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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Wolfgang Borchert   Sagt NEIN!

Frau­en und Män­ner an den Maschi­nen in Werk­stät­ten. Wenn sie euch befeh­len, Rüstungs­gü­ter zu pro­du­zie­ren, dann gibt es nur eins:

Sagt NEIN!

Men­schen, wo immer ihr eure Arbeits­kraft ver­kauft, wenn sie euch mor­gen befeh­len, ihr sollt Waf­fen pro­du­zie­ren, dann gibt es nur eins:

Sagt NEIN!

Kapi­ta­li­stin­nen und Kapi­ta­li­sten, wenn sie euch befeh­len, ihr sollt statt Lebens­mit­teln, Waf­fen samt Zube­hör ver­kau­fen, dann gibt es nur eins:

Sagt NEIN!

For­sche­rin For­scher in allen Insti­tu­ten die­ser Welt. Wenn sie Euch mor­gen befeh­len, ihr sollt noch bru­ta­le­re Mord­waf­fen, um Leben zu zer­stö­ren, dann gibt es nur eins:

Sagt NEIN!

Dich­te­rin­nen­Dich­ter, Mei­nungs­ma­cher­in­nen­Mei­nungs­ma­cher, wenn Sie euch zwin­gen, statt Frie­den den Krieg zu begrün­den, wenn die euch befeh­len, Hass und Tot­schlag­tex­te zu ver­kün­den, dann gibt es nur eins:

Sagt NEIN!

Ihr, die ihr die Kran­ken gesund macht, ver­wei­gert es, Men­schen kriegs­dienst­taug­lich zu schreiben:

Sagt NEIN!

Ver­kün­de­rin­nen­Ver­kün­der aller Reli­gio­nen. Wenn sie euch mor­gen befeh­len, ihr sollt den Mord seg­nen und den Krieg hei­lig­spre­chen, dann gibt es nur eins:

Sagt NEIN!

Ihr, die ihr für Logi­stik ver­ant­wort­lich seid. Wenn sie euch befeh­len, ihr sollt kei­ne Lebens­mit­tel mehr fah­ren – son­dern Kano­nen und Pan­zer, dann gibt es nur eins:

Sagt NEIN!

Pilo­tin­nen und Pilo­ten auf dem Flug­feld. Wenn sie euch befeh­len, ihr sollt Bom­ben und Phos­phor über die Städ­te tra­gen, dann gibt es nur eins:

Sagt NEIN!

Poli­ti­ke­rin­nen und Poli­ti­ker beschließt kei­nen Krieg und Gel­der oder Kre­di­te für Mord­waf­fen, mit denen Sol­da­tin­nen und Sol­da­ten zu Mör­dern wer­den: Seid für Frei­heit, Gleich­heit und Brü­der­lich­keit, zu allem anderen:

Sagt NEIN!

Ihr Frau­en und Män­ner, die in den Gerich­ten Recht spre­chen. Wenn sie euch mor­gen befeh­len, ihr sollt zum Kriegs­ge­richt gehen, dann gibt es nur eins:

Sagt NEIN!

Arbei­ten­de bei der Bahn. Wenn sie euch mor­gen befeh­len, ihr sollt das Signal zur Abfahrt geben für den Muni­ti­ons­zug und für den Trup­pen­trans­port, dann gibt es nur eins:

Sagt NEIN!

Ihr Men­schen auf dem Dorf und in der Stadt. Wenn sie mor­gen kom­men und euch den Gestel­lungs­be­fehl brin­gen, dann gibt es nur eins:

Sagt NEIN!

Du. Mut­ter in der Nor­man­die und Mut­ter in der Ukrai­ne und Mos­kau, du, Mut­ter in Fri­sko und Lon­don, du am Hoang­ho und am Mis­sis­sip­pi, du, Mut­ter in Nea­pel und Ham­burg und Kai­ro und Oslo – Müt­ter in allen Erd­tei­len, Müt­ter in der Welt, wenn sie mor­gen befeh­len, ihr sollt Kin­der gebä­ren, Kran­ken­schwe­stern für Kriegs­la­za­ret­te und neue Mör­der für neue Schlach­ten, Müt­ter in der Welt, dann gibt es nur eins:

Sagt NEIN! Müt­ter, sagt NEIN!

Denn wenn ihr nicht NEIN sagt, wenn WIR alle nicht NEIN sagen, dann:

In den lär­men­den dampf­dun­sti­gen Hafen­städ­ten wer­den die gro­ßen Schif­fe stöh­nend ver­stum­men und wie tita­ni­sche Mam­mut­ka­da­ver was­ser­lei­chig trä­ge gegen die toten ver­ein­sam­ten Kai­mau­ern schwan­ken, algen-, tang- und muschel­über­west, den frü­her so schim­mern­den dröh­nen­den Leib, fried­höf­lich fisch­fau­lig duf­tend, mür­be, siech, gestor­ben – die Stra­ßen­bah­nen wer­den wie sinn­lo­se glanz­lo­se glas­äu­gi­ge Käfi­ge blö­de ver­beult und abge­blät­tert neben den ver­wirr­ten Stahl­ske­let­ten der Dräh­te und Glei­se lie­gen, hin­ter mor­schen dach­durch­lö­cher­ten Schup­pen, in ver­lo­re­nen kra­ter­zer­ris­se­nen Stra­ßen – eine schlamm­graue dick­brei­ige blei­er­ne Stil­le wird sich her­an­wäl­zen, gefrä­ßig, wach­send, wird anwach­sen in den Schu­len und Uni­ver­si­tä­ten und Schau­spiel­häu­sern, auf Sport- und Kin­der­spiel­plät­zen, grau­sig und gie­rig unauf­halt­sam – der son­ni­ge saf­ti­ge Wein wird an den ver­fal­le­nen Hän­gen ver­fau­len, der Reis wird in der ver­dorr­ten Erde ver­trock­nen, die Kar­tof­fel wird auf den brach­lie­gen­den Äckern erfrie­ren und die Kühe wer­den ihre tot­stei­fen Bei­ne wie umge­kipp­te Melk­sche­mel in den Him­mel strecken – in den Insti­tu­ten wer­den die genia­len Erfin­dun­gen der gro­ßen Ärz­te sau­er wer­den, ver­rot­ten, pilzig ver­schim­meln – in den Küchen, Kam­mern und Kel­lern, in den Kühl­häu­sern und Spei­chern wer­den die letz­ten Säcke Mehl, die letz­ten Glä­ser Erd­bee­ren, Kür­bis und Kirsch­saft ver­kom­men – das Brot unter den umge­stürz­ten Tischen und auf zer­split­ter­ten Tel­lern wird grün wer­den, und die aus­ge­lau­fe­ne But­ter wird stin­ken wie Schmier­sei­fe, das Korn auf den Fel­dern wird neben ver­ro­ste­ten Pflü­gen hin­ge­sun­ken sein wie ein erschla­ge­nes Heer, und die qual­men­den Zie­gels­chorn­stei­ne, die Essen und die Schlo­te der stamp­fen­den Fabri­ken wer­den, vom ewi­gen Gras zuge­deckt, zer­bröckeln – zer­bröckeln – zer­bröckeln – dann wird der letz­te Mensch, mit zer­fetz­ten Gedär­men und ver­pe­ste­ter Lun­ge, ant­wort­los und ein­sam unter der gif­tig glü­hen­den Son­ne und unter wan­ken­den Gestir­nen umher­ir­ren, ein­sam zwi­schen den unüber­seh­ba­ren Mas­sen­grä­bern und den kal­ten Göt­zen der gigan­ti­schen beton­klot­zi­gen ver­öde­ten Städ­te, der letz­te Mensch, dürr, wahn­sin­nig, lästernd, kla­gend – und sei­ne furcht­ba­re Kla­ge: WARUM? wird unge­hört in der Step­pe ver­rin­nen, durch die gebor­ste­nen Rui­nen wehen, ver­sickern im Schutt der Kir­chen, gegen Hoch­bun­ker klat­schen, in Blut­la­chen fal­len, unge­hört, ant­wort­los, letz­ter Tier­schrei des letz­ten Tie­res Mensch – all die­ses wird ein­tref­fen, mor­gen, mor­gen viel­leicht, viel­leicht heu­te Nacht wenn – wenn ihr nicht NEIN sagt.

 Die­ses Gedicht, ver­drängt und ver­ges­sen wie sein Dich­ter Wolf­gang Bor­chert, habe ich ein wenig im ersten Teil der heu­ti­gen Wirk­lich­keit ange­passt. Im Dschun­gel der ver­gif­te­ten Medi­en und Mei­nungs­kü­che soll es mah­nen: Dort, wo Krieg ist, wird kein Mensch über­le­ben. Egal, ob er rot­schwarz­grün­o­der­gelb ist.