Unter­neh­men, abge­ben sol­len. Man kauft sich auf die­sem Wege frem­des Wis­sen ein und erhofft sich mehr Licht für den Nebel der Zukunft. Eine rich­ti­ge Hil­fe ist das aber auch nicht. Unwis­sen­heit und unsi­che­re Zukunft las­sen sich in einem Meer von Foli­en und Gra­fi­ken leicht über­blen­den. Was bunt und mit klin­gen­dem Namen daher­kommt, muss doch etwas von Gewicht sein, sagen die Emo­tio­nen, die damit bedient werden.

Da die Bun­des­re­pu­blik gegen­wär­tig dabei ist, durch ihre Gefolg­schaft in der Nato die »Musik« der USA gegen Chi­na zu unter­stüt­zen, wird es auf den dor­ti­gen Märk­ten für deut­sche Expor­teu­re enger werden.

Es ist also offen, ob der Staat die 2 Mrd. € je wie­der­se­hen wird aus den Ver­käu­fen des auf neu­em tech­ni­schem Weg her­ge­stell­ten Stah­les, aber die Schul­den der Bei­hil­fe wer­den blei­ben, die ver­flüch­ti­gen sich nicht so schnell wie die hoch­tra­ben­den Hoff­nun­gen auf Gewin­ne und Welt­markt­füh­rer­schaft eines Stahl­wer­kes in Duis­burg. Ein Neben­satz dazu: Russ­land muss­te im Jahr 2000 noch alte Eisen­bahn­an­lei­hen des Zaren­re­gimes bedie­nen, um an den inter­na­tio­na­len Kapi­tal­märk­ten agie­ren zu kön­nen. (Das Kapi­tal ist nicht nur ein scheu­es Reh, es hat ein bes­se­res Gedächt­nis als Elefanten.)

Ich hof­fe, es könn­te deut­lich gewor­den sein, dass mit dem Begriff der Inve­sti­ti­on kei­ne Gewiss­heit über des­sen zukünf­ti­gen Nut­zen gestif­tet wer­den kann. Sicher ist ledig­lich, dass in der Gegen­wart Res­sour­cen umge­lei­tet wer­den und dass die Schul­den, also die Bela­stun­gen für die Steu­er­zah­ler, in die Zukunft ver­scho­ben wer­den. Sicher sind nur die Schul­den. Die Funk­ti­on schul­den­fi­nan­zier­ter Inve­sti­tio­nen besteht mit­hin ledig­lich dar­in, den poli­ti­schen Streit dar­über, wel­che Wün­sche heu­te und in naher Zukunft befrie­digt wer­den kön­nen, zu ver­ta­gen und in die Zukunft zu ver­la­gern. Wir wis­sen aus allen Tex­ten der Steu­er­leh­re, dass Steu­ern Ver­tei­lungs­wir­kun­gen haben, zum Teil bekann­te, zum Teil sehr offe­ne. Mit sol­chen Aspek­ten hat­ten sich schon vor einer Gene­ra­ti­on die Unter­su­chun­gen zur Steu­er­in­zi­denz befasst. Wirt­schaft­li­che Akteu­re haben unter­schied­li­che Fähig­kei­ten, ihre Steu­er­be­la­stung an ande­re Akteu­re wei­ter­zu­rei­chen. Wer als erster mit einer Steu­er bela­stet wer­den soll, ist nicht zwin­gend der­je­ni­ge, der die Bela­stung letzt­lich zu tra­gen hat. Wir wis­sen zudem, dass voll aus­ge­la­ste­te Pro­duk­ti­ons­ka­pa­zi­tä­ten durch eine wach­sen­de Nach­fra­ge nicht ein­fach erhöht wer­den kön­nen, so dass im ersten Schritt ledig­lich Prei­se stei­gen und einen Bei­trag zur Infla­ti­on lei­sten werden.

Man kann durch heu­ti­ge Schul­den­auf­nah­me zudem nicht wis­sen, mit wel­chen wirt­schaft­li­chen Rah­men­be­din­gun­gen man es in Zukunft zu tun haben wird, wenn die Schul­den ver­zinst und getilgt wer­den sol­len. Eine Bun­des­re­gie­rung oder die jewei­li­gen Regie­run­gen ande­rer euro­päi­scher Län­der haben kei­ne Macht über die Höhe der zukünf­ti­gen Zin­sen. Das liegt nicht nur an der Unab­hän­gig­keit der Euro­päi­schen Noten­bank, denn die­se agiert wie­der in einem inter­na­tio­na­len Feld.

Ich erlau­be mir an die Wie­der­ver­ei­ni­gung Deutsch­lands zu erin­nern. Oskar Lafon­taine hat­te Kosten von 50 Mrd. DM genannt und wur­de dafür poli­tisch abge­straft. Die Kohl-Regie­rung hat­te die Kosten ver­schlei­ert und schließ­lich 1,0 Bil­lio­nen DM aus­ge­ben müs­sen, die als Sockel immer noch durch die Bun­des­haus­hal­te gei­stern. Dage­gen hel­fen dann nur die bezahl­ten Schön­red­ner oder die Aus­sa­gen, man müs­se doch nach vor­ne den­ken. Schließ­lich wer­den orwell­sche Sprach­mu­ster benutzt, um aus tat­säch­lich Schul­den oder Ermäch­ti­gun­gen dazu »Son­der­ver­mö­gen« zu generieren.

Ein Staat, der glaubt, sei­ne gegen­wär­ti­gen Bedürf­nis­se und Ideen durch Schul­den der näch­sten Gene­ra­ti­on mit aufs Auge drücken zu kön­nen, han­delt unge­recht, und er ver­ge­wal­tigt die Frei­heits­spiel­räu­me eben die­ser Men­schen, und das alles, bevor noch sicher ist, ob der Bei­trag Deutsch­lands zur Trans­for­ma­ti­on der Öko­no­mie, also zur »Ret­tung des Pla­ne­ten« je eine hin­rei­chen­de Bedeu­tung haben wird. Durch Krie­ge wer­den end­los vie­le Auf­bau­lei­stun­gen frü­he­rer Gene­ra­tio­nen zer­stört, und flugs ent­ste­hen neue Schul­den, weil man es kaum ver­ant­wor­ten kann, Men­schen wie­der in Zel­te zurück­zu­schicken, um dort im Win­ter zu erfrieren.

Und der näch­ste Krieg im Pazi­fik kommt bestimmt.