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Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

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Wo und was ist »links«

Links ist da, wo der Dau­men rechts ist. Sol­che Phra­sen bekommt zu hören, wer die Rich­tung ill­tüm­lich vel­wech­sert! Es ist ein Fahr­schul­leh­rer­witz, beliebt bei denen, die gern den Macho raus­hän­gen las­sen. Dabei ist das doch gar nicht ein­fach. Die Posi­ti­on macht es, der Aspekt: Von hier gese­hen oder von dort? Schaue ich nach Nor­den, dreht sich die Erde nach links. Schaue ich nach Süden, ist plötz­lich rechts links. Mit Ost und West ist es auch nicht bes­ser. Als ich nach Pots­dam zog, eini­ge Jah­re vor der Wen­de von 1989, kam ich ein­mal mor­gens über die Havel­brücke, als eben die Son­ne pracht­voll auf­ging, direkt neben dem blin­ken­den Funk­turm auf dem Schä­fer­berg. »Was ist das denn für ein Blin­ken?« frag­te ich einen Pas­san­ten. »Sehn­suchts­am­pel«, warf der mir lako­nisch zu, und erklär­te, weil ich ihn ver­ständ­nis­los anstarr­te: »Schwer von Kapee, wa? Mensch, det is der Westen.« Offen­bar hielt er mich für einen Ali­en. Mir wur­de ganz wirr von der Tat­sa­che, dass die Son­ne da, wo ich mich gera­de befand, im Westen auf­ging, völ­lig wider ihre Natur. Heu­te, aus eini­ger Distanz, lässt sich ablei­ten: es lag am Stand­punkt. Aber nicht allein. Es kam noch eine wei­te­re Dimen­si­on hin­zu, die histo­ri­sche. Wobei sich trotz fünf­und­drei­ßig Jah­ren Ein­heit vie­les noch nicht geän­dert hat. Nur die Sehn­sucht nach dem Westen, die ist gestillt, aller­dings anders, als von man­chem erhofft. Dabei wuss­te man eigent­lich, was für ein System das ist. Theoretisch.

Hier geht es um links und rechts. Oder muss es hei­ßen Links und Rechts? Groß- oder Klein­schrei­bung ist zum Glück nur im Deut­schen ein Pro­blem. Zum Glück für die Deutsch­leh­rer, die ihre Rot­stif­te zücken und stets beflis­sen anstrei­chen, was sie, die jeweils aktu­el­le Duden-Gram­ma­tik in der Hand, als norm­ab­weich­le­risch erken­nen. Dabei wis­sen sie selbst es oft auch nicht so recht. Nach jedem Dik­tat brü­te­te ich, end­lich die gro­ße rebel­li­on anzu­zet­teln, die dik­ta­tur der rot­stif­te zu stür­zen und zur welt­herr­schaft der kon­se­quen­ten klein­schrei­bung über­zu­ge­hen. Was hin­dert uns dar­an, zu schrei­ben wie die Römer, Fran­ken und Ame­ri­ka­ner? Nie­der mit dem roten ter­ror der bes­ser­wis­se­rei-päd­ago­gik! Lei­der war die mit­schü­ler­schaft nicht zu mobi­li­sie­ren, und es blieb einst­wei­len, wie es war, trotz meh­re­rer halb­her­zi­ger rechtschreibreförmchen.

Links gehört zu den Adver­bi­en, frü­her sag­te man Umstands­wör­ter, die das Verb, Sub­stan­tiv oder Adjek­tiv des Sat­zes näher bestim­men kön­nen, im Fall von links oder rechts die Lage oder die Rich­tung, aus­ge­hend vom Betrach­ter, ver­hält­nis­mä­ßig zur eige­nen Bewe­gungs- oder Blick-Rich­tung oder einem zum Ver­gleich her­an­ge­zo­ge­nen Drit­ten. Um sol­che Bestim­mun­gen anwen­den zu kön­nen, sind nicht nur ein Sub­jekt (A), ein Objekt (B) und ein Refe­renz­ob­jekt © nötig, auf das sich die Lage von B bezieht, die A bezüg­lich C mit rechts und links beschrei­ben kann, aller­dings nur, wenn A einen kla­ren Stand­punkt im Raum ein­nimmt und sich B und C auf eine eini­ger­ma­ßen erkenn­ba­re Ebe­ne brin­gen las­sen, son­dern auch ein Emp­fän­ger (D), dem der Sen­der (A) die Lage von B zu C mit­tei­len möch­te. Nur wenn A und D die­sel­be Per­spek­ti­ve haben, lässt sich das Wort sinn­voll anwen­den. Sonst kann es zu argen Miss­ver­ständ­nis­sen kom­men. In einer Rei­he ste­hen immer eini­ge links von mir, ande­re rechts, wenn es kei­ne Schlan­ge ist und ich nicht der Flü­gel­mann bin, also die äußer­ste Posi­ti­on links oder rechts ein­neh­me. Ändert sich mei­ne Blick­rich­tung, ändert sich für mich alles, wenn sich die Blick­rich­tung aller ande­ren ändert, nichts.

Links und rechts sind gebo­re­ne Gegen­sät­ze, Ant­ony­me, die per Defi­ni­ti­on und Über­ein­kunft in ihrer Bedeu­tung fest­ge­legt sind, nicht ursprüng­lich und ursäch­lich. Man könn­te es auch anders­her­um bestim­men. Schließ­lich gibt es auch Län­der, in denen man nickt, um zu ver­nei­nen, und den Kopf schüt­telt, um zu bestä­ti­gen. Und es gibt Län­der, in denen cal­do warm heißt. »Das ande­re Links!« schrie der Fahr­leh­rer und trat effekt­voll auf die Brem­se, so dass wir bei­de durch die Front­schei­be gekracht wären, hät­ten uns die Sicher­heits­gur­te nicht zurück­ge­hal­ten. In so einer Situa­ti­on phi­lo­so­phi­sche Über­le­gun­gen die­ser Art anzu­brin­gen, ist nicht rat­sam. In eini­gen Län­dern gibt es den Links­ver­kehr, wäh­rend man sich bei uns, außer zum Über­ho­len, auf der rech­ten Stra­ßen­sei­te bewe­gen muss. Könn­te es sein, dass unse­re phy­sio­lo­gi­sche Dis­pro­por­ti­on ein unter­schied­li­ches Fahr­ver­hal­ten zur Fol­ge hat? Gibt es Sta­ti­sti­ken über einen Zusam­men­hang zwi­schen Rase­rei, aso­zia­lem Ver­hal­ten und Unfäl­len mit die­sen grund­sätz­li­chen Ver­kehrs­re­ge­lun­gen? Links ist da, wo das Herz schlägt. Dar­auf muss man erst mal kommen.

Viel häu­fi­ger, wenn von Links die Rede ist, sind heu­te die Adres­sen von Ser­ver­in­hal­ten gemeint, die man sich zuschickt, die man auf­ruft, die lei­der nicht funk­tio­nie­ren, weil sich mal wie­der der Name oder die Daten­struk­tur geän­dert haben. Links ist auch ein Syn­onym für ver­kehrt her­um, heu­te wür­de man que­er sagen, etwa wenn ich ein Hemd nach dem Waschen ver­se­hent­lich, das Inne­re nach außen gekrem­pelt, ange­zo­gen habe, was sich not­falls rasch kor­ri­gie­ren lässt. Nicht so ein­fach ist es mit einer Bezeich­nung, die poli­ti­sche Gesin­nung zum Aus­druck brin­gen soll. Der Zusam­men­bruch des Real­so­zia­lis­mus’ in Euro­pa zog auch eine Dis­kre­di­tie­rung der pro­gram­ma­ti­schen Bezeich­nun­gen sozia­li­stisch und kom­mu­ni­stisch nach sich. Aus der Staats­par­tei SED wur­de die PDS, die 2007 mit der WASG zur Lin­ken ver­schmolz. Jedem Neu­start wohnt auch die Chan­ce zu Neu­be­stim­mung und Kurs­kor­rek­tur inne. Was ist aus den Beton­köp­fen von damals gewor­den, den Unbe­lehr­ba­ren, den Wen­de­häl­sen, Wen­de­jacken, Kar­rie­ri­sten und Oppor­tu­ni­sten? Wahr­schein­lich haben sie ihre Par­tei­bü­cher längst abge­ge­ben und das Wei­te gesucht. Schließ­lich lohnt es nicht mehr, einer von allen gehass­ten Oppo­si­ti­ons­par­tei anzu­ge­hö­ren. Was sich die Lin­ke von heu­te auf die Fah­ne geschrie­ben hat, hört sich ver­nünf­tig an. Wenn Gre­gor Gysi spricht, kann man sich der Kraft sei­ner Argu­men­te schwer entziehen.

Die poli­ti­sche Lin­ke war nie­mals ein­fach. Es genügt nicht, das Wort sozia­li­stisch im Namen zu füh­ren. Nicht jede Arbei­ter­par­tei gehört zur Lin­ken. Die NSDAP war doch nicht links. Die Wahl­ka­ta­stro­phe von 1933 und die Macht­über­nah­me waren doch kei­ne sozia­li­sti­sche Revo­lu­ti­on, das System des Tau­send­jäh­ri­gen Rei­ches, das zum Glück nur 12 Jah­re währ­te, kei­ne Dik­ta­tur des Pro­le­ta­ri­ats. Eine Dik­ta­tur war es, das ist gewiss. War Hit­ler ein Lin­ker? War der Natio­na­lis­mus sei­ner Trup­pen von Ver­bre­chern, Mit­läu­fern und Kar­rie­ri­sten die Absa­ge an die Inter­na­tio­na­le, an den Geist der Klas­se? Auch nicht jeder, der das Lied der Par­tei singt, ist ein Lin­ker: »Die Par­tei, die Par­tei, die hat immer Recht …« Von wegen. Es kann sein, dass ein Ein­zel­ner Recht hat gegen alle ande­ren. Giord­a­no Bru­no, Koper­ni­kus, Mar­tin Luther. Dann kann er natür­lich kei­nen Platz in der Par­tei haben und wird ggf. raus­ge­schmis­sen. Was soll die Lin­ke mit Mar­tin Luther. Es geht schließ­lich nicht um Glau­bens­fra­gen, son­dern um wis­sen­schaft­li­che Welt­an­schau­ung, um die histo­ri­sche Mis­si­on des Pro­le­ta­ri­ats, um die sich meist Leu­te bemü­hen, die gar nicht zur Arbei­ter­klas­se gehö­ren. Die Lin­ke eine revo­lu­tio­nä­re Idee von Intellektuellen?

Wie Sek­ten in der Kir­che gibt es Grup­pie­run­gen in der Lin­ken, die Lin­ke selbst, die MLPD, die DKP, die SGP, schließ­lich das BSW. Eine Par­tei, deren Name und Pro­gramm eine Per­son ist. Das gab es doch schon mal. »Aus Lenin­schem Geist, wächst, von Sta­lin geschweißt, die Par­tei, die Par­tei, die Par­tei.« Natür­lich muss­te man erst mal Trotz­ki um die Ecke brin­gen. Und was ist mit der von Bebel und Lieb­knecht auf­ge­bau­ten SPD? Gehört jeder »lupen­rei­ne Demo­krat« dazu? Ein Mensch wie Putin, ange­tre­ten, das gro­ße rus­si­sche Reich zu ret­ten und den Faschis­mus zu bekämp­fen – viel­mehr das, was er dafür hält? Die Füh­rer aus der Kim-Dyna­stie in Nord­ko­rea? Sta­lin, Mao, Marx, Engels und Lenin? Welt­pop­iko­nen der Revo­lu­ti­on wie Che Gue­va­ra und Fidel Castro? Dan­ton, Robes­pierre, die Jako­bi­ner und die Kom­mu­nar­den? Lau­ter extre­me Aus­prä­gun­gen des sub­jek­ti­ven Faktors?

Am ein­fach­sten war es noch im 19. Jahr­hun­dert im Par­la­ment. Was nicht im Zen­trum sei­nen Platz fand und nicht auf der rech­ten Sei­te, das war eben die Lin­ke. Vom Prä­si­den­ten­stuhl aus gese­hen. Da haben wir es wie­der! Dort saßen die Leu­te von Bebel und Lieb­knecht in stän­dig wach­sen­der Zahl, auch wenn es stets Dis­si­den­ten gab, Abtrün­ni­ge, die ihren Platz woan­ders such­ten, die sich vom Main­stream der Par­tei absetz­ten. Der Begriff Demo­krat war im 19. Jahr­hun­dert ein Schimpf­wort, für vie­le gleich­be­deu­tend mit Staats­feind, stimmt ja auch, und Ver­bre­cher, weil man Kri­tik am Staat als Ver­bre­chen ansah. Nicht jeder kri­ti­sche Geist war ein Lin­ker. Maxi­mi­li­an Har­den, der schärf­ste Kri­ti­ker des Kai­ser­reichs, sah sich selbst als poli­tisch konservativ.

Wer mit Brecht sei­nen Ver­stand gebraucht, kommt auf der Sei­te der Kri­ti­ker der Gesell­schaft an. »Das Was­ser fließt immer von oben nach unten.« Die Lei­se­gang­ge­spül­te Ver­si­on des Lie­des vom Klas­sen­feind. Fort mit dem histo­ri­schen Gerüm­pel! Nicht, wer den ech­ten Ring hat, ist die Fra­ge, son­dern was für Wir­kun­gen die Erben her­vor­brin­gen in ihrem Rin­gen, die Kraft des Steins zu bewei­sen. Es gibt kei­ne allein­se­lig­ma­chen­de Wahr­heit, die für alle gül­tig ist. Das, wofür sich jeder enga­gie­ren kann und was alle ver­bin­det, die unse­re Welt für die Zukunft erhal­ten und gestal­ten wol­len, ist ganz ein­fach: anti­ka­pi­ta­li­stisch, fried­lich, enga­giert für die Umwelt und glo­bal. Wenn das Links ist, kommt uns allen das gera­de recht.