Fast jede und jeder im Osten kannte dieses Bild von Walter Womacka (1925-2010). Es war schließlich das am häufigsten reproduzierte DDR-Gemälde und hing an ungezählten Wohnzimmerwänden, es wurde als Postkarte und Poster drei Millionen Mal gedruckt und zu großen Teilen auch in die USA, nach Großbritannien und nach Belgien verkauft. Das Gemälde wurde in in- und ausländischen Schulbüchern veröffentlicht und von Schülern in Aufsätzen interpretiert. 1968 konnte man es auch als 10-Pfennig-Briefmarke auf eine Karte kleben und verschicken – zwölf Millionen Mal geschah das.
Das Original »Am Strand« wurde vom SED-Politbüro erworben und dem Staats- und Parteichef Walter Ulbricht zu dessen 70. Geburtstag 1963 vermacht. Der reichte es sogleich als Dauerleihgabe an die Dresdner Galerie Neue Meister weiter, wo es sich noch heute befindet.
Womacka fertigte damals eine unsignierte Kopie, die sich im Besitz seiner seit den siebziger Jahren auf Zypern lebenden Tochter Uta befindet – sie hatte schließlich ihrem Vater dafür Modell gesessen. (Der Mann neben ihr auf dem Bild war Womackas Bruder Rüdiger, der als NVA-Soldat gerade auf Urlaub in Berlin weilte.)
Und es gab noch ein drittes – signiertes – Exemplar, das ebenfalls 1962 entstanden ist, von dessen Existenz aber niemand wusste. Das erwarb dreißig Jahre später ein chinesischer Geschäftsmann und Mäzen namens Chew. Der hatte Womacka und seine Frau auf Vermittlung eines ehemaligen DDR-Außenhändlers Anfang der neunziger Jahre zu sich eingeladen. 1992 kam Chew selbst nach Berlin und wählte hundert Bilder für eine Ausstellung im Städtischen Kunstmuseum von Taipeh aus. Die Exposition stieß dort auf großes Interesse – während Womacka und andere bedeutende Maler in ihrer Heimat als »Staatskünstler« geschmäht und ihre Werke in die Depots verbannt wurden. Die meisten Wo-macka-Gemälde, die im Taipei Fine Arts Museum (TFAM) gezeigt worden waren, kehrten nicht wieder nach Deutschland zurück, sie wurden dort verkauft und sicherten Womackas Existenz für geraume Zeit. Chew selbst erwarb einige Bilder, darunter »Am Strand III«. Jahr um Jahr kam er in der Folgezeit nach Deutschland und besuchte Womacka auch in dessen Sommerquartier Loddin auf der Insel Usedom. Chews Sohn Chung-Chiang Chin nahm ein Studium an der Berliner Musikhochschule auf, Tochter Chun-i Chiu schrieb sich in München bei den Kunstwissenschaften ein.
2007 gründete sich ein Freundeskreis Walter Womacka, der inzwischen seinen Sitz in Kölpinsee auf der Insel Usedom hat. Im Hotel Seerose, unweit von Womackas Anwesen in Loddin, gibt es eine Dauerausstellung mit seinen Werken – darunter »Am Strand III«, das Herr Chew zunächst als Leihgabe dem Freundeskreis überlassen hatte. Im Vorjahr machte er das 90 mal 110 cm große Bild dem Verein zum Geschenk.
Und dieser Freundeskreis nahm das berühmte Gemälde als Vorlage, um damit auf den bevorstehenden 15. Geburtstag des Vereins hinzuweisen: mit einer Briefmarke zum Nominalwert von 85 Cent. Damit kann man einen Brief bekleben und versenden oder ein gutes Werk tun, denn die Marke gibt es für eine kleine Spende – im Hotel, und eben nur dort. Mit dem Obolus will der Freundeskreis weiterhin Womackas Erbe hierzulande pflegen und dafür sorgen, dass der Name nicht vergessen wird, auch wenn noch etliche seiner Kunstwerke im öffentlichen Raum insbesondere in der Hauptstadt zu sehen sind. Im einstigen Staatsratsgebäude, inzwischen eine private Schule, erinnern die bunten Glasfenster an ihn, auf dem Alexanderplatz der Brunnen der Freundschaft, die Bauchbinde am Haus des Lehrers und das Kupferrelief am ehemaligen Haus des Reisens. Und das neunzig Quadratmeter große Wandbild »Der Mensch, das Maß aller Dinge«, welches ursprünglich an der Fassade des abgerissenen DDR-Bauministeriums in der Breiten Straße hing. Eine kommunale Wohnungsbaugesellschaft hat die 360 emaillierten Kupferplatten gerettet und 2013 an einem Wohnhaus in der Friedrichsgracht wieder anbringen lassen.
Nicht zu vergessen die drei Bleiglasfenster in der Eingangshalle zum Museum der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Sachsenhausen, die im Januar erstmals von einem Bundespräsidenten besucht worden ist. Womacka hat es nach mehr als sechs Jahrzehnten also mal wieder auf eine Briefmarke geschafft. Ohne institutionellen Beistand, nur mit bürgerschaftlichem Engagement. Das sollte doch mal gesagt sein.