Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Wort-Geschichten: Buchstabe

Wie vie­le Buch­sta­ben braucht eine Spra­che? Ganz ver­schie­den, im Deut­schen sind es mit ß und Umlau­ten zusam­men genau 30. Eng­lisch liegt im Stan­dard­be­reich bei 26 let­ters, Ita­lie­nisch kommt spar­sam mit 21 let­te­re dell’ alfa­be­to aus, weil JKWXY nicht gebraucht wer­den. Die kyril­li­schen Alpha­be­te mit ihren Zisch­lau­ten brau­chen ca. 33 buk­wi, histo­risch fußen sie auf den 24 gram­ma­ta der Griechen.

Die genia­len Erfin­der unse­rer Grund­buch­sta­ben aber spra­chen semi­tisch. Es waren phö­ni­zi­sche Han­dels­völ­ker des Mit­tel­meers, die eine Laut­schrift nur aus Kon­so­nan­ten schu­fen und dafür 22 Zei­chen aus der ägyp­ti­schen Prie­ster­schrift, einer Bil­der­schrift, bezo­gen. Voka­le waren nicht wich­tig, weil die Wort­be­deu­tung im Semi­ti­schen am Kon­so­nan­ten­stamm haftet.

Eini­ge der alten Sym­bol-Bil­der kön­nen wir im spä­te­ren Schrift­zei­chen noch gut erah­nen. Zum Bei­spiel der Buch­sta­be A, vom semi­ti­schen ’aleph (Och­se): Er ist leicht als Sinn­bild eines Stier­kop­fes zu erken­nen. Noch leich­ter erken­nen wir es beim O, semi­tisch ‘ajin (Auge). Grie­chi­sche Stäm­me, die in Nach­bar­schaft zu den Phö­ni­zi­ern leb­ten, benö­tig­ten aber außer Zei­chen für Mit­lau­te auch meh­re­re Vokal­buch­sta­ben zwecks Ein­deu­tig­keit; da sie den Knack­laut ’aleph nicht kann­ten, nah­men sie dies Zei­chen zum Bei­spiel für ihr A = Alpha.

Seit der Ent­ste­hung der Buch­sta­ben und dem Wer­den der chi­ne­si­schen Schrift sind 3500 Jah­re ver­gan­gen. Wie kurz der Zeit­raum ist, den wir Men­schen durch schrift­li­che Zeug­nis­se über­schau­en, könn­te man sich an einem Berg von 1000 m Höhe klar­ma­chen. Nur die ober­sten acht bis zehn Meter wer­den durch geschrie­be­ne Über­lie­fe­rung beleuch­tet, alles dar­un­ter ist dunk­les Ter­rain, das ledig­lich spe­ku­la­tiv und rück­rech­nend erschlos­sen wer­den kann. Lan­ge vor der Schrift gab es die gespro­che­ne Spra­che. Aber irgend­wann dräng­te es unse­re Vor­fah­ren, kur­ze Mit­tei­lun­gen zu fer­ti­gen und über die Ern­ten Pro­to­koll zu füh­ren. Das war der Anfang des Schreibens.

Um der Ety­mo­lo­gie unse­res Wört­chens näher zu kom­men, soll­ten wir auf die alten Schrift­zei­chen im Sprach­raum Ger­ma­nia schau­en, auf das Buch­sta­ben-System von unge­klär­ter Her­kunft: die Runen. Nach sei­nen ersten sechs Buch­sta­ben nennt man dies Alpha­bet F-u-th-a-r-k, ana­log zum Abece. Ob außer Prie­stern und eini­gen Schrift­kun­di­gen vie­le Ger­ma­nen lesen konn­ten, ist unge­wiss. Nach Auf­fas­sung der alten Runen­mei­ster dien­ten die Sta­ben vor allem der Ver­stän­di­gung mit dem Über­na­tür­li­chen. Die Sym­bo­le fußen gro­ßen­teils auf den grie­chi­schen Mustern und wur­den auf einem bis­her nicht erforsch­ten Weg aus dem Süden impor­tiert. Berühmt wur­de die Inschrift auf dem Gold­horn von Gal­le­hus in Schles­wig, wo sich ein gewis­ser Leu­gast mit der Nach­richt ver­ewig­te: Ek (d. h. ich) hor­nu tawi­do, habe das Horn gemacht.

War­um Buch-Sta­ben? Der kräf­ti­ge senk­rech­te Strich der ein­ge­ritz­ten Runen im Holz oder Stein hieß Stab, alt­nord. stafr oder runa­stafr. Die zum Schrei­ben im Buch ver­wen­de­ten latei­ni­schen Zei­chen hie­ßen Buch-Sta­ben, im Unter­schied näm­lich zu den Run-Staben.

The let­ter kills … To gram­ma apokti­nei … Der Buch­sta­be tötet – aber der Geist macht leben­dig, so schrieb Pau­lus an die Gemein­de der Korin­ther. Dar­aus ent­stand spä­ter die Wen­dung vom (toten) Buch­sta­ben des Geset­zes und der abfäl­li­ge Begriff der Buch­sta­ben­gläu­big­keit. Damit ist ja eine Form von Eng­stir­nig­keit gemeint, die bei gewis­sen Anhän­gern einer Buch­re­li­gi­on – oder auch einer kodi­fi­zier­ten Ideo­lo­gie – auf­tritt. Sie kön­nen als rabia­te Eife­rer oder als stil­le Schrift­ge­lehr­te gel­ten. Zum Bei­spiel sei­en die Zeu­gen Jeho­vas genannt, die uns auf der Stra­ße beschei­den-höf­lich mis­sio­nie­rend begeg­nen und die auf eine buch­stäb­li­che Wie­der­her­stel­lung des Para­die­ses auf Erden hof­fen. (Zuvor aber wür­den die Ungläu­bi­gen in einem apo­ka­lyp­ti­schen Straf­ge­richt ver­nich­tet.) Auf dem Welt­markt der Reli­gio­nen hat Buch­sta­ben­gläu­big­keit seit drei Jahr­zehn­ten Kon­junk­tur, bei pro­te­stan­ti­schen Fun­da­men­ta­li­sten eben­so wie im Islam.

Die Buch­sta­ben sind an sol­cher Gläu­big­keit unschul­dig. Sie wur­den erfun­den zur Über­mitt­lung von Mit­tei­lun­gen, prä­gend waren hier wohl Händ­ler mit ihren Waren­li­sten. Wäh­rend das gespro­che­ne Wort aus Lau­ten besteht, ist das geschrie­be­ne auf Buch­sta­ben oder ande­re Zei­chen ange­wie­sen. Bil­der­zei­chen zum Bei­spiel – die benutzt nicht nur das Chi­ne­si­sche, auch unser Stra­ßen­bild spricht in Pik­to­gram­men, in (Verkehrs-)Zeichen anstatt in lan­gen Gebots- und Ver­bots­sät­zen. Der Vor­teil sol­cher Kom­mu­ni­ka­ti­on: Die­sel­be Zei­tung wird in den ver­schie­den­sten Idio­men Chi­nas glei­cher­ma­ßen ver­stan­den. Doch für Lexi­ka und Tele­fon­bü­cher ist die ABC-Sor­tie­rung nach dem Alpha­bet prak­ti­scher (obwohl ich nicht weiß, wie chi­ne­si­sche Ver­zeich­nis­se das handhaben).

Zum Schluss eine kurio­se Ent­deckung, die wir dem Duden­büch­lein Unnüt­zes Sprach­wis­sen ent­neh­men: Ist eignet-
lcih die Bcuhst­baen­re­he­ni­f­lo­ge in eneim Wrot uniw­chitg? – Ja, so ist es! Denn nach einer Stu­die aus Cam­bridge erfasst das Gehirn ein Wort als Gan­zes; Haupt­sa­che ist, dass der erste und letz­te Buch­sta­be an der rich­ti­gen Stel­le ste­hen. So ist es doch nur fol­ge­rich­tig, wenn auf die Recht­schrei­bung an deut­schen Schu­len kein gestei­ger­ter Wert mehr gelegt wird.