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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Wolle mer se reinlasse?

Es war mal wie­der Kar­ne­val. Die einen mögen ihn, die ande­ren nicht. Die, die ihn mögen, betrei­ben ihn mit­un­ter fast bis zum Exzess.

In Aachen wur­de unlängst zum 73. Mal der »Orden wider den tie­ri­schen Ernst« ver­lie­hen. Seit 1952 pflegt man die­ses Ritu­al. In den ersten Jah­ren waren die Ordens­trä­ger weni­ger bekann­te Per­so­nen. Ab 1957 soll­te sich das ändern. Unter den Ordens­trä­gern fan­den sich in den Fol­ge­jah­ren Car­lo Schmid, Kon­rad Ade­nau­er oder der dama­li­ge öster­rei­chi­sche Außen­mi­ni­ster Bru­no Krei­sky. Auch Hel­mut Schmidt gehör­te in sei­ner Zeit als Bun­des­ver­tei­di­gungs­mi­ni­ster zu jenem Per­so­nen­kreis. Ihm folg­ten unter ande­rem Hans-Diet­rich Gen­scher, Bern­hard Vogel, Nor­bert Blüm und Franz Josef Strauß, Theo­dor Wai­gel, Edmund Stoi­ber oder Gui­do Wester­wel­le. Ab und an ist in dem einen oder ande­ren Jahr auch ein Schau­spie­ler oder Schrift­stel­ler dabei. Über­wie­gend sind es aber Poli­ti­ke­rin­nen und Poli­ti­ker. Nun mag man dar­über nach­den­ken, war­um das so ist und wel­chen Zusam­men­hang es zwi­schen kar­ne­va­li­sti­schem Humor und Poli­tik geben mag. Mir fie­le da man­ches ein.

In die­sem Jahr wur­de die gegen­wär­ti­ge Außen­mi­ni­ste­rin Anna­le­na Baer­bock mit dem Preis bedacht. Gedul­dig muss­te die­se zunächst die spa­ßi­gen Aus­füh­run­gen von Gui­do Cantz und der als Vam­pir ver­klei­de­ten Marie-Agnes Strack-Zim­mer­mann über sich erge­hen las­sen. Letz­te­re spar­te nicht mit Sei­ten­hie­ben auf den CDU-Chef Fried­rich Merz, der im Publi­kum zu sehen war und das schein­bar gar nicht wit­zig fand.

20 Minu­ten vor Schluss der zwei Tage spä­ter im Fern­se­hen über­tra­ge­nen Ver­lei­hungs­sit­zung war es dann end­lich so weit. Die aktu­el­le Preis­trä­ge­rin wur­de auf die Büh­ne geru­fen und wirk­te fort­an immer ein biss­chen wie ein Schul­mäd­chen, wel­chem der Leh­rer gutes Beneh­men atte­stier­te. Sie habe alles, »was eine Rit­te­rin von Stand aus­zeich­net«, ver­kün­de­te der mit der Ver­lei­hung Beauf­trag­te. Die Begrün­dung des Elfer­ra­tes, sich für Anna­le­na Baer­bock ent­schie­den zu haben, lau­tet wie folgt: Sie habe »sich mit Ent­schlos­sen­heit und Ein­füh­lungs­ver­mö­gen, mit Wil­lens­kraft und Prag­ma­tis­mus, Respekt und Ver­trau­en auf inter­na­tio­na­ler und natio­na­ler Ebe­ne erwor­ben. Sie hat mit Sym­pa­thie und Über­zeu­gungs­kraft die Her­zen der Men­schen gewon­nen und gera­de in die­sen schwie­ri­gen Zei­ten, die vie­len Men­schen Angst machen, über­zeugt sie mit Humor und Mensch­lich­keit im Amt, zwei wich­ti­gen Werk­zeu­gen im Kampf für Frie­den und Hoff­nung. Anna­le­na Baer­bock bezieht klar Posi­ti­on und spricht die Din­ge dabei deut­lich an, und es gelingt ihr mit Wort­witz und Schlag­fer­tig­keit fein­stes poli­ti­sches Flo­rett zu schwingen.«

Das war Kar­ne­val pur. Beab­sich­tigt? Unfrei­wil­lig? Ich hat­te in die­sem Augen­blick jeden­falls das Gefühl, fein­ste Real­sa­ti­re zu erleben.