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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Wörter kaputt? Wörter raus?!

Viel­leicht ist es mit der Spra­che so ähn­lich wie mit den Arte­fak­ten kolo­nia­ler Raub­kunst, über die deut­sche und ande­re euro­päi­sche Muse­en immer noch in nicht über­schau­ba­rer Zahl ver­fü­gen. Die Debat­te über die Resti­tu­ti­on der in der Kolo­ni­al­zeit geraub­ten Gegen­stän­de läuft zwar schon seit rund 60 Jah­ren, aber nur all­mäh­lich kommt eine Rück­füh­rung in Gan­ge und dann manch­mal nur als »Dau­er­leih­ga­be«, wie bei den 23 Gegen­stän­den, die im Som­mer 2022 vom eth­no­lo­gi­schen Muse­um in Ber­lin dem Natio­nal­mu­se­um in der nami­bi­schen Haupt­stadt Wind­hoek aus­ge­hän­digt wurden.

Bei der For­de­rung nach Rück­ga­be geht es den Beraub­ten in der Regel nicht um blo­ße Besitz­an­sprü­che, was aller­dings schon allein zur Begrün­dung des Anspruchs genü­gen soll­te, son­dern in Anbe­tracht der histo­ri­schen, kul­tu­rel­len und ästhe­ti­schen Bedeu­tung auch um Fra­gen der eige­nen Identität.

Um die­se mensch­li­che und kul­tu­rel­le Iden­ti­tät geht es aber auch den indi­ge­nen Völ­kern, Grup­pen und Gemein­schaf­ten, wenn sie den Anspruch erhe­ben, bei ihrem Namen geru­fen zu wer­den, wenn sie ver­lan­gen, dass ihnen »auf Augen­hö­he« begeg­net wird. Was aller­dings »in aller Kon­se­quenz« bedeu­tet, »dass wir ihren eige­nen Erzäh­lun­gen von ihrem Ursprung, ihrer Reli­gi­on, Welt­an­schau­ung und Geschich­te min­de­stens genau so viel Gehör schen­ken wie den ande­ren wis­sen­schaft­li­chen Erkennt­nis­sen« (Ange­li­ne Boul­ley im Nach­wort zu Firekeeper’s Daugh­ter, ihrem lesens­wer­ten Roman über die Ojib­we-Gemein­schaft, der sie ange­hört, auf Michi­gans Obe­rer Halb­in­sel). Ent­decker, Erobe­rer, Kolo­ni­sa­to­ren, Kon­qui­sta­do­ren, Mis­sio­na­re haben mit ihrer Benen­nung, Wort­bil­dung und Wort­wahl gan­ze indi­ge­ne Völ­ker­schaf­ten anony­mi­siert, ihre auto­chtho­ne Spra­che igno­riert. Die­se Hybris wirkt bis heu­te fort, ver­schmutzt unser Denken.

Afri­ka, anschwär­zen, Drit­te Welt, Ein­ge­bo­re­ne, Eski­mo, far­big, gemischt­ras­sig, Hot­ten­tot­ten, India­ner, India­ner­krap­fen, Kaf­fern­büf­fel, Kame­ru­ner, Kolo­nie, Mohr, Moh­ren­kopf, mon­go­lo­id, Natur­volk, Neger, Neger­kuss, Piz­za Hawaii, Ras­se, schwarz, Schwarz­afri­ka, Schwarzfahrer/​Schwarzfahren, Völ­ker­ball, Zigeu­ner, Zigeunerschnitzel.

Der Jour­na­list Mat­thi­as Hei­ne hat sei­nem 2019 im Duden­ver­lag erschie­ne­nen Buch Ver­brann­te Wör­ter. Wo wir noch reden wie die Nazis – und wo nicht im ver­gan­ge­nen Herbst das Buch über Kaput­te Wör­ter? Vom Umgang mit heik­ler Spra­che nach­ge­scho­ben. Er stellt rund 80 Wör­ter vor samt ihrer Geschich­te und der aktu­el­len Kri­tik an ihnen. Sei­ne jewei­li­gen Ein­schät­zun­gen zu ihrer heu­ti­gen Ver­wen­dung betrach­tet er dabei nicht als »Ver­such, nun selbst als Sprach­po­li­zei oder Anti-Sprach­po­li­zei aktiv zu wer­den. Viel­mehr sol­len sie Men­schen, die Freu­de an offe­nen Debat­ten haben, zum Wei­ter­den­ken anregen.«

Neh­men wir zum Bei­spiel »Afri­ka«: Der Name lei­tet sich, schreibt Hei­ne, von »Afri« ab. So bezeich­ne­ten die Römer – ergo euro­päi­sche Ein­dring­lin­ge – die Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­ner der Regio­nen west­lich des Nils, mit einem Wort also, das für schmut­zig und pri­mi­tiv steht.

Doch: Wer stört sich heu­te an »Afri­ka« als Name des Erd­teils? Ich per­sön­lich hat­te bis­her noch kein schlech­tes Gewis­sen im Hin­blick auf sei­ne Ver­wen­dung. Aller­dings: Die Fir­ma Bahl­sen führ­te 60 Jah­re lang den Scho­ko­la­den­keks »Afri­ka« in ihrem Sor­ti­ment, weil von dort die Kakao­boh­nen stamm­ten. 2020 schlug dann die Insta­gramm-Com­mu­ni­ty zu, sah ein Ras­sis­mus-Pro­blem, der Shits­torm brach los, #all­täg­li­cher­ras­sis­mus, und seit Juni 2021 heißt der Keks »Per­pe­tu­um«. Nach­zu­le­sen bei Heine.

Neh­men wir in dem Zusam­men­hang »anschwär­zen«, im Sin­ne von »ver­leum­den«. »Jahr­hun­der­te­lang in der ange­ge­be­nen Wei­se gebraucht«, schreibt Hei­ne, habe »allem Anschein nach nie­mand« bei sei­ner Ver­wen­dung »an die natür­li­che Haut­far­be von Men­schen« gedacht. 2020 jedoch habe der Sprach­rat­ge­ber des Ber­li­ner Diver­si­ty-Lan­des­pro­gramms emp­foh­len, »anschwär­zen« durch »nachsagen/​melden/​denunzieren« zu erset­zen: wegen der »nega­ti­ven Kon­no­ta­tio­nen«, die mit dem Wort »schwarz« ver­bun­den sei­en. Eine ähn­li­che Dis­kus­si­on gibt es wei­ter hin­ten im ABC bei den Stich­wor­ten rund um »schwarz«.

Und als drit­tes Bei­spiel – für alle 80 reicht der Platz nicht – zu dem vom Ravens­bur­ger Ver­lag (»Der jun­ge Häupt­ling Win­ne­tou«) bis in die Kin­der­gär­ten, dort vor allem wäh­rend der Kar­ne­vals­zeit, viel dis­ku­tier­ten Begriff »India­ner«. Hier ist Hei­nes Fazit: »Seit 200 Jah­ren wird India­ner für die Urein­woh­ner Nord­ame­ri­kas ver­wen­det. Auch der Hin­weis, dass ein Wort ›ver­al­tet‹ sei, beinhal­tet kei­ne mora­li­sche Wer­tung und recht­fer­tigt kei­ne Empö­rung gegen­über Men­schen, die noch India­ner sagen. Wenn Sie tat­säch­lich ein­mal einem India­ner begeg­nen, soll­ten Sie ihn als Mit­glied sei­nes Stam­mes anre­den.« Die geschicht­li­che Wirk­lich­keit jen­seits der Roman­ti­sie­rung, die Aus­rot­tung gan­zer Stäm­me, die Unter­drückung und Miss­hand­lung von Nati­ve Ame­ri­cans ste­hen auf einem ande­ren Blatt.

Ein wei­te­rer gro­ßer Teil von »kaput­ten« Wör­tern dreht sich um Begrif­fe aus der All­tags­spra­che, von fast jedem schon ein­mal verwendet:

Abtrei­bung, Altes Testa­ment, Asy­lant, behin­dert, bemannt, Damen und Her­ren, Ehren­mord, Flücht­ling, Ein­mann­packung, Fräu­lein, Hei­mat, Jude, Judas­lohn, Lili­pu­ta­ner, nicht sess­haft, obdach­los, Scham­lip­pen, taub­stumm, Was­ser­kopf, Weiß­russ­land, Zwerg.

Hei­ne: »Es gibt vie­le Wör­ter, die als pro­ble­ma­tisch, dis­kri­mi­nie­rend oder gest­rig gel­ten. Man­che funk­tio­nie­ren gar nicht mehr, ande­re fin­den je nach Kon­text und eige­ner Hal­tung Ver­wen­dung.« Lese­rin­nen und Leser wer­den dem Autor sicher­lich nicht in allen Belan­gen zustim­men, ob man »das eigent­lich noch sagen kann oder nicht«. Rich­tig ist aber die Fest­stel­lung: »Wer das Buch gele­sen hat, kann eine fun­dier­te Mei­nung ent­wickeln und erhält Sicher­heit auf einem heik­len Ter­rain«, stellt es doch Gewohn­tes in Fra­ge, übt sich in Dekon­struk­ti­on, wie die Phi­lo­so­phen sagen wür­den, und regt somit die Dis­kurs­freu­de an.

Ich frag­te mich wäh­rend der Lek­tü­re, wie das eigent­lich mit der Bezeich­nung »Ger­ma­nen« ist, dem schon in der Zeit »vor Chri­stus« – dies eben­falls ein Stich­wort bei Hei­ne – gebräuch­li­chen Sam­mel­na­men für ver­schie­de­ne Völ­ker und Stäm­me in Euro­pa. Schließ­lich war »Ger­ma­ni« eine Erfin­dung der römi­schen Erobe­rer. Die so benann­ten Völ­ker­schaf­ten kann­ten kei­ne für ihre Gesamt­heit gel­ten­de Bezeich­nung. Aber noch nicht ein­mal aus dem Stamm der Baju­wa­ren weh­te bis­her ein Shits­torm durchs Land.

 Mat­thi­as Hei­ne: Kaput­te Wör­ter? Vom Umgang mit heik­ler Spra­che, Duden­ver­lag, Ber­lin 2022, 301 S., 22 €. – Zum Wei­ter­le­sen: Fischer: Die Ham­bur­ger Süd­see-Expe­di­ti­on (Ossietzky 10/​2022); Arndt: Ras­si­sti­sches Erbe (Ossietzky 15/​2022).