Skip to content

Herausgegeben von Rainer Butenschön, Daniela Dahn, Rolf Gössner,
Ulla Jelpke und Otto Köhler

Begründet 1997 von Eckart Spoo

Menu
Menu

Wo der Reichtum herkommt

Der reich­ste Deut­sche hat eine von ihm selbst in Auf­trag gege­be­ne Stu­die zur Fir­men­ge­schich­te sei­nes Unter­neh­mens im Gift­schrank ver­schwin­den las­sen. Das berich­tet der Autor von »Brau­ne Erben«, David de Jong, in der US-Zeit­schrift Vani­ty Fair. Dem­nach hat­te der rund 37 Mil­li­ar­den Euro schwe­re Mil­li­ar­där Klaus-Micha­el Küh­ne im Vor­feld des 125-jäh­ri­gen Unter­neh­mens­ju­bi­lä­ums 2015 die For­scher des »Han­dels­blatt Rese­arch Insti­tu­te« damit beauf­tragt, eine Histo­rie der Fir­ma Kühne+Nagel zu ver­fas­sen. Das Kapi­tel zur Rol­le sei­nes Vaters und sei­nes Onkels zur Nazi­zeit habe ihm gar nicht gepasst, berich­tet Vani­ty Fair. Küh­ne habe Ände­run­gen gefor­dert und bei einer Tele­fon­kon­fe­renz dar­auf bestan­den: »Mein Vater war kein Nazi.«

Als die For­scher sich wei­ger­ten, die Fir­men­hi­sto­rie den Wün­schen Küh­nes anzu­pas­sen, habe die­ser gesagt, dann wer­de die Stu­die eben nicht ver­öf­fent­licht. »Fragt bloß nicht, wo der Reich­tum her­kommt«, heißt es daher zusam­men­fas­send im Arti­kel der Vani­ty Fair.

Die Nazi-Ver­gan­gen­heit von Kühne+Nagel ist in der Ver­gan­gen­heit bereits öfter the­ma­ti­siert wor­den. Klaus-Micha­el Küh­ne wur­de 1937 als ein­zi­ges Kind des Spe­di­ti­ons­kauf­manns Alfred Küh­ne und als Enkel von August Küh­ne gebo­ren. Mit­be­sit­zer Adolf Maass ver­ließ 1933 kurz nach der Macht­über­nah­me der Nazis die Fir­ma. Er sei von Küh­nes Vater und Onkel aus der Fir­ma gedrängt wor­den, ohne eine Ent­schä­di­gung für sei­ne Antei­le zu erhal­ten, gab spä­ter sein Sohn Ger­hard Maass zu Protokoll.

Adolf Maass war Jude. Es gelang ihm und sei­ner Frau noch, ihre drei Kin­der ins Aus­land zu schicken, selbst konn­ten sie sich nicht ret­ten. 1944 brach­ten die Nazis die Ehe­leu­te nach Ausch­witz und ermor­de­ten sie dort. Nur Tage, nach­dem die Brü­der Alfred und Wer­ner Küh­ne sich 1933 von ihrem ehe­ma­li­gen Part­ner Maass getrennt hat­ten, tra­ten bei­de in die NSDAP ein. Nach­dem es sich prak­tisch selbst ari­siert hat­te, ent­wickel­te sich das Spe­di­ti­ons­un­ter­neh­men Kühne+Nagel in den fol­gen­den Jah­ren zu einem mehr­fach aus­ge­zeich­ne­ten »natio­nal­so­zia­li­sti­schen Musterbetrieb«.

Ab 1942 wirk­te das Unter­neh­men in gro­ßem Stil an der syste­ma­ti­schen Aus­plün­de­rung der euro­päi­schen Juden mit und schaff­te jüdi­sches Eigen­tum aus besetz­ten Gebie­ten ins Deut­sche Reich. Es ging um rund 30.000 Bahn­wag­gons sowie 500 Schiffs­la­dun­gen mit geraub­ten Möbeln aus den Haus­hal­ten von depor­tier­ten und ermor­de­ten Men­schen. Kühne+Nagel war die bevor­zug­te Fir­ma der Nazis für die­ses schmut­zi­ge Geschäft mit dem Namen »M-Akti­on« – »M« für Möbel. Das Unter­neh­men habe qua­si ein Mono­pol dar­auf gehabt, sag­te Frank Bajohr, Lei­ter des Zen­trums für Holo­caust-Stu­di­en am Insti­tut für Zeit­ge­schich­te in Mün­chen, der Vani­ty Fair. Der Reich­tum der Küh­ne-Inha­ber wuchs in die­ser Zeit den Recher­chen des US-Maga­zins zufol­ge beträchtlich.

Heu­te gilt ihr Nach­fah­re Klaus-Micha­el Küh­ne als der ver­mö­gend­ste Deut­sche, dem die Han­se­stadt Ham­burg am 20. Sep­tem­ber ihren »Grün­der­preis der Kate­go­rie Lebens­werk« ver­lieh. Hier ist Auf­klä­rung gefor­dert. Akti­vi­sten der Ver­ei­ni­gung der Ver­folg­ten des Naziregimes/​Bund der Anti­fa­schi­sten wei­sen vor Ort die Schuld des gro­ßen Kapi­tals an der Ver­nich­tung der Demo­kra­tie, an Kriegs­vor­be­rei­tung und Mas­sen­ver­nich­tung von Men­schen nach. Es wur­de erklärt: Wir stel­len Anträ­ge und rich­ten Ein­ga­ben an zustän­di­ge Stel­len, um die Tat­or­te der Täter des gro­ßen Gel­des zu kenn­zeich­nen und ihre Taten zu beschreiben.

Die Rol­le der öko­no­mi­schen Eli­ten beim Auf­stieg des Faschis­mus und sei­ner Kriegs­füh­rung dür­fe nicht län­ger ver­schwie­gen wer­den, schon gar nicht in den Gedenk­stät­ten, die die­ses The­ma mehr und mehr aus­klam­mern. Fer­ner sei der Pro­zess der Ent­schä­di­gung zu Ende zu brin­gen. Wenn geraub­te Kunst­schät­ze an die Erben zurück­ge­ge­ben wer­den, dann soll­te auch den Hin­ter­blie­be­nen der Skla­ven­ar­beit der vor­ent­hal­te­ne Lohn erstat­tet wer­den. Die Erben der brau­nen Aus­beu­ter, die heu­te zu den reich­sten Fami­li­en im Land gehö­ren, sei­en zu ent­er­ben; neben Stol­per­stei­nen für die Opfer soll es auch Warn­ta­feln vor den Tätern und ihren Nach­fah­ren geben. Es sol­len Stra­ßen­um­be­nen­nun­gen erreicht wer­den. Beab­sich­tigt ist fer­ner, am Sitz von Rhein­me­tall (Düs­sel­dorf) gemein­sam mit Bünd­nis­part­nern Aktio­nen zu star­ten. Das Spon­so­ring Rhein­me­talls für den BVB Dort­mund erfor­de­re ent­schie­de­nen Pro­test, z. B. mit Unter­schrif­ten­samm­lun­gen und Mahn­wa­chen, auch mit Trans­pa­ren­ten im Sta­di­on, wie sie bereits zu sehen waren.

Seit 120 Jah­ren betei­ligt sich Borsig/​Rheinmetall an schwer­sten Kriegs­ver­bre­chen. Im Zwei­ten Welt­krieg schrit­ten den Blitz­krie­gern die Kon­zern­ver­tre­ter von Rhein­me­tall und ande­ren hin­ter­her, um Stahl­wer­ke und ande­re Betrie­be zu ari­sie­ren und zu rau­ben und 15 Mil­lio­nen Zwangs­ar­bei­ter ins Reich zu holen, auf dass sie als Skla­ven u. a. für Rhein­me­tall arbei­te­ten. Vie­le wur­den durch Arbeit ver­nich­tet. Allein die Reichs­wer­ke Her­mann Göring (Kon­zern­lei­tung für Rhein­me­tall) ver­sklav­ten 300.000 sog. Ost­ar­bei­ter. Vie­le Tau­send Skla­ven schuf­te­ten an ande­ren Rhein­me­tall-Stand­or­ten. Heu­te zählt Rhein­me­tall zu den größ­ten aktu­el­len Kriegsgewinnlern.

Zum Fall wie dem der Küh­nes wur­de bereits vor einem Jahr in Bre­men ein Mahn­mal errich­tet. Bre­mer Behör­den folg­ten einer Anre­gung der Zei­tung TAZ, unter­stützt von der VVN-BdA und der Jüi­schen Gemein­de, und schu­fen das »Mahn­mal zu Erin­ne­rung an die mas­sen­haf­te Berau­bung euro­päi­scher Jüdin­nen und Juden durch das NS-Regime und die Betei­li­gung bre­mi­scher Unter­neh­men, Behör­den und Bür­ge­rin­nen und Bür­ger«. Aller­dings gab es erheb­li­che Ver­zö­ge­run­gen. Kern des Kon­flikts war dabei immer, wie dicht das Mahn­mal an das Gebäu­de des Stamm­sit­zes des welt­weit agie­ren­den Logi­stik­kon­zerns Kühne+Nagel her­an­rücken darf.

Die VVN-BdA-Kam­pa­gne zur Auf­klä­rung über die Rol­le der reich­sten Fami­li­en in der Nazi­zeit soll sich auch auf die fol­gen­den aus­deh­nen: Die Fam. Quandt und beson­ders ihr Wir­ken in Hagen und Han­no­ver sowie die Fami­lie Die­ter Schwarz, Lidl-Eig­ner. Die­se und Küh­ne sowie zwei wei­te­re ver­fü­gen heu­te über ein grö­ße­res Ver­mö­gen als die Hälf­te der deut­schen Bevöl­ke­rung. Die­ses Ver­mö­gen wur­de vor allem bis 1945 durch Kriegs­ge­winn angehäuft.