Links ist da, wo der Daumen rechts ist. Solche Phrasen bekommt zu hören, wer die Richtung illtümlich velwechsert! Es ist ein Fahrschullehrerwitz, beliebt bei denen, die gern den Macho raushängen lassen. Dabei ist das doch gar nicht einfach. Die Position macht es, der Aspekt: Von hier gesehen oder von dort? Schaue ich nach Norden, dreht sich die Erde nach links. Schaue ich nach Süden, ist plötzlich rechts links. Mit Ost und West ist es auch nicht besser. Als ich nach Potsdam zog, einige Jahre vor der Wende von 1989, kam ich einmal morgens über die Havelbrücke, als eben die Sonne prachtvoll aufging, direkt neben dem blinkenden Funkturm auf dem Schäferberg. »Was ist das denn für ein Blinken?« fragte ich einen Passanten. »Sehnsuchtsampel«, warf der mir lakonisch zu, und erklärte, weil ich ihn verständnislos anstarrte: »Schwer von Kapee, wa? Mensch, det is der Westen.« Offenbar hielt er mich für einen Alien. Mir wurde ganz wirr von der Tatsache, dass die Sonne da, wo ich mich gerade befand, im Westen aufging, völlig wider ihre Natur. Heute, aus einiger Distanz, lässt sich ableiten: es lag am Standpunkt. Aber nicht allein. Es kam noch eine weitere Dimension hinzu, die historische. Wobei sich trotz fünfunddreißig Jahren Einheit vieles noch nicht geändert hat. Nur die Sehnsucht nach dem Westen, die ist gestillt, allerdings anders, als von manchem erhofft. Dabei wusste man eigentlich, was für ein System das ist. Theoretisch.
Hier geht es um links und rechts. Oder muss es heißen Links und Rechts? Groß- oder Kleinschreibung ist zum Glück nur im Deutschen ein Problem. Zum Glück für die Deutschlehrer, die ihre Rotstifte zücken und stets beflissen anstreichen, was sie, die jeweils aktuelle Duden-Grammatik in der Hand, als normabweichlerisch erkennen. Dabei wissen sie selbst es oft auch nicht so recht. Nach jedem Diktat brütete ich, endlich die große rebellion anzuzetteln, die diktatur der rotstifte zu stürzen und zur weltherrschaft der konsequenten kleinschreibung überzugehen. Was hindert uns daran, zu schreiben wie die Römer, Franken und Amerikaner? Nieder mit dem roten terror der besserwisserei-pädagogik! Leider war die mitschülerschaft nicht zu mobilisieren, und es blieb einstweilen, wie es war, trotz mehrerer halbherziger rechtschreibreförmchen.
Links gehört zu den Adverbien, früher sagte man Umstandswörter, die das Verb, Substantiv oder Adjektiv des Satzes näher bestimmen können, im Fall von links oder rechts die Lage oder die Richtung, ausgehend vom Betrachter, verhältnismäßig zur eigenen Bewegungs- oder Blick-Richtung oder einem zum Vergleich herangezogenen Dritten. Um solche Bestimmungen anwenden zu können, sind nicht nur ein Subjekt (A), ein Objekt (B) und ein Referenzobjekt © nötig, auf das sich die Lage von B bezieht, die A bezüglich C mit rechts und links beschreiben kann, allerdings nur, wenn A einen klaren Standpunkt im Raum einnimmt und sich B und C auf eine einigermaßen erkennbare Ebene bringen lassen, sondern auch ein Empfänger (D), dem der Sender (A) die Lage von B zu C mitteilen möchte. Nur wenn A und D dieselbe Perspektive haben, lässt sich das Wort sinnvoll anwenden. Sonst kann es zu argen Missverständnissen kommen. In einer Reihe stehen immer einige links von mir, andere rechts, wenn es keine Schlange ist und ich nicht der Flügelmann bin, also die äußerste Position links oder rechts einnehme. Ändert sich meine Blickrichtung, ändert sich für mich alles, wenn sich die Blickrichtung aller anderen ändert, nichts.
Links und rechts sind geborene Gegensätze, Antonyme, die per Definition und Übereinkunft in ihrer Bedeutung festgelegt sind, nicht ursprünglich und ursächlich. Man könnte es auch andersherum bestimmen. Schließlich gibt es auch Länder, in denen man nickt, um zu verneinen, und den Kopf schüttelt, um zu bestätigen. Und es gibt Länder, in denen caldo warm heißt. »Das andere Links!« schrie der Fahrlehrer und trat effektvoll auf die Bremse, so dass wir beide durch die Frontscheibe gekracht wären, hätten uns die Sicherheitsgurte nicht zurückgehalten. In so einer Situation philosophische Überlegungen dieser Art anzubringen, ist nicht ratsam. In einigen Ländern gibt es den Linksverkehr, während man sich bei uns, außer zum Überholen, auf der rechten Straßenseite bewegen muss. Könnte es sein, dass unsere physiologische Disproportion ein unterschiedliches Fahrverhalten zur Folge hat? Gibt es Statistiken über einen Zusammenhang zwischen Raserei, asozialem Verhalten und Unfällen mit diesen grundsätzlichen Verkehrsregelungen? Links ist da, wo das Herz schlägt. Darauf muss man erst mal kommen.
Viel häufiger, wenn von Links die Rede ist, sind heute die Adressen von Serverinhalten gemeint, die man sich zuschickt, die man aufruft, die leider nicht funktionieren, weil sich mal wieder der Name oder die Datenstruktur geändert haben. Links ist auch ein Synonym für verkehrt herum, heute würde man queer sagen, etwa wenn ich ein Hemd nach dem Waschen versehentlich, das Innere nach außen gekrempelt, angezogen habe, was sich notfalls rasch korrigieren lässt. Nicht so einfach ist es mit einer Bezeichnung, die politische Gesinnung zum Ausdruck bringen soll. Der Zusammenbruch des Realsozialismus’ in Europa zog auch eine Diskreditierung der programmatischen Bezeichnungen sozialistisch und kommunistisch nach sich. Aus der Staatspartei SED wurde die PDS, die 2007 mit der WASG zur Linken verschmolz. Jedem Neustart wohnt auch die Chance zu Neubestimmung und Kurskorrektur inne. Was ist aus den Betonköpfen von damals geworden, den Unbelehrbaren, den Wendehälsen, Wendejacken, Karrieristen und Opportunisten? Wahrscheinlich haben sie ihre Parteibücher längst abgegeben und das Weite gesucht. Schließlich lohnt es nicht mehr, einer von allen gehassten Oppositionspartei anzugehören. Was sich die Linke von heute auf die Fahne geschrieben hat, hört sich vernünftig an. Wenn Gregor Gysi spricht, kann man sich der Kraft seiner Argumente schwer entziehen.
Die politische Linke war niemals einfach. Es genügt nicht, das Wort sozialistisch im Namen zu führen. Nicht jede Arbeiterpartei gehört zur Linken. Die NSDAP war doch nicht links. Die Wahlkatastrophe von 1933 und die Machtübernahme waren doch keine sozialistische Revolution, das System des Tausendjährigen Reiches, das zum Glück nur 12 Jahre währte, keine Diktatur des Proletariats. Eine Diktatur war es, das ist gewiss. War Hitler ein Linker? War der Nationalismus seiner Truppen von Verbrechern, Mitläufern und Karrieristen die Absage an die Internationale, an den Geist der Klasse? Auch nicht jeder, der das Lied der Partei singt, ist ein Linker: »Die Partei, die Partei, die hat immer Recht …« Von wegen. Es kann sein, dass ein Einzelner Recht hat gegen alle anderen. Giordano Bruno, Kopernikus, Martin Luther. Dann kann er natürlich keinen Platz in der Partei haben und wird ggf. rausgeschmissen. Was soll die Linke mit Martin Luther. Es geht schließlich nicht um Glaubensfragen, sondern um wissenschaftliche Weltanschauung, um die historische Mission des Proletariats, um die sich meist Leute bemühen, die gar nicht zur Arbeiterklasse gehören. Die Linke eine revolutionäre Idee von Intellektuellen?
Wie Sekten in der Kirche gibt es Gruppierungen in der Linken, die Linke selbst, die MLPD, die DKP, die SGP, schließlich das BSW. Eine Partei, deren Name und Programm eine Person ist. Das gab es doch schon mal. »Aus Leninschem Geist, wächst, von Stalin geschweißt, die Partei, die Partei, die Partei.« Natürlich musste man erst mal Trotzki um die Ecke bringen. Und was ist mit der von Bebel und Liebknecht aufgebauten SPD? Gehört jeder »lupenreine Demokrat« dazu? Ein Mensch wie Putin, angetreten, das große russische Reich zu retten und den Faschismus zu bekämpfen – vielmehr das, was er dafür hält? Die Führer aus der Kim-Dynastie in Nordkorea? Stalin, Mao, Marx, Engels und Lenin? Weltpopikonen der Revolution wie Che Guevara und Fidel Castro? Danton, Robespierre, die Jakobiner und die Kommunarden? Lauter extreme Ausprägungen des subjektiven Faktors?
Am einfachsten war es noch im 19. Jahrhundert im Parlament. Was nicht im Zentrum seinen Platz fand und nicht auf der rechten Seite, das war eben die Linke. Vom Präsidentenstuhl aus gesehen. Da haben wir es wieder! Dort saßen die Leute von Bebel und Liebknecht in ständig wachsender Zahl, auch wenn es stets Dissidenten gab, Abtrünnige, die ihren Platz woanders suchten, die sich vom Mainstream der Partei absetzten. Der Begriff Demokrat war im 19. Jahrhundert ein Schimpfwort, für viele gleichbedeutend mit Staatsfeind, stimmt ja auch, und Verbrecher, weil man Kritik am Staat als Verbrechen ansah. Nicht jeder kritische Geist war ein Linker. Maximilian Harden, der schärfste Kritiker des Kaiserreichs, sah sich selbst als politisch konservativ.
Wer mit Brecht seinen Verstand gebraucht, kommt auf der Seite der Kritiker der Gesellschaft an. »Das Wasser fließt immer von oben nach unten.« Die Leiseganggespülte Version des Liedes vom Klassenfeind. Fort mit dem historischen Gerümpel! Nicht, wer den echten Ring hat, ist die Frage, sondern was für Wirkungen die Erben hervorbringen in ihrem Ringen, die Kraft des Steins zu beweisen. Es gibt keine alleinseligmachende Wahrheit, die für alle gültig ist. Das, wofür sich jeder engagieren kann und was alle verbindet, die unsere Welt für die Zukunft erhalten und gestalten wollen, ist ganz einfach: antikapitalistisch, friedlich, engagiert für die Umwelt und global. Wenn das Links ist, kommt uns allen das gerade recht.