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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Wolfgang Beutin (1934-2023)

Der Schrift­stel­ler und Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­ler PD Dr. Paul-Wolf­gang Beu­tin ist am Sonn­tag, 19. Febru­ar, im Alter von 88 Jah­ren in Köthel (Kreis Stor­marn) in der Nähe von Ham­burg gestor­ben. Gebo­ren in Bre­men am 2. April 1934 war er tief geprägt von den Kriegs­er­fah­run­gen, die er immer wie­der in sei­nen auto­bio­gra­fisch gefärb­ten Roma­nen über die »Fami­lie Beel­zow«, etwa »Das Jahr in Güstrow« (1985), verarbeitete.

Beu­tin stu­dier­te an den Uni­ver­si­tä­ten Ham­burg und Saar­brücken Ger­ma­ni­stik und Geschichts­wis­sen­schaft. In sei­ner Stu­di­en­zeit war er neben sei­nem Pro­fes­sor Ulrich Pret­zel, dem Bru­der von Seba­sti­an Haff­ner, vom expres­sio­ni­sti­schen Schrift­stel­ler und Akti­vi­sten Kurt Hil­ler beein­flusst. Gemein­sam zogen sie gegen alte Nazis, Reak­tio­nä­re und den Anti-Homo­se­xu­el­len-Para­gra­phen 175 zu Fel­de. Mit dem Holo­caust-Über­le­ben­den Pri­mo Levi pfleg­te er einen Brief­ver­kehr, mit Theo­dor W. Ador­no setz­te er sich gegen anti­se­mi­ti­sche Ten­den­zen in Bezug auf den Kom­po­ni­sten Gustav Mahler zur Wehr.

Beu­tins Wir­ken ist das eines enga­gier­ten Intel­lek­tu­el­len: Wis­sen­schaft­ler, Schrift­stel­ler, Unter­stüt­zer der sozi­al-libe­ra­len Koali­ti­on von 1969 und der Stu­die­ren­den­be­we­gung der 1968er; Akti­vist gegen die Pra­xis der Berufs­ver­bo­te; Mit­be­grün­der des »Bun­des demo­kra­ti­scher Wis­sen­schaft­le­rin­nen und Wis­sen­schaft­ler« (BdWi); Poli­ti­ker der »Deut­schen Frie­dens­uni­on«; Mit­in­itia­tor des »Kre­fel­der Appells« gegen die ato­ma­re Kon­fron­ta­ti­on des Kal­ten Kriegs; Gewerk­schaf­ter bei der »Gewerk­schaft Erzie­hung und Wis­sen­schaft« (GEW) und im Schrift­stel­ler­ver­band von ver.di; spä­ter Mit­grün­der der »Wahl­al­ter­na­ti­ve Arbeit und sozia­le Gerech­tig­keit« und der Links­par­tei, bis zuletzt dort auf kom­mu­na­ler Ebe­ne im Kreis Stor­marn aktiv. »Enga­ge­ment als Lebens­form« nann­te es der deutsch-ame­ri­ka­ni­sche Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­ler Jost Her­mand (1930-2021) anläss­lich einer Tagung zu Wolf­gang Beu­tins 75. Geburtstag.

Die Ham­bur­ger Uni­ver­si­tät ver­wei­ger­te ihm die Pro­fes­sur und erteil­te ihm zeit­wei­lig Lehr­ver­bot. Begrün­dung: Ver­wen­dung mar­xi­sti­scher und psy­cho­ana­ly­ti­scher Metho­den. Die arbeits­ge­richt­li­che Aus­ein­an­der­set­zung dar­um wur­de zwan­zig Jah­re lang von der GEW unter­stützt. In Ham­burg sowie in Bre­men und in Lüne­burg beein­fluss­te Beu­tin zahl­rei­che Stu­die­ren­den­ge­ne­ra­tio­nen. An der Uni­ver­si­tät sei­ner Geburts­stadt erlang­te er in spä­te­ren Jah­ren die Habi­li­ta­ti­on und Privatdozentur.

Wolf­gang Beu­tin ist Autor zahl­rei­cher wis­sen­schaft­li­cher und bel­le­tri­sti­scher Bücher, unzäh­li­ger Auf­sät­ze, Kri­ti­ken, Apho­ris­men, Hör- und Fern­seh­spie­le. Bis zuletzt arbei­te­te er an wis­sen­schaft­li­chen Bei­trä­gen, von denen eini­ge noch post­hum erschei­nen. Sei­ne Mono­gra­phie über die Epo­che der »Auf­klä­rung«, an der er noch an sei­nem Todes­tag arbei­te­te, wird unvoll­endet blei­ben. Mit sei­ner Frau Hei­di Beu­tin und wei­te­ren Mit­strei­tern plan­te er für den Herbst 2023 in Lübeck eine wis­sen­schaft­li­che Tagung zu Geschich­te und Gegen­wart des Pazi­fis­mus. Die­se wird nun zu sei­nen Ehren stattfinden.

Anläss­lich sei­ner Ver­ab­schie­dung aus dem akti­ven Lehr­be­trieb an der Uni­ver­si­tät Ham­burg 1999 schrieb ihm sein Weg­ge­fähr­te, der Lite­ra­tur­kri­ti­ker Hans Woll­schlä­ger (1935-2007), in einer Wür­di­gung: »Du hast, als Leh­rer, das Lesen bei­gebracht, die rich­ti­ge Lek­tü­re der Wor­te und der Taten; die Welt selbst ist durch Dei­ne Arbei­ten les­ba­rer geworden.«

Ver­lag und Redak­ti­on spre­chen den Ange­hö­ri­gen und Freun­den von Wolf­gang Beu­tin ihr tie­fes Mit­ge­fühl aus. Wir trau­ern um einen wun­der­ba­ren Menschen.